Von Beatrice Ehrlich Weil am Rhein. Still erhebt sich der Kunstraum Kieswerk im Herbstgrau wie auf Stelzen in den Himmel. Erst beim zweiten Hinhören nimmt man einzelne Klavierklänge wahr. Oben angekommen, ist der Eindruck unspektakulär: Wie beiläufig erklingt die Akkordfolge, die der Pianist am Flügel intoniert, scheinbar ohne überhaupt in die Noten zu schauen. An den Wänden hängt Kunst, die Anwesenden unterhalten sich leise. Dabei handelt es sich bei dieser unscheinbaren Konstellation um eine absolute Seltenheit: Anlässlich des Avantgarde-Festivals „Motion 8“ werden Erik Saties „Vexations“, so wie vom Komponisten vorgesehen, 840 Mal hintereinander gespielt, Tag und Nacht. Sieben Pianisten sind im Einsatz. Neben dem Heidenheimer Musiker Christoph Arndt, der bereits auf einige Erfahrung mit den „Quälereien“, so der Titel des Werks auf Deutsch, verweisen kann, sind das Sophia Arndt, Wendelin Arndt, Manuel Nawri, Christian Rabe, Julien Silhol und Pierre Tran Ba Loc. Arndt hat die „Vexations“ schon oft zur Aufführung gebracht, zusammen mit anderen. Sei es im Kunstmuseum von Heidenheim, sei es in einer Apotheke – wichtig sei, dass der Raum öffentlich zugänglich ist, betont er. Eingeladen zur Satie-Performance hat Kieswerkbetreiber Volker Scheurer, der sich mit seinem Motion 8 New Avantgarde Festival immer wieder auf Neues einlässt. Mit dem von ihm ausgebauten ehemaligen Fördergebäude bietet er für die „Vexations“ einen idealen Rahmen. „Ein wunderbarer Ort“, schwärmt Arndt, der nun seinen Platz am Flügel für einen Moment lang seiner Tochter Sophia überlassen hat, um über seine Faszination für Satie zu sprechen. Für Arndt ist Satie, der „streng arbeitende Musiker“ und „große Humorist“, der in den frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Paris unter anderen mit Künstlern wie Picasso, Jean Cocteau, Fernand Léger und Francis Picabia zusammengearbeitet hat, in der Musikwelt schon immer unterschätzt worden. Dabei sei dieser Satie der erste gewesen, der entscheidende Anstöße dafür gegeben habe, die Musik nach der Romantik weiterzuentwickeln, ohne, wie andere, auf im 19. Jahrhundert verwurzelte formale Prinzipien zurückzugreifen. Saties Kompositionen sind nicht ohne den Austausch, nicht ohne die Offenheit für andere Künste denkbar, betont Arndt. Was für den ausführenden Pianisten eine Quälerei sein mag, – „man muss sich sehr zusammennehmen“ – wirkt auf den Zuhörer beruhigend und inspirierend zugleich. Gastgeber Volker Scheurer wäre nicht er selbst, brächte er während der Satie-Performance nicht auch seine eigene Kunst ins Spiel. Seine postkartengroßen Drucke mit dem Titel „Betender Mönch auf Bachforelle“ werden in 840 Ausfertigungen in Rot und Schwarz am Ende die gesamte Wandfläche des Vortragsraums bedecken und dienen damit gewissermaßen als Zähler der „Vexations“-Durchläufe. Die Pianisten wechseln sich alle drei Stunden in Zweier-Teams ab, Christian Rabe spielt im Clown-Kostüm und mit einem Ball auf dem Kopf. Rundherum wird gefrühstückt, geplaudert und Sekt getrunken, man begrüßt Freunde und Verwandte. Ein echtes Ereignis – bis Saties Werk nach der 840sten Wiederholung am frühen Samstagabend zu Ende geht.