Weil am Rhein „Ansehen in den Dreck gezogen“

Weiler Zeitung
Das Ehepaar Reem Almobed (l.) und Zaher Alturk (M.) mit Tochter Limar und Sohn Meraj stellt sich den Fragen der Journalisten. Foto: Stefak Foto: Weiler Zeitung

Stellungnahme: Flüchtlinge distanzieren sich öffentlich von den gewaltsamen Übergriffen auf Frauen

Von Carina Stefak

Nach den Kölner Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht und ähnlichen Ereignissen in anderen Großstädten sowie einem Fall in Weil am Rhein haben sich Flüchtlinge in der Haltinger Notunterkunft nun auf eigenen Wunsch öffentlich davon distanziert. Sie sind empört über diese „unglaubliche Respektlosigkeit“, drücken ihr Bedauern für die Opfer aus und hoffen, dass ihnen die Bevölkerung glaubt.

Weil am Rhein-Haltingen. Die vielen Informationen in allen Zeitungen, auf den TV-Bildschirmen und im Internet sind in der Notunterkunft erst nach und nach durchgesickert. „Wir haben hier noch kein Fernsehen und auch das W-Lan kommt erst in den nächsten Wochen“, erklärt Heimleiter Bernhard Heyl beim Pressegespräch am Dienstag. „Alle zehn Tage berufen wir eine Versammlung ein und thematisieren Punkte, die die Hausordnung und das Zusammenleben in der Unterkunft betreffen“, sagt Heyl. Jenes Treffen vor gut einer Woche habe man genutzt, um auf die Ereignisse in Köln Bezug zu nehmen.

Gleich nachdem sie von den Übergriffen in der Silvesternacht erfahren haben, seien Flüchtlinge auf ihn zugekommen, um ihr Bedauern darüber auszudrücken. „Sie wollen sich Gehör verschaffen und sich von den Vorkommnissen distanzieren“, bekräftigt Junia Folk, Pressesprecherin des Landkreises.

Von der Idee einiger Flüchtlinge, eine Demonstration zu veranstalten, hat man mit Blick auf asylkritische Strömungen Abstand genommen. „Wir wollten keine unnötige Konfliktsituation heraufbeschwören und machen das deshalb in geschütztem Rahmen“, so Folk. Heyl: „Eine öffentliche Auseinandersetzung mit Pegida wollten wir den Flüchtlingen ersparen.“

Die Gelegenheit, sich vor der Presse zu äußern, nutzten stellvertretend für viele anderen zwei Männer und ein Ehepaar und beantworteten Fragen zu ihrer Sichtweise auf die Ereignisse in Köln, ihrer Vergangenheit in der Heimat und ihrem neuen Leben in Deutschland – und ihrem Rollenverständnis zwischen Mann und Frau.

„Wir möchten nicht mit den Tätern in eine Ecke gestellt werden“

Der 51-jährige Mohammad Bassam Abdullah aus Damaskus macht den Anfang: „Wir sind empört über das, was in Köln passiert ist. Wir sind vor den Bomben geflohen und haben es bis nach Deutschland geschafft. Wir versuchen, unser Leben in den Griff zu bekommen und bedanken uns bei allen Helfern – die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Jetzt wird unser Ansehen von den Menschen, die das getan haben, in den Dreck gezogen. Wir verstehen nicht, wie so etwas passieren kann und wir bedauern, was passiert ist. Aber wir sind nicht alle so und wollen nicht mit den Tätern in eine Ecke gestellt werden.“

Ali Ghazal, 46, aus Homs: „Wir respektieren unsere Frauen, das sind unsere Mütter oder Schwestern. Und wir respektieren die Frauen in Deutschland. Die Geschehnisse in Köln sind für uns unvorstellbar, so etwas könnten auch wir nicht akzeptieren – nicht in Deutschland und nicht in unserem Heimatland.“ Als Zeichen des Respekts und der Achtung habe man in der Notunterkunft Geld gesammelt, um die Frauen in Weil am Rhein mit Blumen beschenken zu können, sagt Ghazal.

Gefragt nach dem Umgang mit vielen Frauen im Willkommenskreis, die sich selbstbewusst und zupackend verhalten, äußert Mohammad Bassam Abdullah vor allem eins: Bewunderung. Es imponiere ihm und verdiene Respekt, wie engagiert diese Frauen helfen. Er sei sehr froh, das gesehen zu haben.

Die Sicht einer jungen Familie schildern Zaher Alturk und seine Frau Reem Almobed, Eltern zweier Kleinkinder. Zaher Alturk hat in Damaskus in einer Raffinerie gearbeitet. Durch den Krieg waren Nahrungsmittel knapp und das Leben nicht mehr bezahlbar. Durch eine Fassbombe hat er Knochenbrüche davongetragen, weitere körperliche Verletzungen sind sichtbar. In Deutschland seien er und seine Familie endlich in Sicherheit. Wenn er in Weil unterwegs sei, werde er von den Menschen gegrüßt – das freue ihn, denn neben einer Ausbildung wünscht er sich eine gelungene Integration.

Reem Almobed gibt Einblicke in ihre Gefühlswelt als Frau, wenn es um die Übergriffe geht. „Das ist ein barbarischer Akt und absolut inakzeptabel. Ich frage mich, wie man sich so respektlos verhalten kann, nachdem man in diesem Land so viel Hilfsbereitschaft erfahren hat.“ Sie könne nicht bestätigen, dass sexuelle Übergriffe auf Frauen in ihrer Heimat normal seien. Respekt sei wichtig und schon eine verbale Belästigung verboten. Ich hoffe, dass uns die Menschen hierzulande glauben, dass uns das alles leid tut.“ Sie habe Angst, dass nun alle Flüchtlinge mit anderen Augen gesehen werden.

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