Weil am Rhein Glotzen und fotografieren statt helfen

Weiler Zeitung
Notarzt Dr. Hans-Peter Volkmer Foto: Siegfried Feuchter Foto: Weiler Zeitung

Interview: Notarzt Dr. Volkmer beklagt eine zunehmende Unsitte von Schaulustigen bei Rettungseinsätzen

Von Siegfried Feuchter

Immer öfters behindern Schaulustige nicht nur die Rettungskräfte, sondern machen von Unfallopfern mit ihren Handys auch Fotos und stellen diese ins Netz. Statt zu helfen wird fotografiert.

Weil am Rhein. Dr. Hans-Peter Volkmer aus Weil am Rhein, seit fast 40 Jahren Notarzt, davon seit 20 Jahren Leitender Notarzt, beklagt im Gespräch mit unserer Zeitung diese zunehmende Unsitte.

Werden Schaulustige immer dreister und rücksichtsloser?

Ja, es ist zur Plage geworden. Vor allem das Fotografieren und Filmen von Unfallopfern ist übel. Statt zu helfen, wird bei Unfällen das Handy gezückt und fotografiert. Aber es gibt Gott sei Dank noch viele Leute, die wichtige Erste Hilfe leisten und dadurch unter Umständen auch Leben retten.

Was machen Gaffer mit den von Unfällen gemachten Filmen?

Diese werden zu allem Übel ins Internet gestellt und auch noch mit unrichtigen Kommentaren versehen, so dass es zu vielen Falschmeldungen und zu Verunsicherungen kommt. Die Gier nach „Likes“ in den sozialen Netzwerken ist offensichtlich groß. Das ist eine Katastrophe!

Nennen Sie doch bitte Beispiele aus Ihrem Alltag, bei denen Rettungskräfte behindert worden sind.

Auf der Autobahn werden bei Unfällen beispielsweise keine Rettungsgassen freigemacht, sodass die Hilfskräfte erst später ans Ziel kommen. Ein weiterer Vorfall: Bei einem Rettungseinsatz auf der Dreiländerbrücke kam ein Passant mit dem Handy in der Hand und filmte das Unfallgeschehen, während Rettungskräfte und ich uns um den Schwerverletzten kümmerten. Als der Mann durch die Polizei des Platzes verwiesen wurde, wurde er noch aggressiv und ausfallend.

Sind solche Vorfälle eine Ausnahme?

Leider nein, ich könnte noch zahlreiche Beispiele anführen. Für Patienten ist dieses Verhalten entwürdigend. Zudem wird das Leid des Einzelnen zur Befriedigung der Sensationslust missbraucht. Notfalls hole ich die Polizei, damit solche Leute von der Unfallstelle entfernt werden. Denn wir Rettungskräfte haben nicht die Befugnis, Platzverweise auszuprechen.

Gibt es keine rechtliche Handhabe, gegen Schaulustige vorzugehen?

Doch, es soll in Kürze ein neues Gesetz geben, das Gaffer bremsen soll. Die Strafen bei Behinderung von Rettungseinsätzen oder bei aggressivem Verhalten gegenüber Rettungskräften wie Feuerwehr, DRK und Polizei sollen deutlich verschärft werden. Es ist bedauerlich, dass es solche Gesetze braucht und dass bei einigen Leuten das Bewusstsein für ein angemessenes Verhalten fehlt. Für die Rettungskräfte ist es hinderlich, wenn bloße Gaffer im Weg herumstehen, und den Patienten gegenüber ist es respektlos. Es wäre zu wünschen, dass diese Leute lieber einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren, um helfen und womöglich Leben retten zu können. Jeder sollte sich bewusst sein, dass er selbst einmal in eine Lage geraten kann, in der er Hilfe benötigt.

Sie sind seit fast 40 Jahren Notarzt und seit 20 Jahren Feuerwehrarzt. Wie stark belasten Rettungskräfte schlimme Unfälle und andere Einsätze, bei denen Schwerverletzte und gar Tote zu beklagen sind?

Für jede ehrenamtliche Rettungskraft sind solche Einsätze, bei denen es Unfallopfer und Tote gibt, belastend. Mit zunehmender Erfahrung weiß man zwar, mit solchen Situationen umzugehen, doch letztlich geht es unter die Haut. Diese Einsätze steckt man nicht so leicht weg.

Deshalb gibt es beispielsweise bei der Feuerwehr für schwierige Einsätze hinterher psychologische und seelsorgerische Betreuung.

Ja, es ist sehr wichtig, dass das Erlebte im Team nachbesprochen und aufgearbeitet wird.

Was war Ihr schlimmstes Erlebnis als Notarzt?

Vor etwa 15 Jahren hatte ich innerhalb von zwölf Wochen drei besonders harte Einsätze. In einem Fall musste ich, was ich bei Eingang des Notrufs nicht wusste, einen guten Bekannten von mir reanimieren – leider erfolglos. Der zweite Fall war eine Selbstverbrennung. Und dann musste ich noch erleben, dass an der Kandermündung ein Vater sein Kind retten wollte und dabei selbst ertrank, während das Kind überlebte.

Setzen solch schlimme Situationen auch einem Arzt zu?

Ja, ich habe fast ein Jahr gebraucht, um wieder richtig Fuß zu fassen und wollte meine Notarzttätigkeit schon einstellen, so stark sind mir diese Fälle nahegegangen. Aber Sie sehen ja – ich bin doch noch dabei.

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