Bad Bellingen Erinnerungen und Blick nach vorne

Weiler Zeitung

Gedenkfeier: 50 Jahre Zugunglück von Rheinweiler / Zeitzeugen schildern Erlebnisse / Forderung an Bahn

Die Gedenkfeier zum Zugunglück von Rheinweiler hat 50 Jahre nach dem Unglückstag am 21. Juli 1971 den Rahmen für Erinnerungen, aber auch für Lehren aus der Vergangenheit geboten. Dabei machte Bad Bellingens Bürgermeister Carsten Vogelpohl klar: „Unser Ziel als Gemeinde bleibt: möglichst alle Güterzüge in den Tunnel und keine abgestellten Gefahrguttransporte mehr im Ort.“

Von Marco Fraune

Bad Bellingen-Rheinweiler. An diesem sonnigen Juli-Abend erinnert bis auf den Gedenkstein erst einmal wenig an das tragische Zugunglück, infolgedessen 23 Menschen starben und 120 teils schwer verletzt wurden. Die kleine Glocke in der Hand hingegen schon. Der eigens aus Schweden angereiste Gunnar Jacobson schildert an der Unglücksstelle, wie Maria die Mini-Kuhglocke noch schnell in der Schweiz gekauft hatte, bevor die 13-Jährige gemeinsam mit ihrem damals zehnjährigen Bruder sowie der Mutter Margit in den Unglückszug stieg. Es war der Schweiz-Express von Basel kommend, der kurz vor dem Rheinweiler Bahnhof mit Tempo 140 entgleiste (wir berichteten gestern auf unserer Baden-Württemberg-Seite ausführlich).

Für Gunnar Jacobson war es der Moment, als ihm plötzlich schwindelig wurde und Chaos danach ausbrach. Der Zug lag schräg, die Mutter war eingeklemmt und auch andere Verletzte gab es daneben liegend. Als der damals Zehnjährige aus dem Fenster kletterte, wurde ihm ein Bild deutlich. „Ich sah Maria tot daneben liegen.“ Er selbst blieb nahezu unverletzt. Hilfe bekam der Junge direkt von Nachbarn. Die Mutter rang mit dem Tod, der angereiste Vater musste die Leiche seiner Tochter später noch identifizieren. „Meine Erfahrung ist, dass alle Dorfbewohner bei den Rettungsarbeiten geholfen haben, ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken“, lobt der vom Schicksal getroffene Schwede, der seinerzeit mit der Familie auf dem Heimweg vom Besuch des Onkels in der Schweiz war.

Zeitzeugen berichten

Die Eindrücke werden auch von weiteren Zeitzeugen während der Gedenkfeier untermauert. Als damalige Rettungskraft war Ludwig Hugenschmidt im Einsatz, der von Arbeiten an der Autobahn direkt zur Unglücksstelle eilte und mit dafür sorgte, dass unzählige Rettungskräfte kamen. Auf der Straße eilte er hin und her und verteilte die Leute. Zugleich galt es, für die Wasserversorgung zu sorgen, um auch ablöschen zu können. „Drei Tage und drei Nächste ohne Schlaf sind durchgegangen.“

Elisabeth Dosenbach, die oberhalb der Bahnlinie wohnte, hatte direkt das Szenario gesehen. „Ich konnte nicht fassen, was da passiert ist.“ Ihr damaliger Mann eilte ebenso herbei wie ihr Schwiegervater, der in den Reben arbeitete.

„Wir haben einfach geholfen“, erinnert sich auch der damals 18-jährige Feuerwehrmann Harald Lutz zurück. „Das ganze Dorf hat mitgeholfen.“ Einige Handwerker seien mit Schneidbrennern schnell herbeigeeilt, andere kümmerten sich um den nötigen Sprit. Als der junge Mann seinerzeit kurz nachdenken konnte, ging ihm eins durch den Sinn: „Das ist so groß, das kommt bestimmt ins Fernsehen.“

Hansdieter Seith, der einen ganzen Stapel voll Bilder zur Gedenkfeier aus seiner Mappe hervorholt, bringt es auf den Punkt: „Es sah aus wie im Krieg.“ Zum Glück sei ein Regionalzug noch am Bahnhof gewesen, ansonsten wäre dieser noch mit dem Unglückszug zusammengekracht, erklärt der Zeitzeuge, der auch Brandwache hielt und bei der Totenbergung mithalf.

Dass Gaffer keine neue Erscheinung sind, wird bei seinen Schilderungen ebenso deutlich. Als die Trage mit einer Leiche den Hang hinauf gehievt wurde, hätten Schaulustige tatsächlich die Abdeckung angehoben, um ein Bild des Grauens zu erhaschen.

Bürgermeister mahnt

Angesichts von zahlreichen Schreiben von Opfern, Helfern und Angehörigen in den vergangenen Wochen sah sich Bürgermeister Vogelpohl darin bestärkt, die Gedenkveranstaltung trotz aller Widrigkeiten abzuhalten. Auch 50 Jahre danach sei das traumatische Ereignis in vielen Köpfen noch präsent. „Die Wunden sind geschlossen, aber die Narben sind geblieben – ein Leben lang.“

Zugleich nutzt das Gemeindeoberhaupt die Möglichkeit, an die Fehlbarkeit der Technik zu erinnern. „Das Eisenbahnunglück von 1971 hat eindrücklich dokumentiert, dass Technik und Mensch auch bei diesem so sicheren Verkehrsmittel versagen können.“ Doch technische Sicherungssysteme würden mit höchster Wahrscheinlichkeit verhindern, dass sich ein solcher Unfall wiederholt, doch dies müsse für alle Güterzüge gelten.

Doch andere Risiken würden bleiben, so Vogelpohl. „Anzahl und Masse von Gefahrguttransporten auf der Rheintalbahn sind stetig gestiegen. Die Gefahren für die Bevölkerung sind schwer zu kalkulieren.“ Zwar sei die Gemeinde froh, dass seit 2012 die Schnellzüge und der größte Teil der Güterzüge durch den Katzenbergtunnel geleitet werden, aber auch die abgestellten Gefahrguttransporte will der Bürgermeister nicht mehr im Ort sehen.

Auf hohe Sicherheitsvorkehrungen setzt auch David Weltzien, der Vorsitzende der DB Regio Baden-Württemberg. Nicht nur sein Mitgefühl spricht er aus, sondern unterstreicht mit dem Blick voraus, dass die Bahn alles für die Sicherheit tue. Die höchstmögliche Sicherheit dürfe nicht an den Finanzen scheitern. Zugleich zeigt er sich beeindruckt, dass es sich bei der Rheinweiler Unglücksstelle nicht nur um einen Ort des Schreckens handele, sondern angesichts der aufopferungsvollen Hilfe von Bürgern und Rettungskräften auch um einen Ort der Menschlichkeit.

Musik und Ausstellung

Musikalisch umrahmt wird die Gedenkfeier von der Chorgemeinschaft Bad Bellingen. Im Anschluss geht es zur Eröffnung der Ausstellung zum Bahnunglück, die der ehrenamtliche Leiter des Bäder- und Heimatmuseums, Christhart Heering, konzipiert hat. In dieser sind auch Bilder, Zeitungsausschnitte sowie erklärende Texte enthalten.

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