Weil am Rhein Lebensfroh, spontan, postmodern

Weiler Zeitung

Design: „Rebell und Poet“: Hommage an Jahrhundertdesigner Ettore Sottsass im Vitra Schaudepot

Von Jürgen Scharf

Weil am Rhein. Er wäre in jedem Schöner-Wohnen-Heim ein Objekt der Begierde: der „Carlton“, das männliche Bücherregal, das mit seiner Schräge die Bücher in Schieflage bringt und mehr ein Lieblingsobjekt der Designliebhaber als der Bücherfreunde wurde. Entworfen hat es der Jahrhundertdesigner Ettore Sottsass, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Aus diesem Anlass hat das Vitra Schaudepot dem „Rebell und Poet“ eine Ausstellung gewidmet, die Sottsass’ Entwicklung hin zum revolutionären Kopf des Mailänder Designkollektivs Memphis nachzeichnet.

Das farbige Carlton-Regal ist nicht der einzige Blickfang in dieser Gedenk-Retrospektive mit 30 ausgewählten Objekten aus der gut 100 Stücke umfassenden Sammlung des Vitra Design Museums. Schon zu Lebzeiten von Sottsass gab es eine ganz starke Verbindung des Museums zu dem Designer, mit verschiedenen Ausstellungen (eine ganz besondere war 1993 die Büromöbel-Ausstellung „Citizen Office“, damals war Sottsass selber zugegen).

Bei der jetzigen Hommage kann man anhand der schreiend bunten Möbel und der bizarren Formen, die nichts für Puristen sind, den totalen Tabubruch in den 80er Jahren und die Befreiung von der jahrzehntelangen Vorherrschaft des internationalen industriellen Funktionalismus, einem Diktat der Moderne, lächelnd nachvollziehen. Das verspielte Design à la Memphis – der Name ist angeblich einem Bob-Dylan-Song entlehnt – wirkt heiter und unbeschwert und bringt noch heute Schwung und Laune ins Haus.

Die Schau fragt nicht, ob das Memphis-Design zurückkommt – da müsste schon viel passieren, dass ein so lebensfrohes, spontanes, postmodernes Design wiederkehrt –, aber sie zeigt die Blütezeit von Memphis, die nur von kurzer Dauer war, keine zehn Jahre, in der die antifunktionale, sinnliche Designsprache von Sottsass und seiner Gruppe international bekannt wurde.

Einzig aus der damaligen Zeit heraus kann man verstehen, warum die Memphis-Bewegung eine radikale Designer-Avantgarde und eine der wichtigsten Strömungen war. Die einzelnen Stücke wirken heute weniger schrill, krass oder bizarr als kreativ, lustig und witzig. Objekten wie der vogelähnlichen Tischleuchte „Tahiti“ (mit buntem Schnabel und Schwanz) oder dem Schrankregal „Casablanca“ sieht man an, dass Memphis Spaß in die Möbelwelt brachte: weniger Sachlichkeit – mehr Emotion. Man darf schmunzeln über diese Reverenzen aus der Tierwelt, und freut sich über den Humor von Sottsass, wenn man seine eigenen, oft ironischen Texte liest, die er in Designzeitschriften publiziert hat.

Das kuratorische Konzept von Heng Zhi ist chronologisch angelegt und zeigt die Entwicklung von Sottsass, dessen bahnbrechende Designsprache sich schon früh, seit den 1950er Jahren, abzeichnete. Ebenso wie den Einfluss der Pop Art, den Bezug zur Alltagskultur und zu „billigen“ Materialien wie Kunststofflaminat, das normalerweise in Küchen und Badezimmern verbaut wird, und „als zutiefst gewöhnlich“ (Sottsass) gilt.

Die Exponate decken also die lange Karriere anhand von einigen Schlüsselwerken ab und „sprechen“ selber zum Betrachter: von der Zeit bei Olivetti, für die der Italiener die zur Design-Ikone gewordene knallrote Reiseschreibmaschine Valentine (1969) entwarf („für alle Orte bestimmt außer fürs Büro“), über die interessante Kollektion der „grauen Möbel“, mit der Sottsass erkennbar Konsumkritik übt (mit Grau als Metapher gegen die bunte Werbung), bis zu den „heiligen Objekten“, die dem Alltag entzogen werden sollen. Ein Spektrum, das die Vielseitigkeit dieses Design-Revolutionärs vor Augen führt.  Bis 24. September

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