Welche Bedeutung hat für Sie als Kulturschaffender die Kultur?
Kommunale Kultur hat auch eine soziale Verantwortung. Identität mit dem persönlichen regionalen Umfeld kann durch kulturelle Prozesse entstehen oder gefördert werden. Ich finde repräsentative Kultur nicht so interessant und für die Nachhaltigkeit nicht so wichtig. Da die Stars in einer global informierten Welt überall touren, macht das nicht das besondere Flair eines Ortes aus. Das entsteht durch nachhaltige Prozesse, durch gestaltende Menschen.
Im Vergleich zu anderen Städten kommt Weil am Rhein mit einem bescheidenen Kulturbudget aus. Dennoch bieten Sie ein vielfältiges und qualitätsorientiertes Kulturangebot, das über die Stadtgrenzen hinaus beachtet wird. Wie schaffen Sie das?
In der öffentlichen oder medialen Wahrnehmung wirken oft nur Veranstaltungen mit Stars als Höhepunkte und darunter eher die „Konsumenten-Highlights“, wie ich sie nennen würde. Sternstunden sind durchaus auch unser Ziel. Aber die nachhaltigen Ziele würde ich eher mit „anregen, berühren, Sinn stiften“ bezeichnen. Ich glaube, dass man erkannt hat, dass alle kulturellen Angebote tief in der Stadt verwurzelt sind und von vielen Schultern getragen werden. Das ist offensichtlich spürbar. Ich bin stolz darauf, dass dies von allen Kulturabteilungen und vielen freien Mitarbeitern verinnerlicht worden ist und vorgelebt wird: vom Engagement der Musikschule bis hin zu den Ausstellungen des Museumskreises, von vielen Vereinen. Und damit lassen sich wunderbare Kultur-Ereignisse gestalten. Im Schatten von Basel und Lörrach hat sich Weil am Rhein in der Kulturarbeit einen eigenen Stellenwert erkämpft.
Wo siedeln Sie diesen an?
Ich sehe unsere Strukturen und Angebote als Beitrag zur Metropolregion und nicht als zu vergleichendes Profil eines Wettbewerbers. Nischen zu entdecken ist ein erster Schritt dazu, solche Beiträge sinnvoll zu gestalten. So gesehen leben wir nicht im Schatten, sondern haben genauso einen Platz an der Sonne in einer Region mit einer faszinierenden kulturellen Vielfalt. Ich habe die Grenzlage immer als spannend empfunden, weil sie uns andere Chancen eröffnet hat. Wir sind Teil einer großen Agglomeration und trotzdem eigenständige große Kreisstadt. Wir bekommen auch Publikum aus der Schweiz und Frankreich und können die vielen Angebote genießen. Wir müssen deshalb nicht alles selber produzieren und können uns auf besondere Projekte fokussieren.
Wo sehen Sie kulturell Weils Stärken und Schwächen?
Die offensichtliche Schwäche, eine typische suburbane Struktur ohne gewachsenes Zentrum zu haben, birgt gleichzeitig die Stärke der Vielseitigkeit und Farbigkeit der vielen unterschiedlich geprägten Stadtteile. Das versuchen wir, mit unserem Kulturkonzept aufzugreifen. Schauen Sie sich aber unseren Kulturkalender an: diese Breite und Qualität an Kunst-Galerien und Kunst-Projekten ist für diese Stadtgröße einmalig. Vom Vitra Campus über die colab gallery, dem Kunstraum Kieswerk, die Städtische Galerie, Kunstverein, die Galerien Stahlberger, Hanemann und „underground“, vom Rehberger-Weg über den Regio-Kunstweg zur Urban Art in Friedlingen, dem ART-Dorf-Ötlingen, die Artothek, den Ateliers im Kesselhaus, den Maxi-Stühlen und der Skulpturen-Galerie Hauptstraße – es ist offensichtlich, dass wir einen Kunst-, Architektur- und Design-Schwerpunkt haben, ohne andere Bereiche zu vernachlässigen.
Wie beurteilen Sie die kulturellen Perspektiven in der Grenzstadt, die ohne Bürgerhaus mit einem ansprechenden Veranstaltungsraum auskommen muss?
Ich will diesen Umstand nicht bejammern, sondern die Chancen darin sehen, ungewöhnliche Orte zu entdecken und zu bespielen. Das hat schon zu einmaligen Erlebnissen geführt. Wir haben wunderschöne Kirchen, erfolgreiche Open-Air-Festivals und lebhafte Kleinkunst-Zentren. Wir haben immer wieder Projekte wie am 21. und 22. Oktober, bei dem wir insgesamt 16 Orte „bespielen“, die man sonst nie betreten oder erleben würde. Was würden Sie als größten Erfolg bezeichnen" Spätestens jetzt muss ich noch mal betonen, dass ich mich als Anstifter, als Fantasie-Quelle oder aktiver Förderer von Kreativität empfinde. Was dann gelingt, ist der Erfolg von vielen Beteiligten. Es gibt so viele Glücksmomente bei mir und anderen Akteuren, wenn Veranstaltungen und Kultur-Orte Menschen glücklich machen.
Gab es in den 30 Jahren auch Enttäuschungen?
Ja, natürlich. Diese werden reflektiert, abgearbeitet und abgehakt. Sie verfügen über ein ausgezeichnetes Netzwerk in der Kulturszene. Kommt Ihnen da auch entgegen, dass Sie selbst als Musiker auftreten und auch Kulturreisen organisieren" Bisweilen schon, wenn Musikgruppen erkennen, dass ich ihre Standpunkte aus eigener Anschauung nachvollziehen kann oder es viele gibt, die mich trotz Low-Budget-Basis unterstützen. Aber zwischen Menschen funktioniert es doch vor allem, wenn man sich versteht, schätzt und respektiert. Dafür braucht es auch Zeit, die uns allen viel zu oft fehlt.
Sie haben einen guten Namen in Kulturkreisen. Gab es da nie Überlegungen, eine neue Herausforderung anzustreben? Sie sind ja auch mal in Freiburg als Kulturreferent ins Gespräch gebracht worden.
Es gab eigentlich nur einen Zeitpunkt nach der Grün99, die ich als Zäsur wahrgenommen hatte. Aber ich liebe diese Region, mir war immer klar, wo sich meine Familie und ich wohlfühlen. Außerdem bleibt meine Vorstellung von Kulturarbeit immer eine Herausforderung, die unglaublich viel Spaß macht. Und ich war immer dankbar für den Gestaltungsspielraum, der uns eingeräumt wird.
Als kreativer Geist stecken Sie auch nach 30 Jahren noch voller Ideen. Was ist künftig an neuen Akzenten zu erwarten?
Leider können wir das alles gar nicht mehr verwirklichen, was an Ideen vorhanden ist. Aber in diesem Jahr gab es mit der Kulturnacht und dem erwähnten Herbstprojekt schon zwei völlig neue Projekte. Ich muss die personellen und finanziellen Ressourcen beachten und kann deshalb neue Ideen nur realisieren, wenn man sich von anderen verabschiedet.
Machen Sie sich mit 61 Jahren schon mal Gedanken über einen ruhigeren Lebensabschnitt?
Ich mache mir Gedanken über Lebensinhalte, für die ich gerne noch viel mehr Zeit hätte: meine Enkelinnen, Familie, Freunde. Ich pflege mein Fernweh jetzt schon. Aber ich bin mir sicher, dass mein Arbeitsalltag bis zum letzten Tag bewegt und erfüllt bleiben wird.