Auggen Leben wie in einer großen Familie

Kaja Wohlschlegel
Der frischgebackene Jugend- und Heimerzieher Domenico ­Buongiorno ist als Einzelkind aufgewachsen. „Bei uns zuhause war es immer ruhig, fast langweilig, aber hier in der ,Villa Kunterbunt’ ist immer etwas los.“ Foto: Kaja Wohlschlegel

Besuch bei der „Villa Kunterbunt“ in Auggen 

Weihnachtsferien in der „Villa Kunterbunt“: Drei Kinder beugen sich über ein Brettspiel, zwei Jugendliche fläzen sich auf der Couch neben dem Christbaum, ein kleiner Junge beklebt einen Karton: „Das wird ein Geschenk für meine Mama“, erklärt er stolz.

Von Kaja Wohlschlegel

Auggen - Die meisten der 22 Kinder verbringen ein paar Tage bei ihren Eltern. Nur sechs sind im Heim geblieben über die Feiertage.

„Wir leben hier wie eine große Familie“, berichtet der 24-Jährige aus Schliengen. Im September hat er seine Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher in der „Villa Kunterbunt“ in Auggen beendet. Er selbst ist in seiner Familie als Einzelkind aufgewachsen. „Da war es immer ruhig, fast langweilig. Aber hier ist immer etwas los“, sagt er. Jedes Kind findet Spielkameraden und alle helfen sich gegenseitig bei den Hausaufgaben.

Gelegentlich fliegen die Fetzen

Natürlich fliegen gelegentlich mal die Fetzen. Doch meistens schaffen die Kinder den Streit von allein aus der Welt. „Sie entwickeln ganz schnell ein Gefühl für Recht und Unrecht und helfen dem, der im Recht ist“, erzählt der junge Erzieher.

In der „Villa Kunterbunt“ leben Kinder und Jugendliche von sechs bis 21 Jahren. Wenn ein Kind frisch einzieht, findet sich meistens ein routiniertes Kind, das den Neuankömmling unter seine Fittiche nimmt und ihm die Regeln erklärt – etwa, dass jeder nach dem Essen seinen Teller abräumt und in die Spülmaschine stellt. Die Älteren müssen gelegentlich helfen, Wäsche zu falten. Das Betreuer-Team um Inhaber und Heimleiter Dirk Weltle versucht mit den Kindern einen Familien-Alltag zu leben und ihnen Nestwärme zu geben. Die Heimkinder besuchen die umliegenden Schulen. Die Betreuer besuchen die Elternabende und die Kinder dürfen an Schulausflügen und Klassenfahrten teilnehmen. Das Team ermuntert sie auch, sich in Vereinen einzubringen. „In der Regel kennen unsere Kinder ein Vereinsleben nicht; da müssen wir schon die Anreize schaffen“, erklärt Buongiorno. Zwei Buben haben sie bereits zum Fußballspielen animiert und zwei Mädels trainieren regelmäßig im Turnverein. Ziel ist, die Kinder eines Tages in ihre Herkunftsfamilien zurückzuführen, was oft gelingt. Das Jugendamt entscheidet, ob und wie intensiv die Eltern zu ihren Kindern Kontakt halten dürfen.

Buongiorno stellt fest, dass die meisten Eltern sich um ihre Kinder bemühen, wenn sie daheim zu Besuch sind. „Wir erwarten, dass die Eltern dann mit ihren Kindern etwas unternehmen und nicht den ganzen Tag zocken oder am Handy herumspielen“, erklärt er. Manche Eltern würden ihr Kind regelrecht mit Süßigkeiten überhäufen, so dass viele Kinder freiwillig mit anderen teilen. Jedes Kind hat ein Schließfach, in dem die ganzen Naschereien eingeschlossen werden. Einmal am Tag wird der Safe geöffnet.

Liegen herrenlose Spielsachen oder Kleidungsstücke länger als zwei Tage herum, landen sie in der „Gruschtelkiste“, die einmal pro Woche geöffnet wird. Wenn ein Kind nun seinen Gegenstand zurückerobern will, muss es 50 Cent in eine Kasse zahlen. Das gesammelte Geld investieren die Betreuer in gemeinsame Ausflüge.

Während der Sommerferien bietet das Team von Weltle den Kindern eine Ferienwoche in Frankreich an. Dann wird ein großes Haus in den Vogesen gemietet, in dem die Gruppen „unter und über zwölf Jahren“ Urlaub machen. Diesen „Luxus“ finanzieren Weltle und seine Mutter Erika, die Gründerin der Einrichtung, weitgehend aus eigenen Mitteln. Das Geld, das für die Heimkinder vom Amt bezahlt wird, reiche hierfür bei weitem nicht.

Vorbereitung auf’s Flüggewerden

Das Betreuerteam der „Villa Kunterbunt“ bereitet die älteren Teenager aufs Flüggewerden vor. Hierfür stehen drei Apartments zur Verfügung, in denen die Jugendlichen den „Absprung ins richtige Leben“ in Zweier-WGs erproben. Sie müssen ihre Wohnung selber putzen, die Wäsche waschen und sich auch selbst versorgen. Die Betreuer unterstützen Jugendliche beim Bewerben um einen Ausbildungs- oder Studienplatz und bei der Wohnungssuche.

Die „Ehemaligen“ halten Kontakt zu ihrem früheren Zuhause und berichten, was aus ihnen geworden ist. Ein Junge studiert Biologie, zwei Mädels arbeiten im Einzelhandel und als Arzthelferin und ein Mädchen, das in der „Villa Kunterbunt“ aufgewachsen ist, durchläuft jetzt hier eine Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin.

Dirk Weltle, Leiter und Mitinhaber der „Villa Kunterbunt“, erinnert sich an die Anfänge. Er und seine Schwester Sara seien immer mit Pflegekindern aufgewachsen. „Ich kenne es gar nicht anders, bei uns war immer etwas los“, erzählt er. Seine Mutter Erika kümmerte sich rund um die Uhr um den Haushalt, Vater Artur arbeitete als Koch. Als in einer Spitzenzeit acht Pflegekinder im Haus wohnten, ermunterte das Jugendamt Erika und Artur Weltle, die Pflege professionell zu betreiben. So machte sich die Familie auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Im Mittleren Weg in Auggen stand eine ehemalige Baumschule zum Verkauf. „Und auf diesem verwilderten Gelände wurde 2001 unser Kinderheim gebaut“, erzählt er. 2010 stiegen Sara und Dirk mit ein ins Geschäft. Der ebenfalls gelernte Koch absolvierte eine zweite Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher. Als die Mutter 2011 schwer erkrankte und der Vater ein Jahr später starb, übernahm das Geschwister-Team die Leitung. Die Einrichtung finanziert sich über die Gelder, die das Jugendamt für die Unterbringung der Kinder bezahlt. Unterstützung kommt regelmäßig vom Verein „Markgräfler Kinderhilfe“, der die Zahnarztrechnungen übernimmt und auch die Zuzahlung für Brillen.

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