Weil am Rhein Löschen, wenn die Seele brennt

Weiler Zeitung
Feuerwehrseelsorger Uwe Degenhardt mit seinem Notfallkoffer für Einsätze. Eingepackt hat er Getränke, Schokoriegel, einen „Handschmeichler“ , eine Einsatzdecke, einen Teddy für Kinder sowie Stifte und Papier – hilfreiche Dinge für Kameraden, Betroffene oder Angehörige mit einem Ziel: Ablenkung von dem, was gerade geschieht oder geschehen ist. Neben dieser „Allroundtasche“ trägt Degenhardt einen Helm und einen Bluson mit Seelsorge-Emblem, damit man ihn sofort erkennt. Foto: Carina Stefak Foto: Weiler Zeitung

Feuerwehrseelsorger Uwe Degenhardt kümmert sich um die Kameraden – und um ihre Angehörigen

Von Carina Stefak

Weil am Rhein. Feuerwehrleute sind Helden des Alltags: Wenn es brennt, klemmt oder geknallt hat, sind sie zur Stelle und retten, was zu retten ist: ein Haus, ein Tier, ein Menschenleben. Doch was ist, wenn das Feuer gelöscht, die Straße geräumt und das Kind in Sicherheit ist? Dann kehrt er die Seelenscherben auf: Feuerwehrseelsorger Uwe Degenhardt ist da, wenn Bilder bleiben, Gerüche wiederkehren und Schuldfragen die Kameraden quälen.

Sie sind ständig in Alarmbereitschaft, müssen unter Zeitdruck die richtigen Entscheidungen treffen, arbeiten im Blickpunkt der Öffentlichkeit und sind mit Zerstörung, Leid und Tod konfrontiert. 300 Einsätze hatte die Gesamtwehr Weil am Rhein im vergangenen Jahr – für eine freiwillige Feuerwehr eine ganze Menge. Belastende Ereignisse häufen sich schnell: Brand, Personenrettung, Leichenfund, Chemikalien- und Industriepanne, Unfall oder auch Suizid – Feuerwehrleute sehen eine Menge und sind nicht immer darauf vorbereitet.

„Meist bekommen die Kameraden nur grobe Stichworte, bevor sie ausrücken und wissen nicht, worauf sie sich einstellen müssen“, weiß Feuerwehrseelsorger Uwe Degenhardt. Von der Anfahrt bis zu den ersten Entscheidungen des Kommandanten herrscht daher eine immense Anspannung, vieles ist nicht vorhersehbar und immer kann etwas dazwischen kommen.

Und dennoch funktionieren sie

Und dennoch funktionieren sie: „Solange die Kameraden in Aktion sind, läuft alles mechanisch. Wenn sie weg sind vom Geschehen, kommen die Bilder, die Gerüche, die belasten können“, veranschaulicht Degenhardt. Damit kann nicht jeder umgehen. „Sie sind Helden, retten Menschen und ihr Hab und Gut. Aber sie fressen vieles in sich hinein. Irgendwann braucht’s ein Ventil.“

Dann kommt Uwe Degenhardt ins Spiel: „Fachberater Feuerwehrseelsorge“ ist die korrekte Bezeichnung für die Tätigkeit, die er seit der letzten Hauptversammlung im März auch offiziell inne hat. Degenhardt ist kein Feuerwehrmann, aber durch seine seelsorgerische Tätigkeit in der katholischen Kirche in Weil sehr erfahren im Umgang mit Menschen. Im Seminar der Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg in Bruchsal wurden viele Fallbeispiele aus der Praxis erfahrener Feuerwehrleute besprochen, die die gesamte Bandbreite abdecken. „Manche sagen, man muss für diese Aufgabe selbst Feuerwehrmann sein. Kommandant Klaus Gempp sieht das nicht so“, erklärt Degenhardt. Gleichwohl müsse man anerkannt werden.

Deshalb beginnt seine Tätigkeit nicht erst bei den Einsätzen – sondern schon bei Versammlungen, bei Übungen, Besprechungen und Festen. „Man muss präsent sein“, sagt Degenhardt, „die Kameradschaft muss ja erst erwachsen“. Durch Kontaktpflege wird Nähe hergestellt, durch Kommunikation eine Beziehung aufgebaut. Vertrauen ist Voraussetzung für die Seelsorge.

Feuerwehrseelsorger sind Beauftragte der Kirche, aber in die Organisationsstruktur der Feuerwehr eingebunden. Degenhardt steht in Kontakt mit allen Einsatzkräften und bereitet sie präventiv auf psychische Belastungen vor. Er berät die Führungskräfte bei der Planung der Übungen und Einsätze im Hinblick auf die Kameradenfürsorge. Zudem gibt er als Neutraler dem Kommandanten Rückmeldung.

Jeder verarbeitet Erlebnisse anders

Während der Einsätze hilft er den Kameraden und versucht, ihnen den Rücken freizuhalten, „damit sie ihre Arbeit machen können“. Und er leistet Unterstützung bei der Betreuung Betroffener, oft mit Seelsorgern der anderen Rettungsdienstorganisationen.

Wenn der Einsatz abgeschlossen ist, kommt die Nachsorge – „noch am Gerätehaus, um das Erlebte sofort aufzuarbeiten“. Das kann unter vier Augen oder in der Gruppe stattfinden, oft auf Initiative des Kommandanten. Gleichwohl ist die Seelsorge freiwillig. Jeder verarbeitet Erlebnisse anders, und oft ist nicht der Seelsorger, sondern der Kamerad erster Ansprechpartner.

„Viele fragen sich, ob sie schnell genug reagiert haben und machen sich oder anderen auch mal Vorwürfe.“ Warum haben wir das nicht geübt, sei eine Frage, die schon mal autrete. Dabei könnten extreme Vorfälle wie ein Suizid gar nicht geübt werden. Teilweise kommen die Kameraden an ihre Grenzen und in existenzielle Krisensituationen, stellen sich Schuld- und Sinnfragen.

Hinschauen, hinhören und dann erspüren

Wenn Uwe Degenhardt gefragt ist, geht es für ihn zunächst um Sinneseindrücke: Schon durch Beobachtungen merkt er, dass etwas nicht stimmig ist. „Man muss auf Bewegungen und Handlungen achten, die nicht in das Mechanische passen. Ist jemand teilnahmslos oder gar apathisch?“ Zuzuhören ist naheliegend. Wenn aber jemand nicht so leicht aus sich herauskommt, „versuche ich, zu erspüren, was ihn umtreibt“.

Das Problem kann auch Jahre zurückliegen, die Empfindungen kommen oft viel später, daher hört Seelsorge nie auf. Kameraden und ihre Angehörigen werden über längere Zeit und bis ins Privatleben hinein begleitet. „Manche Feuerwehrleute sprechen zu Hause nicht über Belastungen, weil ihr Ehrenamt in der Familie oft ohnehin schon Dauer(streit)thema ist.“ Angehörige, die sich Sorgen machen, können Degenhardt ebenfalls kontaktieren – egal, ob es später zum Gespräch kommt oder nicht. „Das Wichtigste ist, die Menschen nicht allein zu lassen und sich ihnen zuzuwenden.“ Wenn er einem Kameraden im Bewältigungsprozess nicht helfen kann, stellt er Kontakt zu Beratungsstellen her.

Grenzen sind dem Märkter nicht nur im Umgang mit den Kameraden gegeben, sondern auch in der Auseinandersetzung mit sich selbst. „Supervision ist durchaus wichtig, um sich selbst zu schützen. Ich bin schließlich auch nur ein Mensch.“ Dafür hat er einen guten Freund mit diakonischer Ausbildung. Halt findet der Katholik auch in seinem Glauben. Dieser und die Konfession der Kameraden spielen in seiner Tätigkeit jedoch keine Rolle, wie Uwe Degenhardt betont. „Unabhängig von der Religion ist es doch nicht so schwer, menschlich zu sein.“

Von Carina Stefak

Von Carina Stefak

Weil am Rhein

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading