Schopfheim „Meine Heimat ist Schopfheim“

Markgräfler Tagblatt

Wie Tesfaldet Reda vor 35 Jahren aus Eritrea nach Schopfheim kam / Eine Welle der Hilfsbereitschaft

Von Werner Müller

Schopfheim. Zehn Jahre lang Stadtrat. Eigentümer eines florierenden Cafés. Erfolgreicher Fußballer und engagierter Sportfunktionär beim SVS – Tesfaldet Reda, den alle nur „Tessy“ nennen, ist eine Institution in der Stadt, einer, der aus Schopfheim nicht mehr wegzudenken ist.

Darüber staunt niemand mehr als er selbst. „Ich hätte mir das niemals erträumen lassen“, räumt der 46-Jährige ein, wenn er zurückdenkt. Denn was viele vielleicht nicht (mehr) wissen: Tesfaldet Reda kam vor 35 Jahren mit seiner Familie – seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern (Bruder Alem und Schwester Nazareth) – als Fremder nach Schopfheim, als Flüchtling, der in Deutschland um Asyl bat in der Hoffnung, hier in Sicherheit leben zu können.

Daran war in seinem Herkunftsland, in Eritrea, nicht zu denken. Dort tobte seit 1962 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der äthiopischen Zentralmacht und Aufständischen, die für ein selbstständiges Eritrea kämpften. Tesfaldet Reda und seine Familie lebten in Keren, einer Stadt mit etwa 80 000 Einwohnern, und bekamen den Krieg hautnah mit. Wenn tagsüber die Kämpfe tobten, versteckten sich alle unter dem Bett, durch die Straßen rollten Panzer, Leuchtstreifen von Geschossen erhellten die Nacht.

Wann immer einer der beiden Kriegsparteien wieder einmal die Stadt eroberte, hieß es für die Bevölkerung erst einmal aufs Land flüchten. „Und am Wegrand lagen die Toten“, kann sich Tesfaldet Reda noch erinnern.

Als die Armeen begannen, sogar halbwüchsige Buben als Soldaten zu rekrutieren und dabei einmal auch Tessys Bruder mitnahmen, stand der Entschluss fest: „Wir müssen hier weg“.

Die Familie verkaufte ihr Haus mit allem Hab und Gut, die Mutter flüchtete mit ihren drei Kindern auf abenteuerlichen Wegen zu Verwandten im Sudan – Nomaden brachten sie in zehn Nachtmärschen auf Kamelen bis an die Grenze, von wo sie, unter Lkw-Ladungen versteckt, ins Nachbarland gelangten. Von dort glückte der Familie mit sudanesischen Papieren und einem Visum die Ausreise nach Deutschland.

Im März 1980 landete Tesfaldet Reda, damals elf Jahre alt, mit Mutter und Geschwistern in Stuttgart, wo sie sich als Flüchtlinge aus Eritrea zu erkennen gaben und Asyl beantragten. Über ein Zwischenlager in Konstanz verschlug es die vierköpfige Familie - dem Vater gelang die Flucht erst später – nach Schopfheim, wo sie im ehemaligen Gefängnis die erste Bleibe fand.

„Wir wurden sogar von Bürgermeister Klaus Fleck empfangen“, erinnert sich Tessy. Dabei blieb es jedoch nicht. „Viele Menschen haben sich um uns gekümmert“, weiß er zu berichten und spricht von einer „Welle der Hilfsbereitschaft“. Vor allem Bettina Bethlen und die mittlerweile verstorbene Dora Glattes hätten sich sehr für die Flüchtlinge aus Eritrea – gemeinsam mit den Redas kam auch noch eine andere Familie nach Schopfheim - engagiert.

„Wir gehörten einfach dazu“.

Schon kurz nach ihrer Ankunft gingen die Kinder in die Schule, mit seinem ersten Banknachbar ist Tesfaldet Reda bis heute befreundet. Nachmittags gab es zusätzlich Deutschunterricht, Schulkameraden schleppten die Reda-Kinder mit zur Leichtathletik und zum Fußball. „Das war alles ganz selbstverständlich, wir waren da und gehörten dazu, obwohl wir ja eigentlich Exoten waren“, erinnert sich Tessy an eine „schöne Zeit“.

Schopfheim sei schon damals „sehr offen“ gewesen, was den Umgang mit Flüchtlingsfamilien anbetrifft. „Das war Integration, noch bevor es das Wort überhaupt gab“, so Reda im Rückblick.

Mit 18 Jahren bekamen die Kinder, die allesamt eine erfolgreiche Schul- und Berufslaufbahn hinlegten, den deutschen Pass. „Us alle isch öbbis rechts worde“, freut sich Tessy in lupenreinem Alemannisch.

Er selbst erwarb die Fachhochschulreife, lernte Industriekaufmann und beschloss mit 30 Jahren, sich mit einem Café selbstständig zu machen – mit durchschlagendem Erfolg. Ganz nebenbei kandidierte er zweimal für den Gemeinderat und eroberte mit jeweils hoher Stimmenzahl ein Mandat für die Freien Wähler – für ihn Beleg dafür, dass die Schopfheimer ihn längst einen der Ihren betrachten.

„Ich bin ja auch bekannt wie ein bunter Hund“, lacht Tesfaldet Reda. Eine Rückkehr nach Eritrea, wo der Bürgerkrieg seit 1992 vorbei ist, stand denn auch nie zur Debatte. Die Frage nach seiner Heimat ist für Tessy gar keine mehr. „Meine Heimat“, sagt er, „ist Schopfheim“.

Sein ehrenamtliches Engagement in der Kommunalpolitik und bei Vereinen versteht er denn auch als eine Art Revanche: „Ich will auf diese Weise zurückgeben, was mir und meiner Familie in dieser Stadt an Gutem widerfahren ist“, betont er.

„Integration, bevor es das Wort gab“.

So gesehen ist es kein Wunder, dass Bürgermeister Christof Nitz im Rahmen einer Bürgerversammlung über die geplante Notunterkunft für Asylbewerber beim Friedhof Fahrnau vor allem mit Blick auf das Schicksal der ehemaligen Flüchtlingsfamilie Reda um Verständnis für die Aufnahme der Menschen warb und von Tessy als einem „Musterbeispiel für Integration“ sprach.

Aufgrund seiner Vita verfolgt Tesfaldet Reda die aktuelle Flüchtlingskrise natürlich mit besonderem Interesse. „Nur wer Angst hat um sein Leben, ergreift die Flucht“, weiß er aus eigener, leidvoller Erfahrung. Um so tragischer sei, dass viele Menschen, die ihr ganzes Geld ausgeben, um in Sicherheit zu kommen, statt dessen auf der Flucht ihr Leben verlieren. „Jeder Mensch“, so Tesfaldet Reda, „will im Grunde doch nur eins – ein normales Leben führen“.

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