Wenn an der Gleisschlaufe am Europaplatz in Weil am Rhein die grüne Tram der Linie 8 der Basler Verkehrsbetriebe wendet, kann es sein, dass im Führerstand als Tramfahrer Üryan Önal (38) Dienst tut. Der 38-Jährige aus Weil am Rhein wurde praktisch mit der Verlängerung der grenzüberschreitenden Linie 8 in den Liniendienst übernommen. Von Gerhard Breuer Weil am Rhein/Basel. Üryan Önal war sechzehn Jahre als Maschineneinrichter bei einer Dreherei beschäftigt. Die Firma wechselte den Besitzer, wurde mit einer anderen fusioniert, „das Arbeitsumfeld“, sagt er, „war nicht mehr das gleiche wie vorher. Also – Zeit zum Wechseln.“ Die Idee, Tramfahrer zu werden, stammt von seinen Brüdern. Sie fahren beide ICE-Züge der Deutschen Bahn. Er konnte sich im Führerstand einer Tram sehr gut vorstellen. Önal hat sich in der Lokalpolitik engagiert, allerdings ruhte während seiner Ausbildung sein Vorstandsposten bei der Weiler FDP. Zum Tramfahren wird man nicht geboren. Zunächst einmal muss der Bewerber, in der Schweiz „Kandidat“ genannt, einen Eignungstest absolvieren und bestehen. Da werden die Reaktionszeit und die Sehleistung überprüft, ein psychologischer und ein medizinischer Test schließen sich an. „Bei mir“, berichtet Üryan, „ging das alles sehr schnell. Der Test fand im Mai 2014 statt, im Juli bin ich noch in eine Ausbildungsgruppe hineingerutscht.“ Und dann begann die Fahrschulzeit von rund drei Monaten, davon ein Monat Theorie und praktische Übungen. Während dieser Zeit sind jeweils drei Schüler mit einem Fahrschultram auf dem gesamten Liniennetz von 77 Kilometer unterwegs. „Ich bin vom ersten Moment an selbst gefahren“, berichtet er. „Man merkt von Anfang an, dass man nicht ein Auto lenkt, sondern an die Schienen gebunden ist. Und das ist, um es klar zu sagen, ‚heavy metal’ mit 47 Tonnen Leergewicht. Ich habe mir das immer schön vorgestellt, und es ist auch so eingetroffen.“ Die Belastung, jederzeit voll konzentriert zu sein, macht einem Neuling zu schaffen. „Ich hatte in meinem früheren Beruf oft in Karlsruhe zu tun und bin an einem Tag hin- und zurückgefahren. Die Kilometerleistung mag nicht übereinstimmen. Aber die volle Konzentration beim Tramfahren fordert mich ähnlich wie damals. Dazu kommt die große Verantwortung.“ Pünktlich, aber nicht zu schnell Nach dem Bestehen der theoretischen Prüfung bekommt der Fahrschüler seinen individuellen Lehrer und fährt für rund drei Wochen im Plandienst – natürlich mit Fahrgästen. Die Prüfungsfahrt ist offiziell. „Ich habe eine große Basel-Rundfahrt gemacht, zum St. Jakob-Stadion, über das Nadelöhr am Barfüßerplatz zurück zum Stadion, über das Kunstmuseum und den Riehenring zum Depot am Wiesenplatz, insgesamt 45 Minuten. Fehler zum Beispiel bei der Vorfahrt werden nicht akzeptiert. Aber bei mir hat alles geklappt.“ Als Wagenführer muss er pünktlich sein. Wer wartet schon gern auf seine Fahrgelegenheit" „Man muss also zügig fahren und den Fahrplan einhalten, aber nicht zu schnell, denn unter den Passagieren sind ältere Leute, und wenn man da sehr schnell bremst, können sie den Halt verlieren und hinfallen.“ Die Sache mit dem Mini auf der Brückenrampe Vorausschauendes Fahren ist gefragt. Hin und wieder meinen Autofahrer, noch so ganz kurz vor der Tram einscheren zu müssen. „Ja“, sagt Önal, „da war doch etwas. An einem Samstagabend in Friedlingen. Großer Stau in Richtung Deutschland. Ein Mini konnte es nicht mehr erwarten, wollte über die Sperrfläche wenden und nach Basel zurückfahren. Ich kam mit 35 Stundenkilometern auf die Brückenrampe, da dreht der Mini. Ich konnte den Zusammenstoß nicht verhindern. Er wurde auf ein anderes Fahrzeug geschoben, alle wurden beschädigt. Mein Tram auch.“ Er hat sehr schnell reagiert, und keiner der Fahrgäste wurde verletzt, die beiden Autofahrer auch nicht. Die „Basler Zeitung titelte „Mini schießt 8er Tram ab.“ Es ist, fasst der Tramfahrer aus Weil zusammen, nicht schwer, vollbeladene Züge im Berufsverkehr oder zu den Fußballspielen im Stadion zu steuern. „Aber in jedem Augenblick ist – siehe Mini –- höchste Konzentration gefordert. Wenn man da vorne drin sitzt, bekommt man viele Eindrücke, von vielen Menschen, da ist ein hübsches Mädchen, da sind Leute, die sich unterhalten, Leute, die sich streiten, da sehen Sie ein tolles Auto: das ist das Leben schlechthin. Aber bei alledem bin ich verantwortlich für meine Fahrgäste, für andere im Verkehr.“ Basel am späten Abend, da könne es ja sein, dass auch im Tram schon einmal etwas passiert. Üryan Önals Erfahrungen sind anders: „Ich erinnere mich an zwei, drei kleinere Sachen. Einmal gab es Lärm hinten im Wagen. Ich habe eine Ansage gemacht und um Ruhe gebeten. Die Mädchen haben noch gekichert, aber dann war die Ruhe wiederhergestellt. Ich glaube, dass die Passagiere auch Respekt vor uns haben. Schließlich sind wir in Uniform.“ „Zum defensiven Fahren angehalten“’ Wie geht er mit dem Vorurteil um, dass Tramfahrer die ‚Kings of the road“ geben nach dem Motto: Wir sind viel größer als ihr und auch viel grüner" Die Antwort fällt Önal leicht: „Ich sehe da keine Versuchung, nur weil ich mit meinen 50 Tonnen doch einiges auf die Straße bringe. In der Fahrschule werden wir konsequent zum defensiven Fahren angehalten.“ Früher gehörten die Tramfahrer zu einem bestimmten Depot wie dem am Wiesenplatz oder am Morgartenring. Sie wohnten oft in der Nähe und fuhren mehr oder weniger immer die selben Linien. Dieses System wurde vor etwa einem Jahr aufgegeben, und alle rund 300 Tramfahrerinnen und Tramfahrer sind auf allen Strecken eingewiesen und fahren diese Kurse auch. „Die Schichten werden im Computersystem eingeteilt, und mein ganz aktueller Dienstplan erscheint bei mir auf dem Smartphone.“ Neben den regulären werden die Tramfahrer auch zu Bedarfsarbeitszeiten eingeplant, wenn es Personalengpässe gibt. Jetzt ein echter Familienmensch Wie wirkt sich der Wechseldienst aus" Önal: „Wenn man Tramfahrer werden will, dann weiß man, dass man an allen sieben Tage eingesetzt werden kann. Der Kalender sieht im allgemeinen vor, dass man vier oder fünf Tage hintereinander acht Stunden Dienst hat, eine Leistung von 60 Kilometern, dazwischen einen oder zwei Tage frei.“ Eingeteilt ist die Zeit in einen Frühdienst, eine mittelspäte und eine Spätschicht. Zwischen den einzelnen Fahrten können nicht bezahlte Pausen von zwei bis zu vier Stunden eingeschaltet werden. „Schichtarbeit verlangt viel Verständnis von der Familie“, sagt er, „aber diese Unterstützung habe ich. Sonst ginge es nicht.“ Ehefrau Perihan bestätigt das. „Durch die Arbeit bin ich jetzt ein echter Familienmensch geworden“, schließt Önal. „Ich sehe meine Familie nicht mehr so oft, manchmal nur eine Stunde, und dann natürlich an den dienstfreien Tagen.“