Von Dorothee Philipp Weil am Rhein. Die „Internationale Mund-Art Literaturwerkstatt“ hat ihren Titel zu Recht: In ihrer 28. Auflage erlebte man Mundart aus vier Ländern. Und das, was die Autorinnen und Autoren, die Initiator Markus Manfred Jung diesmal eingeladen hat, vorstellten, ist Kunst im besten, allgemeinen Sinn, also nicht nur für die Dialekt-Ecke geeignet. Mundart als Medium eines verfeinerten, vertieften Ausdrucks, als Vehikel für Erkenntnisse und Lebensweisheiten, die einem so viel einleuchtender erscheinen als wenn sie auf Hochdeutsch vorgebracht werden, Mundart als Quelle von magischen Lautformeln – der einführende Abend im Weiler Stapflehus zeigte all diese Facetten auf. Volker Habermaier, der Schwabe, der dem Lörracher Hebelbund vorsteht und seit elf Jahren die Literatur-Werkstatt moderiert, warf in seinem Intro einen Blick auf die Situation der Flüchtlinge: „Flichtling sage mr, nenned’s a Problem – ond moined Mensche: Kender, Fraue, Männer“. Und er ortet den Dialekt als Heimat, wohin man fliehen kann, wenn die Sprache der Medien und Politik nicht taugt „firs sell groß Thema“. Kraftvoll, rebellisch, voller Charme und Temperament dann die baseldütschi Bardin Jaqueline Schlegel, die gerne die „Hünd“ weckt, „wo schlofe“. Ihre Lieder zur Gitarre oder auch a cappella sind starke Miniaturen aus dem Leben und dem Innenleben. Herzerfrischend ihre Liebeserklärung an „Ramses“, den „egozentrischen, futterfixierten Vagabund“, mit dem sie in locker-verbindlicher Beziehung lebt und der sie als kleiner frecher Stubentiger ständig um den Finger wickelt. Ihr „Crashkurs in Selbstmitleid“ hat nicht nur ausgesprochen musikalische, sondern auch kabarettistische Qualitäten. Und das Velo-Lied könnte sich zu einem währschaften Krimi auswachsen, wenn es nicht diesen menschlich-witzigen Schluss hätte. Allein vom Zuhören, wie die Sängerin in die imaginären Pedale tritt, wird man da schon kurzatmig. Max Faistauer hat anrührende Bilder aus seinem Pinzgau mitgebracht: der Straßenmusikant, der in Salzburg bei Regenwetter vor vier Zuschauern auf den Spuren von Karajan und Hofmansthal wandelt, das „Pfoad“ (Hemd), das im Sack der Kleidersammlung seinen Weg in die weite Welt antritt, das Regenwasserfassl, das überläuft. Ein Dialekt mit heftigen Rachenlauten ch, chr, kchr und dunklen Vokalen und rollendem r. Die Ohren spitzen mussten die alemannisch gebrieften Zuhörer bei Heiko Gauert der Plattdütsches aus seinem Koffer holte, darunter ein Tratsch zwischen Karen und Lisbeth, in dem Wörter wie Syster, vorbeikieken und avhauen vorkommen, der ole Schoolmeister und vertellen. Markus Manfred Jung, der Spiritus Rector der Reihe und mit seiner alemannischen Lyrik ein feiner Seismograf der Ausdrucksnuancen und -möglichkeiten, ergötzte das Publikum mit einem neu gefundenen Wort, das im „so sauguet g’falle het“: „Guckehürle“, für ein Dachfensterle, aus dem man „selbzweit“ gucken kann. Dass er seine kurzen Gedichte mit wenigen Silben jeweils zweimal las, vertiefte den Höreindruck wohltuend. Pierre Kretz aus dem Unterelsass warf mit Auszügen aus seiner Geschichte „Ich ben a beesi Frau“ einen kritischen Blick auf eine elsässische Dorfidylle mit trampelig-derben Laientheatergruppen, saufintensiven Kilbi-Festen und Frauen misshandelnden Machos. Birgit Rietzler schließlich arrangierte ihren dunkel rollenden Vorarlberger Dialekt in Silbenpatchworks wie Kueh, zue, Schueh, Bue, magische Formeln, in denen es um „olt“ und „jung“ geht und die sich wie Zaubersprüche ins Ohr schmeicheln. Was man an diesem Abend erleben durfte, war die jeweils eigene Aura, die einen Dialekt umhüllt, ihm Duft, Farbe und Geschmack gibt wie einem guten Wein. Sozusagen eine anregende Weinprobe für die Ohren und das Herz. n Die Mund-Art Literatur-Werkstatt wurde am Samstag in Schopfheim mit einem Workshop und einer Lesung in Fahrnau und am Sonntag mit einer Matinee bei der Allgemeinen Lesegesellschaft Basel fortgesetzt.