Theaterhaus Jazztage Jazz kann eine Droge sein

Bernd Haasis
Ein Naturereignis: Die japanische Pianistin Hiromi am Samstag im Theaterhaus. Foto: Jörg Becker

Der Jazz lebt, und wie: Rund 4600 Besucher füllten am langen Osterwochenende die Säle im Theaterhaus, das bei seinem Jazz-Festival Bewährtes und Unerhörtes zu bieten hatte mit Philip Catherine, Hiromi, Nik Bärtsch und vielen anderen.

Der Jazz lebt, und wie: Rund 4600 Besucher füllten am langen Osterwochenende die Säle im Theaterhaus, das bei seinem Jazz-Festival Bewährtes und Unerhörtes zu bieten hatte mit Philip Catherine, Hiromi, Nik Bärtsch und vielen anderen.

Stuttgart - In Saal 1 des Theaterhauses beraubt sich am Karfreitag die Jazz Bigband Graz ihrer Schlagkraft, indem sie sich ins Korsett eines durchgetakteten Playbacks zwängt; danach scheucht Routinier Klaus Doldinger junge Untergebene durch ein leidenschaftslos vorgetragenes Set, in dem selbst der „Tatort“-Titelmelodie Esprit fehlt.

Ganz anders in Saal 2 die belgische Gitarrenlegende Philip Catherine und Duopartner Martin Wind am Kontrabass: Sie berühren mit wunderbaren Improvisationen das aufmerksam lauschende Publikum. Catherine erinnert an den 2009 verstorbenen Freund und Wegbegleiter Charlie Mariano, an das große Abschiedskonzert im Theaterhaus, und spielt dann sein Lied „L’Éternel Désir“. Warme, weiche und glasklare Gitarrenklänge blühen auf und ranken sich um sonore Kontrabasstöne.

Charles Mingus hat Catherine einmal „Young Django“ genannt, weil er so swingend improvisieren kann wie einst Django Reinhardt. Doch erschöpft sich Catherines Spiel nicht in nostalgischer Imitation, es öffnet sich auch fürs Jetzt und fließt lebendig und frisch wie Quellwasser. Viele Besucher folgen mit geschlossenen Augen, das Zusammenspiel der beiden weckt Sehnsüchte und Erinnerungen an glückliche Momente.

„I Fall In Love Too Easily“, den Song seines einstigen Partners Chet Baker, interpretiert Catherine als mittelschnelle Swingnummer, die Martin Wind mit energisch marschierendem Bass antreibt. Als Zugabe bringen sie Irving Berlins liedhaftes, langsam von Moll nach Dur fortschreitendes „How Deep Is The Ocean“. Lang anhaltender Beifall von lächelnden Menschen, die das vielleicht schönste Konzert der 27. Jazztage erlebt haben. (stai)

Ein verstörender Sog

Der französische Violinist Jean-Luc Ponty hat schon mit Wolfgang Dauner und Frank Zappa gespielt, nun musiziert er mit seiner Tochter Clara. Die macht eigentlich Pop, ist am Piano eine reine Begleiterin und erzeugt klangvolle Dichte, auf der ihr Vater am Ostersamstag mit makellosem Ton Melodien tanzen lässt. Damit das nicht zu hübsch wird, fahren Nathanael Malnoury am Kontrabass und der feurig trommelnde Damien Schmitt kreativ die Stacheln aus und durchbrechen das musikalische Sehnsuchts-Idyll.

Was folgt, trifft das Publikum wie ein Hammer: Die japanische Pianistin Hiromi spielt Bop, Stride und überhaupt alle Arten Jazz wild gemischt und in atemberaubendem Überfluss, sie bringt das Piano zum Glühen, lacht bei irrwitzigen Klangkaskaden und halsbrecherischen Skalen, headbangt, explodiert, springt beim Spielen auf. Jazz kann eine Droge sein. Nichts scheint bei Hiromi vorhersehbar, und wenn man ihr etwas vorwerfen wollte, dann dies: Sie kann kaum an sich halten, spart mit Passagen zum Durchatmen, möchte spielen, spielen, spielen, so intensiv und viel wie möglich.

Einen phänomenalen Zusammenspieler hat sie im englischen Fusion-Drummer Simon Phillips (57) gefunden, seit 1992 als Nachfolger von Jeff Porcaro bei Toto. Er schärft die Konturen von Hiromis musikalischem Vulkanausbruch, geht mit ihr durch unmöglichste Rhythmen und kocht kräftig mit an der wahnwitzigen Dynamik dieses Konzerts: Wie sie aus wildem, lautem Tönen bruchlos ins Pianissimo gleiten, ohne auch nur einen Hauch ihrer Spannung zu verlieren – Weltklasse. Da hält es kaum jemandem auf seinem Sitz, und die Ovationen sind redlich verdient. (ha)

In Saal 2 fasziniert und verstört derweil der Ronin Rhythm Clan des Zürichers Nik Bärtsch. Manche fühlen sich auf eine akustische Folter gespannt, andere folgen gebannt und lassen sich in den Sog ziehen, den die hypnotische Musik der acht schwarz gekleideten Schweizer erzeugt.

Es herrscht Dunkelheit und Stille. Mit einem heftigen Schlag des bärenstarken Drummers Kaspar Rast flammen blitzartig lila Lichter auf, in deren Schein die Holz- und Blechblasinstrumente schimmern. Ein leerer Ton schwebt durch den Raum, während der Rhythmus tickt wie eine Uhr. Die Zeit scheint sich auszudehnen. Allmählich werden aus Geräuschen Klänge, aus Klängen musikalische Muster, scheinbar endlos sich wiederholend. Der Rhythmus klingt nun wie der Maschinenraum eines Schiffes.

Rohe Klänge, auf ein Minimum reduziert, verdichten sich zu scharf konturierten Bläserriffs, der E-Bass pumpt, der Drummer schlägt den harten Rhythmus wie aus einem Fels. Keine Musik für Kinder. „Ho!“ Ein heftiger Schrei des Musik-Samurais Bärtsch setzt dem fantastischen Treiben ein abruptes Ende. Herzklopfen, starker Applaus. (stai)

Ein Alphorn sträubt sich

Schon oft hat der große Trompeter Ack van Rooyen (84) im Theaterhaus gespielt, vor allem mit dem United Jazz and Rock Ensemble. Er vermisse seine verstorbenen Freunde, Albert Mangelsdorff, Charlie Mariano, Volker Kriegel, sagt er am Ostersonntag – und bringt ihnen in Saal 1 ein Ständchen mit seinem hellen, warmem Ton, der nichts an Spannung verloren hat.

Dann präsentiert der finnische Pianist Iiro Rantala, für seine Verhältnisse gedämpft, ein neues Trio. Der tschechische Kontrabassist Miroslav Vitous, einst Mitbegründer von Weather Report, hat seine Momente in Rantalas irrwitzigem Varieté-Furor, wenn er mit Wah-Wah-Sound die Saiten streicht – bisweilen aber steht er auch neben sich und hat Glück, dass der deutsche Drummer Wolfgang Haffner die Stücke mit Verve rhythmisch extrem präzise ausgestaltet.

Blind verstehen sich dagegen Pianist Patrick Belbelaar, Trompeter Herbert Joos und Kontrabassist Günter Lenz, sie spielen sich Bälle zu, zelebrieren musikalische Abenteuer kurzweilig und humorvoll. Wenn Joos ins Flügelhorn bläst, erwacht es zum Leben, ein wundersames Tier, das mit heiserem Ton sein Verlangen in die Nacht ruft. So geht es auch dem Alphorn unter Joos’ Lippen, so sehr es sich auch sträubt. „Ich habe wegen dem Ding in der Schweiz Einreiseverbot“, sagt er. „Man darf es nur auf einem Berg spielen und es sind nur fünf Töne erlaubt – ich kann aber sechs.“ An der Trompete zelebriert Joos dann zu Bebelaars lyrischem Piano träumerisches Wehklagen in seinem „Love Song“, den er so ankündigt: „Ich liebe Kriegsfilme. Das sind die, in denen die sich am Schluss immer kriegen.“ (ha)

Auch das von Saxofonist Peter Lehel gegründete Jazz Ensemble Baden-Württemberg sowie eine Theaterhaus Concert Jazz Band zeigen die Qualität der heimischen Szene. Unter Jazzprofessors und Soloposaunist Joe Gallardo spielt die 20-köpfige Bigband groß auf, reicht Blues und Funk, Originale und Standards durchweg mit scharfer Salsa. Auch „Cherokee“, das zärtliche Lied für eine hübsche Indianerin, kommt mit tänzerischem Latino-Temperament daher.

Dem Jazzorchester, das 2013 in der Protestbewegung „Stuttgart braucht jungen Jazz“ zueinander gefunden hat, gelingt mit dem in Remseck lebenden US-Musiker Gallardo das Kunststück, komplexe Arrangements leicht und locker darzubieten, richtig starke Solisten zu präsentieren und mit mächtigem Bigband-Sound den Saal zu füllen. „Ohne Musiker wäre Musik bloß Papier“, lobt am Ende der Leiter sein Orchester und hält lächelnd ein Notenblatt hoch. Das Publikum applaudiert und freut sich, dass der Protest gefruchtet hat: Der Jazz ist in der Stadt geblieben. (stai)

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