Weil am Rhein. Berufspendlern, die auf öffentlichen Nahverkehr umsteigen wollen, stellt die derzeitige Infrastruktur am Weiler Bahnhof einige Hürden in den Weg. Das musste auch Hansjörg Weckerlin aus Bad Bellingen erfahren, der unlängst sogar des Schwarzfahrens verdächtigt wurde. Er schildert seine Erlebnisse vom 8. Oktober wie folgt: „An diesem Mittwoch wollten die Lokführer der Deutschen Bahn ihren Streik um 6 Uhr morgens beenden. Voller Hoffnung stand ich also um 6.34 Uhr am Bahnhof Bad Bellingen, um meine Punktekarte zu entwerten, sollte der Zug tatsächlich fahren. Und siehe da, er kam sogar pünktlich um die Ecke. Allerdings war der Automat defekt (er war es auch noch 14 Tage später) und verhinderte durch einen Stahlstift jeden Versuch, die Punktekarte zu stempeln. Als pflichtbewusster Bahnkunde durchsuchte ich den ganzen Zug nach einem Bahnbediensteten, der mir die fünf Punkte bis Lörrach abstempeln sollte. Die Punkte selbst per Kugelschreiber zu entwerten wäre nämlich Urkundenfälschung, wie ein Kontrolleur kürzlich zwei 14-jährigen Mädchen beibog. Ich würde also beim Umsteigen in Weil am Rhein meine Karte stempeln müssen. „Fahrgäste rennen wie auf der Flucht durch die Unterführung“ Nur Bahnkunden können ermessen, was das bedeutet. Weil am Rhein hat als Grenzstadt mit knapp 30 000 Einwohnern seit 18 Jahren kein Bahnhofsgebäude mehr. Reisende aus Richtung Freiburg haben morgens fünf Minuten Zeit zum Umsteigen zwischen der Ankunft ihres Zuges auf Gleis 8 und der Abfahrt des SBB-Triebwagens in Richtung Wiesental auf Gleis 1. Wenn die Züge pünktlich sind. Sehr oft sind sie nicht pünktlich. Dann steht man vor der Wahl, bis Basel weiterzufahren und zu spät zur Arbeit zu kommen oder zu versuchen, die Wiesentalbahn noch zu erwischen. 50 bis 100 Fahrgäste rennen wie auf der Flucht durch die Unterführung. Der Treppenaufgang zum Gleis 1 ist nur zwei Meter breit. Am oberen Treppenabsatz herrscht Betrieb: Dort stehen alle Automaten, dort hängt der Fahrplan und dort warten diejenigen, die in die Innenstadt wollen, an der Fußgängerampel. Dahinter engt ein Geländer den Weg zum Bahnsteig ein. Alle Fahrgäste sind gezwungen, sich durch dieses Nadelöhr zu quetschen. Nadelöhr am Zugang zum Bahnsteig Dann kann es geschehen, dass der Lokführer vor den Augen der „Laufkundschaft“, die aus der Unterführung springt, davonfährt. Nachmittags läuft das Spiel in der entgegengesetzten Richtung ab. An besagtem Mittwoch war wieder einmal Frühsport angesagt. Unmittelbar vor der Abfahrt der Wiesentalbahn kamen wir auf Gleis 1 an. Im Gedränge stand ein Mensch und versuchte vergeblich, seine Punktekarte zu stempeln. Schwer zu sagen, ob er sich nur ungeschickt anstellte oder ob dieser Automat ebenfalls defekt war. Jedenfalls blieb keine Zeit mehr, das festzustellen, weshalb ich auch in diesen Zug ohne entwertete Karte einstieg. In Lörrach hätte ich unerkannt aussteigen können, stellte mich aber den neu zugestiegenen Inkassobeauftragten der Bahn. Ich wurde über meine Rechte belehrt und bis zur Klärung des Sachverhalts gnädig entlassen. Beide Bahnbetreiber, DB und SBB, verbieten ihren Kunden, ohne Fahrschein einen Zug zu besteigen. Bei Zuwiderhandlung droht ein erhöhter Fahrpreis von mindestens 40 Euro. Ich hätte mich streng genommen davon überzeugen müssen, dass der Automat tatsächlich defekt war und erst den nächsten Zug nehmen dürfen. Erleichtert war ich vor einigen Tagen deshalb über den „Freispruch“ durch die SBB. Der Entwerter in Weil am Rhein sei tatsächlich defekt und ich deshalb nicht schwarz gefahren. Nach einer Auffassung erfüllt ein Transportmittel seine Funktion nur dann, wenn der Transport zuverlässig stattfindet. Ist man auf Anschlüsse angewiesen oder hat wichtige Termine, können auch fünf Minuten Verspätung entscheidend sein. Wer immer wieder dazu gezwungen wird, aufgrund eines disfunktionalen Beförderungssystems Termine zu verpassen, muss andere Wege suchen. Als ehemals treuer Bahnkunde seit 1981 benutze ich neuerdings allerdings bis auf Ausnahmen das Auto, um zur Arbeit zu kommen“.