Weil am Rhein Haltingen machte den Anfang

Weiler Zeitung

Geschichte: Der Beginn des Rebenaufbaus in Baden vor 75 Jahren / Krisen und Probleme nach dem Krieg

Von Markus Eisen

Für Haltingen lässt sich dieses Jahr ein weiteres Jubiläum verzeichnen – mit Bedeutung für den badischen Weinbau insgesamt. Im Folgenden wird die erste Phase des Haltinger Rebenaufbaus von 1942 bis 1944 in ihren besonderen zeitgeschichtlichen Zusammenhängen dargestellt.

Weil am Rhein-Haltingen. Die nach 1860 aus Amerika eingeschleppte Reblaus, die sich an den Wurzeln der Reben einnistet und diese zerstört, bedrohte den europäischen Weinbau über Jahrzehnte in seiner Existenz. Ihre direkte chemische Bekämpfung war mühsam und blieb relativ wirkungslos. Erst die indirekte biologische Bekämpfung mittels Neupflanzung mit reblausresistenten Pfropfreben brachte Erfolg.

Dieser „Rebenaufbau“, oft verbunden mit einer Rebflurbereinigung, kam allgemein in Baden erst ab 1950 in Gang. Doch einzelne Winzerorte begannen damit bereits im Krieg. Den Anfang dabei machte zusammen mit Oberrottweil 1942 Haltingen, hier veranlasst durch die schwere Zerstörung des Ortes 1940.

Die Reblaus wurde in Deutschland erstmals 1874 bei Bonn festgestellt, in Baden erst 1913 am Isteiner Klotz, dann aber schon bald auch in Fischingen, Binzen, Schliengen und Grenzach. Aufgrund des Ersten Weltkriegs konnten die Reben jahrelang nur unzulänglich gepflegt werden, sodass die Reblaus sich stark ausbereitete.

Krisenjahre des Weinbaus nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Krieg wurde auch in Baden gemäß Reblausgesetz zunächst das Vernichtungsverfahren praktiziert, indem Arbeiterkolonnen die befallenen Wurzeln ausgruben und den Boden mit Schwefelkohlenstoff entseuchten.

Zum damaligen Niedergang des Weinbaus in Haltingen, der sich im Schwund der Rebfläche von 52 Hektar im Jahr 1900 auf 25 Hektar im Jahr 1936 zeigt, trug auch die besondere örtliche Entwicklung aufgrund der Grenznähe bei. Die Nachbarschaft Haltingens zum Verkehrsknotenpunkt Basel führte zur Einrichtung eines Bahnbetriebswerk ab 1912 und des Rangierbahnhofs Weil-Haltingen ab 1913.

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte eine zunehmende Abwanderung aus der Landwirtschaft zur Eisenbahn ein. Der Erste Weltkrieg beendete auch die seit alters für Haltingen bestehende zollfreie Weineinfuhr nach Basel.

Die anhaltende Krisenlage führte zum Zusammenschluss der Haltinger Winzer in der am 5. Juni 1936 gegründeten Winzergenossenschaft.

Kriegszerstörung des Haltinger Oberdorfs 1940

Im Zweiten Weltkrieg wirkte sich die Grenznähe Haltingens verhängnisvoll aus. Bald nach Kriegsbeginn wurde am 3. September 1939 für die Rheinanliegerorte die Evakuierung angeordnet. So verblieb ein Großteil der Haltinger bis Jahresende in der Bodenseegegend. Nach Beginn der Kampfhandlungen mit Frankreich im Mai 1940 wurde Haltingen am 26. Mai erneut evakuiert, nur eine kleine Gruppe von Männern blieb zur Bewachung am Ort.

Eine Nacht nach der fast vollständigen Zerstörung der Stadt Neuenburg durch französische Artillerie kurz vor deren Rückzug ging es Haltingen ähnlich: vom 11. auf den 12. Juni 1940 wurde das Haltinger Oberdorf durch einen mehrstündigen Beschuss weitgehend zerstört.

Bald nach der Niederlage Frankreichs sorgte das NS-Regime in Haltingen für einen groß aufgezogenen Wiederaufbau. Ein Architektenstab plante hier ein „kommendes Markgräfler Musterdorf“. Den Sommer über erbauten Arbeitsdienstverbände eine Barackensiedlung, die den 86 obdachlosen Haltinger Familien ab Mitte September 1940 Unterkunft bot. Nach Abbruch der Ruinen über den Winter 1940/41 begannen Bautrupps im Frühjahr 1941 mit dem Neubau vorrangig von bäuerlichen Anwesen. Auf die Errichtung von 14 „Erbhöfen“ beschränkte sich dann Haltingens Wiederaufbau während dem Krieg.

Am 1. Mai 1942 begann der Rebenaufbau

Die Ereignisse von 1940 führten in diesem Jahr zu einem vollständigen Herbstausfall. Die unterbliebene Rebenpflege aufgrund der Evakuierungen und des vordringlichen Wiederaufbaus und der Beschuss hatten den Zustand der Reben so verschlechtert, dass nur noch ihre Neuanlage in Frage kam. Viele Winzer scheuten begreiflicherweise damals die Zusatzbelastungen durch den Rebenaufbau, zumal einige Hofinhaber zum Militär einberufen worden waren.

Aber Bürgermeister Oldeboershuis drängte sie dazu auf vielen Versammlungen und durch persönliches Zureden. Mit weiteren tatkräftigen Unterstützern wie zum Beispiel Fritz Kaufmann-Fischer gelang es schließlich, einige Winzer für den Rebenaufbau zu mobilisieren. Bereits im Spätjahr 1941 begannen die ersten Winzer ihre Reben zu roden. Über den Winter stellten Frauen aus Haltingen in der Rebveredelungsanstalt Bürglin in Weil Pfropfreben her, indem sie reblausfeste Wurzelreben aus Amerika mit Edelreisern aus Haltingen pfropften.

Im März 1942 wurde die Rigolarbeit fortgesetzt, das Roden und Umgraben der Rebfläche. Mit einem Sechsergespann mit schweren Ackergäulen gelang es, eine erste Fläche von 3,5 Hektar durchzupflügen. Hinter dem Pflug wurden die alten Rebwurzeln durch polnische und französische Kriegsgefangene ausgerissen. Die Kriegsgefangenen wurden am Kriegsanfang vorwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt, später zunehmend auch in der Industrie.

Am 1. Mai 1942 begannen Jung und Alt mit dem gemeinschaftlichen Rebenaufbau, der in einem Zeitraum von zehn Tagen durchgeführt wurde. Für diese Zusatzarbeit nutzte man möglichst die Sonn- und Feiertage. Nach der Weinlese 1942 konnte für den zweiten Bauabschnitt schon ein Raupenschlepper eingesetzt werden für die Bearbeitung der steileren Hanglagen. Bis Weihnachten 1942 war der ganze Abschnitt mit 9 Hektar rigolt.

Die Rebenaufbaugenossen- schaft

Im ersten Jahr hatte die Winzergenossenschaft den Rebenaufbau durchgeführt, aber rechtlich war dafür eine eigenständige Rebenaufbaugenossenschaft (RAG) erforderlich. Diese wurde am 3. März 1943 gegründet. Als Vorstände gewählt wurden Bürgermeister Oldeboershuis, Hermann Fischer, Fritz Diether und Hermann Schaufelberger. Dem Aufsichtsrat gehörten Fritz Scherer als Vorsitzender an sowie Fritz Kaufmann-Fischer, Karl Sprich, Julius Kaufmann-Lutz, Fritz Fischer und Emil Hütter. Als einige einberufen wurden, lag die Organisation des Rebenaufbaus während dem Krieg hauptsächlich bei Hermann Fischer als technischem Leiter und Hermann Schaufelberg als Rechner. Beide waren zugleich WG-Vorstände und konnten daher beide Genossenschaften gut koordinieren.

Von Ende April bis Mitte Juni 1943 wurde eine nun wesentlich größere Fläche mit Pfropfreben bepflanzt. Zuerst teilten die Winzer zusammen mit einem Geometer das Gelände ein (Auszeilen) und setzten die Rebstecken (Sticken). Das anschließende Pflanzen geschah „kollektiv“, so der damalige Sprachgebrauch: Männer hoben Löcher aus, Frauen und Mädchen pflanzten die Reben, Kinder brachten Kompost und Wasser herbei. Erdarbeiten wie Wegebau und Drainagegräben wurden vor allem durch die Kriegsgefangenen ausgeführt. Danach wurden die Böden gegen die Reblaus mit Schwefelkohlenstoff desinfiziert.

Im Frühjahr 1944 konnte noch ein dritter Bauabschnitt mit einer Rebfläche von etwa vier Hektar neu angelegt werden, sodass der während dem Krieg durchgeführte Rebenaufbau auf rund 16 Hektar kam. Inzwischen war der Krieg in das Endstadium der totalen Mobilmachung eingetreten. Am 18. Oktober 1944 wurde auch in Südbaden die Einberufung zum „deutschen Volkssturm“ verkündet.

Vor diesem Hintergrund wird man aus dem Beschluss des WG-Vorstandes vom 25. August 1944 „trotz der schlechten Aussichten die Kelter herzurichten“ düsterste Untertöne heraushören können. Es sollte fünf Jahre dauern, bis in Haltingen der Rebenaufbau fortgesetzt werden konnte.

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