Aitern In Aitern geht Lernen auch ohne Noten

Verena Wehrle
Alltag im Bildungshaus Aitern: Im Stuhlkreis am Morgen erklärt Schulleiterin Julia Beyer den wenigne Kindern das Thema. Foto: Verena Wehrle/Verena Wehrle

Das Bildungshaus Aitern ist die kleinste eigenständige staatliche Grundschule im Schulbezirk Lörrach. Sie ist aber auch die einzige Schule im Landkreis, die am Schulversuch des Kultusministeriums teilnimmt und deshalb wird hier ohne Noten unterrichtet.

16 Kinder von Klasse 1 bis 4 werden in der Familienklasse im Bildungshaus Aitern gemeinsam unterrichtet. Zwei Hauptlehrer und eine Fachlehrerin gibt es an der Schule. Religion unterrichtet der Pfarrer.

Im Stuhlkreis sitzen die Schüler und hören den Ausführungen von ihrer Lehrerin, Schulleiterin Julia Beyer, zu. Sie erklärt an diesem Morgen wie Textaufgaben in Mathe aufgebaut sind. Die Kinder strecken ihre Hände in die Höhe und machen eifrig mit. Dann geht es in die Lernphase: Selbst ausprobieren ist dann die Devise – jeder in seinem Niveau und Tempo.

Ein Erfolgsmodell

Klein – kleiner – am kleinsten – das ist es das Bildungshaus Aitern, der kleinesten eigenständigen Grundschule im Schulbezirk Lörrach. Nach den Recherchen von Schulleiterin Beyer ist es sogar die drittkleinste eigenständige Grundschule im ganzen Bundesland. Das ist ohnehin etwas Besonderes. Und: Das Bildungshaus 3-10, in dem Schule und Kindergarten unter einem Dach miteinander verzahnt arbeiten, gilt als ein Erfolgsmodell. Seit dem laufenden Schuljahr nimmt es am Schulversuch des Kultusministeriums teil. Dieser trägt den komplexen Titel: „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“. Übersetzt bedeutet das so viel wie: Lernen ohne Noten.

Noten können demotivieren

„Schlechte Noten machen Druck, sind demotivierend und eben nicht lernförderlich“, erklärt Beyer. Auch sie selbst sieht Noten als ein falsches Mittel zur Bewertung der Schüler an: „Aus meiner Sicht bräuchte es keine Noten an Grundschulen“, so Beyer klar und deutlich. „Warum gibt man den Kindern nicht den Freiraum sich so zu entfalten, wie sie es auch schon im Kindergarten konnten?“, fragt sie sich. „Es geht doch darum, dass ein Kind in seinem Lernen voran kommt und, dass wir Lehrkräfte das Kind dabei unterstützen.“

Julia Beyer Foto: Verena Wehrle

Klar sei es immer der Wunsch der Eltern, zu erfahren: „Kommt mein Kind gut mit?“ Diese Frage würden Noten schon beantworten. „Aber ansonsten sind sie inhaltslos“, sagt sie. Der Fokus müsse ihrer Meinung nach viel mehr auf dem Lernen selbst liegen und das nicht mit der Defizit-Brille, sondern ressourcenorientiert.

Blick auf die Kompetenzen

Doch wie funktioniert der Unterricht ohne Noten? Begonnen hat der Schulversuch mit den Erst- und Zweitklässlern, Letztere werden evaluiert. Für Klassenarbeiten gibt es bei den älteren Schülern noch schriftliche Bewertungen mit Punkten. Generell wird aber mit Rückmeldungen, aufgedröselt nach verschiedenen Kompetenzen, gearbeitet.

Auch bekommen die Schüler des Bildungshauses Aitern schon während der Lernphasen immer wieder Rückmeldungen ihrer Lehrer: Bei einem sogenannten „Stopp-Schild“ im Arbeitsheft wird dann auf einem Diagnosebogen notiert, was der Schüler bereits verstanden hat und was er noch vertiefen muss.

„Wir finden es total entlastend und auch die Rückmeldungen der Eltern waren durchweg positiv“, freut sich Schulleiterin Beyer über den bisher gelungenen Schulversuch im Bilidungshaus Aitern.

Individuelleres Lernen

Ein wichtiger Aspekt des Versuchs sei auch, das individuelle Lernen zu fördern: „Hier spielt uns die Familienklasse in die Karten.“ Denn das jahrgangsübergreifende Lernen hätte große Vorteile, würden Themen wiederholt werden und die Kinder die Inhalte der nachfolgenden und vorherigen Jahrgänge mitbekommen.

Fehlerkultur wird gelebt

Während dem Gespräch mit Beyer kommt eine Schülerin und sagt ganz ungeniert: „Ich bin mit der Aufgabe nicht klar gekommen.“ Auch das ist ein Effekt aus dem Schulversuch und aus der Familienklasse: „Hier wird eine Fehlerkultur gelebt und die Schüler trauen sich auch viel mehr zu sagen, wenn ihnen etwas schwerfällt.“

Kinder öffnen sich mehr

Neu eingeführt wurden im Bildungshaus die Kindersprechstunden. Dabei führt ein Lehrer mit einem Kind ein 1-zu-1-Gespräch. Dabei gehe es um die Selbsteinschätzung, wie es dem Kind in der Schule geht, womit es zufrieden ist und womit nicht, was gut gelingt und was noch geübt werden muss. Die Kinder würden sich dabei viel mehr dem Lehrer öffnen, beschreibt Beyer den positiven Effekt der Sprechstunde.

Ein Modell für alle?

Der Schulversuch wurde als Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ins Leben gerufen und ist an den teilnehmenden Schulen auf sechs Jahre ausgelegt. Im September kommen weitere Schulen hinzu – auch im Landkreis Lörrach. “Wir freuen uns sehr, dass das Thema angegangen wird, denn es liegt uns sehr am Herzen“, sagt Beyer, die damit auch für ihren Kollegen Johannes Nowak spricht.

„Ich würde mich freuen, wenn das Lernen ohne Noten dann irgendwann in allen Grundschulen umgesetzt wird“, so die Schulleiterin.

Leichterer Wechsel

Der Clou: Wenn Eltern möchten, dass ihr Kind am Schulversuch teilnimmt, sie aber nicht in Aitern wohnen, können sie ihr Kind dennoch im Bildungshaus anmelden. Ist ansonsten ein Wechsel mit viel Bürokratie verbunden, ist durch den Schulversuch ein Schulbezirkswechsel problemlos möglich, wenn es die Kapazitäten der Schule zulassen. Auch für das kommende Schuljahr seien noch Anmeldungen möglich.

Im Kultusministerium werde aktuell vieles getan, um die Unterrichtsqualität an Schulen zu stärken, da diese in den vergangenen Jahren stark abgenommen hat, so Beyer. Verschiedene Programme werden – ausgerechnet jetzt zu Zeiten des Lehrermangels – aufgelegt. Aber sie seien nötig, ist Beyer überzeugt.

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