Steinen „Ich bin doch die Erika aus Dresden“

Markgräfler Tagblatt
Hans-Peter Günther an einer seiner Schreibmaschinen. An solch einer Maschine hat Günther auch seine Fabel geschrieben. Foto: Harald Pflüger Foto: Markgräfler Tagblatt

Kurzgeschichte: Die Fabel von der Schreibmaschine – von Hans-Peter Günther

Mit der „Fabel von der Schreibmaschine“ hat der Höllsteiner Hans-Peter Günther Neuland betreten und seine erste Kurzgeschichte geschrieben. Dass ausgerechnet eine Schreibmaschine im Mittelpunkt der Fabel steht, kommt nicht von ungefähr: Günther ist gelernter Büromaschinenmechaniker.

Steinen-Höllstein. „Die Dame des Hauses bat mich, im Büro auf ihren Gemahl, Herrn Notar Schlesinger, zu warten. Er würde gleich bei mir sein, sie hätte das Garagentor schon gehört. Sie führte mich vor eine dunkle, eichene Zimmertür mit einem hochglanzpolierten Messingschild mit der Aufschrift „Bureau“.

Als ich den Raum betrat, war es darin still, so gespenstisch still, dass ich sogar die Bewegung des Pendels in der Standuhr als lästiges Geräusch empfand.

Man hätte das Fallen der berühmten Stecknadel hören können, wenn ich denn eine dabei gehabt hätte. Aber nicht einmal damit konnte ich in diesem Moment dienen. Also schloss ich die schwere Tür hinter mir und war in dem großen Büro alleine, so meinte ich zumindest. Aber dann vernahm ich ein leises, fast klägliches „Hallo“, so als ob jemand sprechen wollte, ohne den Mund richtig zu öffnen. Ich sah mich suchend um, aber zu meiner Verwunderung war ich alleine im Zimmer.

Da, wieder ein „Hallo“, nun schon etwas lauter. Es war schon verrückt. Sollte ich schon Stimmen hören, wo gar niemand ist? Wäre ja schon schlimm. Vielleicht gibt es ja eine ganz simple Erklärung. Vorsichtshalber sah ich mich noch mal um, auch unter dem großen Schreibtisch. Hat sich da ein Kind versteckt und will mir einen Streich spielen?

Aber weder unter dem riesigen, den Raum beherrschenden Schreibtisch, noch hinter einem anderen Möbelstück war ein menschliches Wesen zu entdecken. Ich wollte gerade den Raum verlassen, da hörte ich es wieder, und diesmal ganz deutlich: „Hallo, hört mich denn keiner, da ist doch jemand.“ Jetzt wurde es mir zu dumm. Ich wollte wissen, was das bedeutet. Entweder ich fantasiere oder es hat einen anderen Grund.

Außer dem Knarren des Stuhls hörte man nichts

Ich setzte mich ganz still und vorsichtig in einen der Lederstühle, die um den kleinen, runden Tisch standen, und lauschte. Außer dem Knarren des Stuhles war nichts zu hören. Nichts. Totenstille. Kein Ton und kein „Hallo“. Also spinne ich doch? Ich stand auf und ging zur Tür.

Beim Herunterdrücken der Türklinke hörte ich es wieder: „Hallo, hier bin ich doch.“ Aber jetzt wusste ich, woher die Stimme kam. Neben dem wandfüllenden Bücherregal stand ein kleiner, rotbrauner Koffer. Aus diesem kam die Stimme. Vorsichtig hob ich den kleinen Koffer mit dem ledernen Griff und stellte ihn auf den runden Tisch. Hoffentlich kommt jetzt nicht gerade jemand ins Zimmer. Der hätte sich bestimmt gewundert, was ich als Gast des Hauses da mache.

Da war es wieder, dieses zaghafte Hallo

Da war es wieder, dieses zaghafte „Hallo". Nachdem ich am Koffer den Sicherungsbügel hochgeklappt hatte, den runden Schieber zur Seite gedrückt, hob ich den Deckel leicht an und erblickte eine rotbraun gemaserte Erika-Schreibmaschine.

Sie blickte mich freundlich an, sah in ihrem rotbraunen, kurzen Kleidchen ganz entzückend aus. Wenn da nicht die schwarzen, hässlichen Farbbandspulen gewesen wären, die da obenauf saßen. Aber ihre vier weißen „Zahnreihen“ lächelten und nahmen mich mit ihrem Reiz gefangen.

Mehr zu mir selbst murmelte ich: Aber eine Schreibmaschine kann noch nicht sprechen. Ich schon, kam die Stimme aus dem Koffer, deshalb will ich ja auch hier raus.

Ja, wer bist du denn? Das siehts du doch. Ich heiße Erika, wurde 1934 in der Hamburger Straße 19 in Dresden als Enkeltochter von Bruno Naumann geboren. Mein Papa war Paul Käppler, meine Mama kenne ich nicht.

Persönliche Nummer fürs Kleidchen

Ich bin mit ganz vielen Geschwistern bei der Familie Seidel & Naumann aufgewachsen, in einem riesigen Haus, und ganz liebevoll umsorgt und eingekleidet worden. Viele meiner Geschwister bekamen ein schwarzes Kleidchen. Für meinen Opa muss ich etwas ganz besonderes gewesen sein, sonst hätte er mich doch nicht dieses schöne rote Kleid aus dem Schrank nehmen lassen. Damit man mich immer wieder findet, hat mir dann Meister Hermann noch eine persönliche Nummer ins Kleidchen geprägt. Aber danach meinte es das Schicksal nicht mehr ganz so gut mit mir.

Man steckte mich in eine Holzkiste

Eines Tages, wenn ich mich recht erinnere, es muss ein Montag gewesen sein, denn tags zuvor war es ganz still in dem großen Haus, steckte man mich in eine Holzkiste mit noch anderen Geschwistern und brachte mich nach Dresden auf den Güterbahnhof, und ab ging die Reise. Richtung Berlin. Da angekommen, wurde ich recht unsanft auf ein Pferdefuhrwerk geschoben, und auf dem „Kuh-damm“, so hieß der, glaube ich, bei der Firma Schenk, Büromaschinen, auf den Gehweg gestellt. Dort musste ich aber nicht lange stehen. Ein junger Mann, der Stimme nach, trug mich in eine Werkstatt und befreite mich aus der misslichen Lage. Musste ja die ganze Zeit stehen, das tat schon ein bisschen weh. Nachdem die mich ausgepackt hatten, bohrten sie mir ganz schmerzhaft zwei kleine Löcher in mein „Hinterteil“, nur um dort ihren Namen anzubringen.

In die pralle Sonne wurde ich gestellt

Ja, wie ging es mit dir dann weiter?, wollte ich wissen.

Wie ging es wohl weiter? Ins Schaufenster wurde ich gestellt. In die pralle Sonne, zu all den anderen Maschinen, von denen ich doch keine kannte. Manche gaben sogar damit an, dass sie rechnen könnten. So ein Unsinn, welche Maschine kann denn rechnen?

Aber du kannst doch auch schreiben, und sogar sprechen. Das ist doch ganz was anderes. Ich bin doch die Erika aus Dresden.

„Aber Gott sei dank musste ich nicht lange in der Sonne stehen. Nach drei oder vier Tagen betrat ein junger Mann in Begleitung seines Herrn Papa das Geschäft. „Er gab sich als Jurastudent aus, und er suchte eine kleine, nicht zu schwere Schreibmaschine.

Bei meiner Kleidergröße fiel ich ihm natürlich sofort auf, und ehe ich mich versah, konnte ich das Geschäft und den Platz an der Sonne verlassen. Was war ich froh.

Das einzige, was mir nicht so gefiel, war seine unsanfte Art, mit mir umzugehen. Er hackte ziemlich gewaltsam die Buchstaben auf das Papier. Ich glaube, er hatte noch nie ein junges Mädchen vor sich. Aber auch das habe ich ohne Blessuren überstanden. Zweimal war ich bei einem Schreibmaschinen-Doktor. Aber ernsthaft krank war ich nie. Einmal ist mir ein „Zahn“ rausgefallen, und einmal war meine Walze zu hart.

Der Notar spielt lieber mit seinem Computer

Aber wie soll es mit uns denn jetzt hier weilergehen?, fragte ich.

Ich denke mal, du zahlst dem Herrn Notar ein kleines Lösegeld und nimmst mich mit. Der hat mich doch sowieso schon vergessen. Der spielt jetzt lieber mit seinem Computer. Ein richtig unpersönliches Verhältnis. Dann gehen wir beide zu dir, und ich kann mich bei dir im Regal von meinem aufregenden Leben ausruhen.

So haben wir es dann auch gemacht. Uns so kam ich zu meiner Freundin Erika. Manche sagen, es wäre eine Schreibmaschine. Was ich vom Herrn Notar Schlesinger wollte, war sicher gar nicht so wichtig. Aber es fällt mir vielleicht wieder ein, wenn ich meine Erika im Regal in ihrem roten Kleidchen sehe.“

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