Wunderbar, kannte ich gar nicht! Nichtstun ist ja nicht egoistisch, sondern gut für uns alle: Es hält sich keine Arbeitssklaven in Bangladesch und verursacht kein CO2. Nichtstun ist in höchstem Maße sozial. Wenn ich weniger arbeite, konsumiere ich weniger. Also muss auch insgesamt weniger erwirtschaftet werden. Und in der Zeit, in der ich nicht arbeite und nicht konsumiere, kann ich mich wieder um meine Mitmenschen kümmern. Im Grunde geht es beim Nichtstun um die ganz große Transformation. Also darum, all die Lebensbereiche, die wir an die Privatwirtschaft ausgegliedert haben, wieder unentgeltlich zu gestalten.
Sie geben ja Anleitungen, was man alles aus dem Nichtsmachen heraus machen kann. Erklären Sie doch mal Ihr Trainingsprogramm.
Es ist wirklich sehr schwierig. Man sollte sich nicht überfordern und gleich einen ganzen Tag nichts tun, sondern vielleicht für den Anfang einmal eine Minute. Einfach mal stehen bleiben. Superhandy ausmachen. Einfach mal den Ausweitungmodus hinter sich lassen. Sich nicht vom Land in die Stadt sehnen, oder von der Stadt aufs Land, oder aus Deutschland an die Südsee. Man braucht keine Rahmenbedingungen fürs Nichtstun, einfacher sprengt man durch Nichtstun den Rahmen. Man braucht kein Geld dafür. Keine Bank am Grundstücksende. Ein trister Wartesaal beim Zahnarzt genügt für ein erstes, gelingendes Nichtstun vollauf.
In Ihrem Buch beschreiben Sie lebenspraktisch, wie effektives Arbeiten durch gezieltes Nichtstun gelingt. Wie autobiografisch sind diese Erfahrungen?
Genau dieser Teil ist absolut nicht autobiografisch, da meine Arbeit sehr ineffizient ist. In Wirklichkeit arbeite ich weit mehr als vierzig Stunden die Woche. Eher so achtzig. Allerdings zähle ich auch Kartoffelanbauen und Kinderbetreuung, Nachbarschaftshilfe und zähes Verneinen an mich herangetragener Konsumdiktate zur Arbeit hinzu.
Halten Sie es mit Oscar Wilde, der meinte, „gar nichts tun, das ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt?“
Nichtstun ist kein geschlossenes System, es gibt viele Unterströmungen. Selbst Kenner der Materie verlieren leicht den Überblick. Aber mit dem Dandytum hat meine Vorstellung vom Nichtstun nichts zu tun. Ich meine es viel politischer: In einem Wirtschaftssystem, das nicht mehr wachsen darf, wenn wir noch weiter frische Luft atmen wollen, wird Nichtstun vielleicht schon bald viel positiver bewertet werden.
Einfach mal nichts tun, ist gar nicht so einfach und löst schon mal Missfallen der Nachbarn aus. Gehört da eine neue Lebensphilosophie dazu?
Eine gewisse Dickfelligkeit braucht es schon, morgens ein Bierchen unterm Birnbaum zu trinken, aber es ist keine rücksichtslose, sondern eine sozial anteilnehmende Dickfelligkeit. Die Lösung: Ich lade die Nachbarn einfach dazu ein! Überraschend oft haben sie dafür Zeit. Und, um der Wahrheit die Ehre zu geben: so oft sitze ich da Montag morgens leider gar nicht.
Psychologen, Philosophen und Managertrainer sprechen sich für Entschleunigung als Ausweg aus Hektik und Aktionismus, ständiger Geschäftigkeit und Erreichbarkeit aus. Ist Ihr Buch ein psychologischer Ratgeber?
Auf keinen Fall! Es ist eine Sammlung von Anekdoten über das, was passiert, wenn ein Städter aufs Land zieht: das blanke Chaos. Das Buch bietet keine Lebenshilfe und will das auch gar nicht. Es ist eher ein Antiratgeber. Wenn die Leserinnen und Leser einfach mal lachen und sich zwischendurch auch mal fragen, wie es weitergehen soll mit unserem Wirtschaften, bin ich schon glücklich.
War Ihr Umzug von Berlin in den Oderbruch eine Stadtflucht oder Anflug von Landlust?
Ich wollte nicht, dass mein Kind zwischen Dealern, Autos und gestressten Großstädtern aufwächst.
Sie plädieren dafür, dass man sich von Elektronik, Hotlines, Neugeräten trennt. Hat das mit Konsumverzicht oder Gewinn von Freiräumen zu tun?
Einer der größten Irrtümer der letzten Jahrzehnte war die Idee, durch Verzicht zu genesen. Etwa der Veggie-Day der Grünen: ganz schrecklich. Mir geht es nicht um Verzicht, sondern um das unermessliche Glück, das es bedeutet, den ganzen Mist nicht haben zu müsse. Kein Upgrade-Terror. Keine Folgeunterlassungen von Nichtstun. Keine Zwangstatenketten. Die Zeit, in der das brandheiße Neugerät zum Altgerät modert, das man auf keinen Fall mehr haben darf, ist genau die Zeit, in der das Nichtstun unterm Birnbaum, wenn ich so sagen darf, zu voller Blüte kommt.
Nichtstun ist ja ein Widerspruch in sich, und ein Buch schreiben alles andere als Nichtstun. Haben Sie es mit einem ironischen Augenzwinkern geschrieben?
Auf jeden Fall. Bloß nicht zu ernst nehmen!
Sie haben sich lange Zeit gelassen seit Ihrem letzten Buch (2010). Warum?
Danke für dieses versteckte Lob! Vielleicht bin ich doch gar nicht so schlecht im Faulsein, wie ich dachte?
Björn Kern ist in Schopfheim aufgewachsen, hat hier Abitur gemacht und lebt zur Zeit abwechselnd in Berlin und Brandenburg. Nach dem Debüt „KippPunkt“ erschienen seine Romane „Einmal noch Marseille“, „Die Erlöser AG und zuletzt „Das erotische Talent meines Vaters“ (2010). Kern erhielt unter anderem den Brüder-Grimm-Preis.