Die Zentrale Ausländerbehörde hatte dem Mann nach eigenen Angaben einen längeren Aufenthalt gestattet "und mit ihm die freiwillige Ausreise vorbereitet". Dazu sei der 28-Jährige bis Mitte Januar "in ständigem Kontakt mit der zuständigen Ausländerbehörde" gewesen. Eine freiwillige Ausreise sei nämlich immer besser als eine Abschiebung, gerade bei Ländern wie Afghanistan.
War der 28-Jährige Polizei und Justiz schon vor dem Angriff bekannt?
Ja - und zwar wegen zahlreicher Vorfälle:
4. März 2023: In einer großen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge kommt es zu einem Vorfall, in dessen Folge der Afghane vom Amtsgericht Schweinfurt einen Strafbefehl wegen Körperverletzung und eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen erhält.
10. September 2023: In Frankfurt am Main kann der Mann bei einer Kontrolle keine gültigen Papiere vorweisen. Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt, da das Rückführungsverfahren bereits begonnen hatte. Laut einer EU-Richtlinie genießt dieses Verfahren Vorrang vor einer innerstaatlichen Strafsanktion wegen illegalen Aufenthalts. Das teilte die Amtsanwaltschaft Frankfurt mit.
18. Januar 2024: Der Mann beschädigt in einer Flüchtlingsunterkunft mutmaßlich ein Zeiterfassungssystem. Nachdem er zu zwei Gerichtsterminen 2024 nicht geladen werden kann, wird der Prozess für Februar 2025 geplant.
12. Februar 2024: Er ist mit einem falschen Fahrschein in einem Zug unterwegs und bekommt darum später vom Amtsgericht Aschaffenburg einen Strafbefehl wegen versuchten Betrugs und eine weitere Geldstrafe von 15 Tagessätzen.
12. Mai 2024: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg kommt er an diesem Tag - wohl unter dem Einfluss von Cannabis - auf das Bundespolizeirevier in Aschaffenburg und gibt an, Hilfe zu brauchen. Doch dann kommt es den Angaben zufolge mutmaßlich zu "Tätlichkeiten gegen Beamte", bei denen drei Polizisten verletzt werden.
6. Juni 2024: Am Hauptbahnhof in Aschaffenburg zieht der Mann sich vor zwei Polizisten an einem Bahnsteig komplett aus und beschädigt mutmaßlich einen Streugutbehälter.
2. August 2024: Der Beschuldigte randaliert mutmaßlich in Alzenau bei Aschaffenburg und beschädigt ein Auto. Als die Polizei eintrifft, schlägt er immer wieder den Kopf auf den Boden - und tritt auf dem Weg in die Klinik später mutmaßlich Rettungssanitäter und Polizeibeamte.
23. August 2024: Dem Mann wird vorgeworfen, in Frankfurt am Main ein Mobiltelefon-Ladekabel gestohlen zu haben. Das Ermittlungsverfahren dazu ist noch nicht abgeschlossen.
Sowohl nach dem Vorfall im Mai 2024 als auch nach dem im August wird er nach Angaben der Staatsanwaltschaft vorübergehend polizeilich in einer Psychiatrie untergebracht. Ermittlungen wegen tätlicher Angriffe und Widerstands gegen Polizisten, vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung laufen noch.
Abschließen können habe man das Verfahren wegen der beiden Fälle bisher aber nicht, teilt die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mit. Die Ermittler hätten nämlich ein psychiatrisches Expertengutachten angefordert. Dieser Auftrag sei aber zunächst ausgesetzt worden, nachdem klar wurde, dass der Mann ohnehin nach Afghanistan zurückwill.
Wie das Amtsgericht Schweinfurt mitteilt, wurde der Mann außerdem am 18. Januar 2024 im Bezirkskrankenhaus Werneck polizeilich untergebracht. Darüber hinaus geht die Aschaffenburger Staatsanwaltschaft inzwischen den Aussagen einer Zeugin nach, wonach der Mann eine Bewohnerin einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau mit einem Messer verletzt haben soll.
Warum wurde er immer wieder aus der Psychiatrie entlassen?
In keinem der Verfahren seien die Voraussetzungen für eine strafrechtliche einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gegeben gewesen, teilt die Staatsanwaltschaft mit - auch nicht für einen Haftbefehl.
Für die zwangsweise Unterbringung in einer Psychiatrie gelten zudem hohe gesetzliche Hürden. Gefährdet der oder die Betroffene durch sein Verhalten sich selbst oder andere Menschen, darf sie nur angeordnet werden, wenn die Gefahr nicht durch weniger einschneidende Mittel abgewendet werden kann.
Ein milderes Mittel wäre etwa Hilfe durch einen Krisendienst oder einen gesetzlichen Betreuer. Der mutmaßliche Angreifer von Aschaffenburg hatte eine solche Betreuerin im Dezember 2024 gerichtlich verordnet bekommen - aber nie Kontakt zu ihr aufgenommen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigt nach dem Angriff in Aschaffenburg an, das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, in dem auch die Bedingungen für eine Unterbringung geregelt sind, "härten" zu wollen.
Hätte er nicht im Gefängnis sitzen müssen?
Eigentlich hätte der Verdächtige Ende Dezember 2024 für mehr als einen Monat ins Gefängnis kommen sollen - trat diese Ersatzfreiheitsstrafe aber laut Staatsanwaltschaft Schweinfurt nie an. Grund dafür sei die gesetzliche Regel, dass ein Gericht bei zwei verschiedenen Verurteilungen unter bestimmten Bedingungen eine sogenannte Gesamtstrafe bilden muss, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Erst dann sei klar, wie lang der Verurteilte tatsächlich in Haft muss - oder wie viel Geld er zahlen muss.
Der mutmaßliche Angreifer war demnach an zwei verschiedenen Gerichten zu Geldstrafen verurteilt worden. Die erste Geldstrafe zahlte er nicht, weshalb er am 23. Dezember 2024 eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen antreten sollte - was er aber nicht tat.
In der Zwischenzeit sei dann das zweite Urteil mit Geldstrafe rechtskräftig geworden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Deshalb habe das Amtsgericht Schweinfurt erst über eine Gesamtstrafe entscheiden müssen - was aber "unter anderem wegen zwingend erforderlicher Zustellungen und Übersetzungen" bisher nicht erfolgte. So blieb der 28-Jährige bis zum 22. Januar auf freiem Fuß - was aber mit Blick auf die Gerichtsverfahren auch der Fall gewesen wäre, wenn er seine Geldstrafen wie gefordert bezahlt hätte.
Was passiert jetzt mit dem Mann?
Eine Ermittlungsrichterin hat für den Verdächtigen nach Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen einen Unterbringungsbefehl erlassen. Die Vorwürfe lauten bisher auf zweifachen Mord, zweifachen Mordversuch sowie gefährliche Körperverletzung.
Der Verdächtige befindet sich inzwischen in einer psychiatrischen Einrichtung. Einen Unterbringungsbefehl gibt es in der Regel, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass ein Verdächtiger zur Tatzeit aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig und vermindert schuldfähig war.
Sollte sich das herausstellen, dürfte sich ein sogenanntes Sicherungsverfahren vor Gericht anschließen. Dabei geht es um die zeitlich unbegrenzte Unterbringung eines Beschuldigten in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses. Auch wenn es keine Anklage wie in einem normalen Strafverfahren gibt, wird solch ein Fall vor Gericht verhandelt.