Von Adrian Steineck Weil am Rhein. Am Sonntag gingen gut 30 Besucher mit Stadtführerin Sabine Theil auf eine faszinierende Zeitreise. Unter dem Motto „Maikäfer flieg – Weil im Großen Krieg“ verfolgten sie in Ergänzung zur Ausstellung „Riss durchs Leben“ im Museum am Lindenplatz die Spuren des Ersten Weltkriegs in Weil am Rhein. Der Erste Weltkrieg scheint weit weg zu sein. Wer denkt schon bei einer Partie „Mensch ärgere Dich nicht“, beim Passfoto oder bei einer Untersuchung mit Ultraschall an jenen verheerenden Konflikt der Jahre 1914 bis 1918" Und doch haben alle diese Dinge ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg. Erstaunliche Zusammenhänge Sabine Theil zeigte bei ihrer Stadtführung nicht nur solche mitunter erstaunlichen Zusammenhänge auf, sondern ging auch der Frage nach, wie dieser erste industrialisierte Konflikt, der aufgrund seines Ausmaßes und seiner weitreichenden Folgen von Historikern als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird, damals das Alltagsleben in Weil am Rhein prägte. Ihre Hauptquellen sind der vierteljährlich erschienene evangelische Gemeindebote, den der damalige Pfarrer Gotthold Schlusser herausgab, und der Chronik der Musikerfamilie Kaufmann. Kenntnisreich und mit viel Liebe zum Detail Gewohnt kenntnisreich und mit viel Liebe zum Detail ging die Stadtführerin zunächst der Begeisterung nach, die die Kriegserklärung des Deutschen Reiches, damals Verbündeter von Österreich-Ungarn, an Russland auslöste. Bis Weihnachten werde man wieder zu Hause sein, so die allgemeine Überzeugung, als in der Nacht des 1. Augusts 1914 Trompetenfanfaren von der Tüllinger Höhe her den Kriegsausbruch begrüßten. Von der alten Post aus, die von 1893 bis 1918 genutzt wurde und heute ein Wohnhaus ist, verteilte Briefträger Ernst Schöne die Postkarten von der Front – und die immer zahlreicher eingehenden Verlustmeldungen. Die alte Post war eine der Stationen auf der Stadtführung. Von dort aus führte Sabine Theil die Besucher zum Schlössli, dessen heutiger Besitzer Erich Ludin zahlreiche Leihgaben für die Weltkriegsausstellung im Museum am Lindenplatz zur Verfügung gestellt hat. Am früheren Standort des Hauses der Musikerfamilie Kaufmann, heute Hauptstraße 57, ließ sie die Geschichte des Kunstmalers Adolf Glattacker Revue passieren, der häufig bei Kaufmanns ein- und ausgegangen war. Glattacker hatte einige Jahre in Paris gewohnt, ehe er mit seiner französichen Frau 1910 nach Weil am Rhein, später nach Riehen zog. Bei Kriegsausbruch meldete er sich trotz seines „neutralen“ Wohnorts begeistert an die Front – „selbst auf die Gefahr hin, dort gegen den Bruder seiner Frau kämpfen zu müssen“, meinte Sabine Theil. Für den Dienst an der Waffe untauglich befunden, kam der Maler als Frontübersetzer nach Brüssel, wo er später Orden bemalen musste. Erst an Weihnachten 1918 konnte er zu seiner Familie zurückkehren. Die Grenzen wurden dichtgemacht Von einem Wohnort in Paris freilich konnten Menschen wie Adolf Glattacker nach Kriegsausbruch nur träumen. Die Grenzen wurden dichtgemacht, wer etwa über Friedlingen in die Schweiz wollte, brauchte eine Durchlasskarte, die – auch das eine Erfindung aus dem Ersten Weltkrieg – mit einem Passfoto versehen war. Beklemmend waren die von Sabine Theil gezeigten Bilder der mit Stacheldraht gesicherten Grenzverläufe. Denn spätestens im Winter 1916/1917, als die Uhren aus Gründen des Stromsparens eine Stunde vorgestellt wurden – Kriegszeit hieß das damals – war die einstige Freude und Siegesgewissheit vergangen. Kinder versuchten, im Spiel oder malerisch schlimme Erlebnisse wie den Verlust eines Angehörigen zu verarbeiten. Hierzu zeigte Sabine Theil Zeichnungen von Eugen Harr, der später das gleichnamige Geschäft in Alt-Weil gründete. Auf den Zeichnungen, die er im Alter von etwa zehn oder elf Jahren angefertigt hat, ist unter anderem zu sehen, wie die Familie seinen älteren Bruder an die Front verabschiedet, von der dieser wie so viele andere nicht mehr zurückkehren sollte. Eine weitere Station ist das frühere Bürgermeisterhaus im Bläsiring, wo Sabine Theils Ururgroßvater Philipp Bertsch wohnte und von 1904 bis 1918 als Bürgermeister die Geschicke Weils lenkte. Er hatte alle Hände voll zu tun, denn anders als etwa in Basel, wo im vergangenen Jahr im Rahmen der damaligen Weltkriegsausstellung im Museum für Geschichte ebenfalls eine Stadtführung auf den Spuren der Kriegsjahre stattfand, riss der Konflikt in Weil am Rhein unzählige Familien auseinander. Die Kindersterblichkeit stieg um 50 Prozent, nach Ende des Weltkriegs gehörten Invaliden zum alltäglichen Bild in den Straßen. Ihr Ende fand die 90-minütige Führung im Museum am Lindenplatz, wo noch bis zum 27. Mai die Ausstellung „Riss durchs Leben“ zu sehen ist. Die Resonanz auf die im vergangenen Jahr eröffnete Ausstellung des Museumskreises sei sehr gut gewesen, sagte Sabine Theil. Zwar habe sie keine genauen Besucherzahlen, aber es hätten viele Schulklassen und sonstige Gruppen wegen Führungen angefragt. Ein 13-jähriges Mädchen feierte sogar seinen Geburtstag mit einem Besuch der Weltkriegsausstellung. Der Ultraschall und der Erste Weltkrieg Sicherlich las die junge Besucherin dabei auch, was es mit den eingangs erwähnten Zusammenhängen zum Ersten Weltkrieg auf sich hat. So wurde das von Josef Schmidt 1907 entwickelte Gesellschaftsspiel „Mensch ärgere Dich nicht“ erst zum Erfolg, nachdem er mehrere tausend Exemplare während des Krieges an Lazarette verteilte. Der Ultraschall wiederum wurde zur Ortung feindlicher U-Boote entwickelt und fand nach dem Krieg zu seiner heutigen medizinischen Anwendung. So hat der Erste Weltkrieg bis heute viele Auswirkungen.