Kröncke machte deutlich, dass die Dynamik derzeit eine ganze andere sei als in der Flüchtlingskrise 2015/16. Damals seien rund eine Million Menschen nach Deutschland geflüchtet. 3000 Geflüchtete wurden im Landkreis Lörrach aufgenommen. „Zum Vergleich: Seit Kriegsbeginn kamen bereits 1500 ukrainische Flüchtlinge in unserem Landkreis an.“ Viele von ihnen seien privat untergekommen. Die Bereitschaft der Bevölkerung, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sei 2022 deutlich größer als 2015.
Herausforderungen
Die größte Herausforderung sei, die ukrainischen Kinder möglichst schnell in Kindergarten und Schule zu integrieren, meinte Mahmutaj. Angesichts der ohnehin schon vollen Einrichtungen und des überall herrschenden Erziehermangels sei das jedoch vielerorts schwer zu stemmen. Parallel versuche man, in den Unterkünften Beschäftigungsgruppen für Kinder zu organisieren und niedrigschwellige Angebote zu schaffen – auch, um Kontakte zu ermöglichen.
Hoher Bedarf
Eine Herausforderung sei auch, dass unter den Kriegsflüchtlingen viele ältere Menschen und Behinderte seien, die einen hohen Bedarf an Gesundheitsversorgung hätten, berichtete Mahmutaj. „Die Arztsuche, speziell was Fachärzte angeht, ist da schwierig.“
Gegen Corona seien übrigens die meisten Flüchtlinge nicht geimpft. „Die Skepsis ist groß. Es braucht Zeit, Ängste zu nehmen“, meinte dazu Kröncke.
Hoffmann regte an, „ukrainische Frauen so schnell wie möglich für den Erzieherberuf zu gewinnen“. Hier hakte jedoch Kröncke ein: Denn die Hürden für pädagogische Fachkräfte, die mit Kindern arbeiten, seien in Deutschland hoch.
Anerkennung von Berufen
Hoffmann plädierte generell für eine schnellere Anerkennung von Berufsbildern – „das war schon bei der ersten Einwanderungswelle der Russlanddeutschen eine Katastrophe“. Dafür wolle er sich in Berlin einsetzen. Als ein „faires Modell“ sah er die Option, dass ukrainische Flüchtlinge hier in Deutschland ihren gelernten Beruf ausüben, „ein Jahr mitlaufen und dann die Abschlussprüfung machen“. Er sah die Zuwanderung auch als eine Chance angesichts des vielerorts herrschenden Fachkräftemangels. Wobei in der jetzigen Situation auch noch vieles unklar sei, auch wie viele Kriegsflüchtlinge am Ende überhaupt hier bleiben werden, so Hoffmann.
Trauma im Gepäck
Er verwies auch auf die Traumen, die vielen Flüchtlingen zu schaffen machten. Mancher sei psychisch noch gar nicht in der Lage, wieder einem Beruf nachzugehen.
„Die Menschen wurden aus ihrem Leben gerissen, allein die Flucht ist ein traumatisches Erlebnis“, bekräftigte Mahmutaj. Vielen Flüchtlingen sei es zudem auch hier nicht möglich, zur Ruhe zu kommen, „weil der Mann oder der Sohn zurückgeblieben sind“. Wichtig sei, den Geflüchteten schnell mit kleinen Programmen – auch nonverbal – wie Kunst- oder Reittherapien Unterstützung zu geben. „Das ist ein Prozess, so schnell wird es nicht gehen“, machte sie die Hürden des Ankommens deutlich. Es gehe darum, „Stück für Stück in den Alltag zu finden“.
Wie krass der Unterschied der Lebenswelten sein kann, führte auch Hoffmann an. „Ich habe in Neuenburg mit einer Ukrainerin gesprochen, deren letztes Instagram-Foto von Sansibar stammte – jetzt geht sie zur Tafel in Müllheim“, erzählte der Abgeordnete.
Ehrenamtliche helfen
Unterstützung für die Flüchtlinge gibt es auch aus der Bellinger Bevölkerung. So haben Ehrenamtliche beim Rathaus eine Kleiderkammer eingerichtet. Demnächst sollen auch zusammen mit Bürgern Angebote wie Spielenachmittage organisiert werden. „Das geht leider nicht von heute auf morgen“, meinte dazu Mahmutaj. Denn die Ehrenamtlichen müssten hierfür ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das sei wichtig, auch wenn mancher Helfer sich dadurch vor den Kopf gestoßen fühle.
Die Notwendigkeit, „genau hinzuschauen“, bekräftigte auch Hoffmann: „Wir hatten unter den 50 Flüchtlingen, die 2015 nach Bellingen kamen, drei Missbrauchsfälle – eine ungeheure Zahl“, machte er deutlich.