Weil am Rhein „Ich war sofort Feuer und Flamme“

Weiler Zeitung

InterviewTonio Paßlick seit 30 Jahren Kulturamtsleiter in Weil am Rhein / Mit profilierter Kulturarbeit Maßstäbe gesetzt

Weil am Rhein (sif). Tonio Paßlick ist seit 30 Jahren kreativer und ideenreicher Kulturamtsleiter in Weil am Rhein. Er hat in diesen drei Jahrzehnten Strukturen für eine qualitätsorientierte Kulturarbeit geschaffen, die über Weil am Rhein hinaus Beachtung findet. Er hat unter anderem Volkshochschule und Museumslandschaft ausgebaut, ein kulturelles Netzwerk aufgebaut, vielfältige Impulse gegeben und mit dem Bläserfestival und Kieswerk-Open-Air hochkarätige Veranstaltungen etabliert. Tonio Paßlick, so wird allenthalben anerkannt, hat mit seiner profilierten Kulturarbeit Maßstäbe gesetzt. Mit ihm sprach Siegfried Feuchter.

Sie waren Redakteur, als Sie sich damals um die Leitung des Weiler Kulturamts beworben hatten. Gegen 300 Kandidaten setzten Sie sich durch. Was reizte Sie an der neuen Aufgabe?

Kulturarbeit in einem eigenen Amt gab es vorher nicht in Weil am Rhein. Dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Peter Willmann schwebte 1986 der Aufbau einer kommunalen Kultur-Struktur in einem Amt vor. Es ist grundsätzlich eine faszinierende Herausforderung, ein Projekt neu aufbauen zu können. Da ich schon seit meiner Studentenzeit Konzerte und Ausstellungen organisiert hatte und selber als Musiker unterwegs bin, war ich sofort Feuer und Flamme. Und ich spürte, welches Vertrauen in mich gesetzt wurde.

Jeder, der die dynamische Entwicklung des Weiler Kulturlebens in den vergangenen drei Jahrzehnten beobachtet, kommt wohl zu dem Schluss: Sie waren ein Glücksgriff für Weil. Mit welchen Zielen sind Sie damals angetreten?

Mein Vorstellungs-Konzept passte damals auf eine DIN A 4-Seite. Entscheidend sind nicht Zahlen als Ziele, sondern der Spirit, mit dem solche Aufgaben angepackt werden. Und viele Chancen ergeben sich auf dem Weg – was sich dann auch gezeigt hat. Auf jeden Fall wollte ich zunächst angemessene Infrastrukturen einführen und dabei meine Vorstellung von partizipativer Kulturpolitik umsetzen – also möglichst viele Menschen dabei mitnehmen. Ein Glücksfall war stets für mich, dass ich in diesen drei Jahrzehnten von den beiden Oberbürgermeistern, von engagierten und belastbaren Mitarbeitern und dem Gemeinderat immer vorbehaltlos unterstützt worden bin. Konnten Sie all das, was Sie sich vorgenommen hatten, auch umsetzen" Weit mehr noch. Wobei wir auch sehr viel Glück hatten. Es war eine Phase des allgemeinen Umbruchs in der Stadt. 1988 wurden zwei Industriebrachen in Friedlingen von der Stadt gekauft, damit wurde auch die Chance für ein Kulturzentrum Kesselhaus geschaffen. Die katholische Kirche weihte 1989 eine neue Kirche ein. Mein Vorschlag, die alte Kirche St. Peter und Paul zu kaufen und in eine Stadtbibliothek zu verwandeln, konnte nach hartem politischem Überzeugungskampf gelingen. 1989 wurde das Vitra Design Museum eröffnet, das war der Grundstein für den weltweit bekannten Campus. 1986 wurde ich damit konfrontiert, dass zwei historische Gebäude ohne öffentliche Umnutzung abgerissen werden müssten. Daraus entwickelte ich das dezentrale Museumskonzept, die politische Basis für die Dorfstube Ötlingen und das Landwirtschaftsmuseum.

Sie haben also die sich bietenden Chancen genutzt?

Man musste einfach Chancen und Gelegenheiten erkennen, Konzepte entwickeln und dafür kämpfen. Eigentlich hatte ich nur vor, nacheinander die VHS, das städtische Museum, die Kunst, die Bibliothek und das Veranstaltungsangebot nachhaltig zu vergrößern. Die erwähnten Chancen haben innerhalb der ersten neun Jahre einen Entwicklungsboom ausgelöst: die neue Bibliothek mit professioneller Betreuung, das Kesselhaus mit Ateliers, ein von Grund auf renoviertes Museum und drei weitere Filial-Museen, ein Theater-Abo mit damals 500 Abonnenten, zahlreiche Konzertreihen, eine städtische Galerie und breit aufgestellte Bildungsangebote wurden geschaffen, während gleichzeitig die moderne Architektur blühte.

Bot die Landesgartenschau Ende der 90er Jahre eine Möglichkeit, das Kulturangebot weiter auszubauen? In der Tat. Im zweiten Abschnitt zwischen 1995 und 1999 war mein Bemühen, die Struktur der Grün99 so zu beeinflussen, dass anders als in vielen anderen Städten möglichst viele Menschen in der Stadt eingebunden werden. Die Idee, Stadtführer und Märchenerzähler auszubilden, war geboren, das Kieswerk wurde saniert, die Zeitachse führte zu künftigen Veranstaltungsorten mit ganz unterschiedlichen Profilen, die seither entsprechend genutzt werden. Und in der Zeit nach 2000 legten wir einen Schwerpunkt in ein unverwechselbares Veranstaltungsprofil.

Welche Bedeutung hat für Sie als Kulturschaffender die Kultur?

Kommunale Kultur hat auch eine soziale Verantwortung. Identität mit dem persönlichen regionalen Umfeld kann durch kulturelle Prozesse entstehen oder gefördert werden. Ich finde repräsentative Kultur nicht so interessant und für die Nachhaltigkeit nicht so wichtig. Da die Stars in einer global informierten Welt überall touren, macht das nicht das besondere Flair eines Ortes aus. Das entsteht durch nachhaltige Prozesse, durch gestaltende Menschen.

Im Vergleich zu anderen Städten kommt Weil am Rhein mit einem bescheidenen Kulturbudget aus. Dennoch bieten Sie ein vielfältiges und qualitätsorientiertes Kulturangebot, das über die Stadtgrenzen hinaus beachtet wird. Wie schaffen Sie das?

In der öffentlichen oder medialen Wahrnehmung wirken oft nur Veranstaltungen mit Stars als Höhepunkte und darunter eher die „Konsumenten-Highlights“, wie ich sie nennen würde. Sternstunden sind durchaus auch unser Ziel. Aber die nachhaltigen Ziele würde ich eher mit „anregen, berühren, Sinn stiften“ bezeichnen. Ich glaube, dass man erkannt hat, dass alle kulturellen Angebote tief in der Stadt verwurzelt sind und von vielen Schultern getragen werden. Das ist offensichtlich spürbar. Ich bin stolz darauf, dass dies von allen Kulturabteilungen und vielen freien Mitarbeitern verinnerlicht worden ist und vorgelebt wird: vom Engagement der Musikschule bis hin zu den Ausstellungen des Museumskreises, von vielen Vereinen. Und damit lassen sich wunderbare Kultur-Ereignisse gestalten. Im Schatten von Basel und Lörrach hat sich Weil am Rhein in der Kulturarbeit einen eigenen Stellenwert erkämpft.

Wo siedeln Sie diesen an?

Ich sehe unsere Strukturen und Angebote als Beitrag zur Metropolregion und nicht als zu vergleichendes Profil eines Wettbewerbers. Nischen zu entdecken ist ein erster Schritt dazu, solche Beiträge sinnvoll zu gestalten. So gesehen leben wir nicht im Schatten, sondern haben genauso einen Platz an der Sonne in einer Region mit einer faszinierenden kulturellen Vielfalt. Ich habe die Grenzlage immer als spannend empfunden, weil sie uns andere Chancen eröffnet hat. Wir sind Teil einer großen Agglomeration und trotzdem eigenständige große Kreisstadt. Wir bekommen auch Publikum aus der Schweiz und Frankreich und können die vielen Angebote genießen. Wir müssen deshalb nicht alles selber produzieren und können uns auf besondere Projekte fokussieren.

Wo sehen Sie kulturell Weils Stärken und Schwächen?

Die offensichtliche Schwäche, eine typische suburbane Struktur ohne gewachsenes Zentrum zu haben, birgt gleichzeitig die Stärke der Vielseitigkeit und Farbigkeit der vielen unterschiedlich geprägten Stadtteile. Das versuchen wir, mit unserem Kulturkonzept aufzugreifen. Schauen Sie sich aber unseren Kulturkalender an: diese Breite und Qualität an Kunst-Galerien und Kunst-Projekten ist für diese Stadtgröße einmalig. Vom Vitra Campus über die colab gallery, dem Kunstraum Kieswerk, die Städtische Galerie, Kunstverein, die Galerien Stahlberger, Hanemann und „underground“, vom Rehberger-Weg über den Regio-Kunstweg zur Urban Art in Friedlingen, dem ART-Dorf-Ötlingen, die Artothek, den Ateliers im Kesselhaus, den Maxi-Stühlen und der Skulpturen-Galerie Hauptstraße – es ist offensichtlich, dass wir einen Kunst-, Architektur- und Design-Schwerpunkt haben, ohne andere Bereiche zu vernachlässigen.

Wie beurteilen Sie die kulturellen Perspektiven in der Grenzstadt, die ohne Bürgerhaus mit einem ansprechenden Veranstaltungsraum auskommen muss?

Ich will diesen Umstand nicht bejammern, sondern die Chancen darin sehen, ungewöhnliche Orte zu entdecken und zu bespielen. Das hat schon zu einmaligen Erlebnissen geführt. Wir haben wunderschöne Kirchen, erfolgreiche Open-Air-Festivals und lebhafte Kleinkunst-Zentren. Wir haben immer wieder Projekte wie am 21. und 22. Oktober, bei dem wir insgesamt 16 Orte „bespielen“, die man sonst nie betreten oder erleben würde. Was würden Sie als größten Erfolg bezeichnen" Spätestens jetzt muss ich noch mal betonen, dass ich mich als Anstifter, als Fantasie-Quelle oder aktiver Förderer von Kreativität empfinde. Was dann gelingt, ist der Erfolg von vielen Beteiligten. Es gibt so viele Glücksmomente bei mir und anderen Akteuren, wenn Veranstaltungen und Kultur-Orte Menschen glücklich machen.

Gab es in den 30 Jahren auch Enttäuschungen?

Ja, natürlich. Diese werden reflektiert, abgearbeitet und abgehakt. Sie verfügen über ein ausgezeichnetes Netzwerk in der Kulturszene. Kommt Ihnen da auch entgegen, dass Sie selbst als Musiker auftreten und auch Kulturreisen organisieren" Bisweilen schon, wenn Musikgruppen erkennen, dass ich ihre Standpunkte aus eigener Anschauung nachvollziehen kann oder es viele gibt, die mich trotz Low-Budget-Basis unterstützen. Aber zwischen Menschen funktioniert es doch vor allem, wenn man sich versteht, schätzt und respektiert. Dafür braucht es auch Zeit, die uns allen viel zu oft fehlt.

Sie haben einen guten Namen in Kulturkreisen. Gab es da nie Überlegungen, eine neue Herausforderung anzustreben? Sie sind ja auch mal in Freiburg als Kulturreferent ins Gespräch gebracht worden.

Es gab eigentlich nur einen Zeitpunkt nach der Grün99, die ich als Zäsur wahrgenommen hatte. Aber ich liebe diese Region, mir war immer klar, wo sich meine Familie und ich wohlfühlen. Außerdem bleibt meine Vorstellung von Kulturarbeit immer eine Herausforderung, die unglaublich viel Spaß macht. Und ich war immer dankbar für den Gestaltungsspielraum, der uns eingeräumt wird.

Als kreativer Geist stecken Sie auch nach 30 Jahren noch voller Ideen. Was ist künftig an neuen Akzenten zu erwarten?

Leider können wir das alles gar nicht mehr verwirklichen, was an Ideen vorhanden ist. Aber in diesem Jahr gab es mit der Kulturnacht und dem erwähnten Herbstprojekt schon zwei völlig neue Projekte. Ich muss die personellen und finanziellen Ressourcen beachten und kann deshalb neue Ideen nur realisieren, wenn man sich von anderen verabschiedet.

Machen Sie sich mit 61 Jahren schon mal Gedanken über einen ruhigeren Lebensabschnitt?

Ich mache mir Gedanken über Lebensinhalte, für die ich gerne noch viel mehr Zeit hätte: meine Enkelinnen, Familie, Freunde. Ich pflege mein Fernweh jetzt schon. Aber ich bin mir sicher, dass mein Arbeitsalltag bis zum letzten Tag bewegt und erfüllt bleiben wird.

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