Die Texte der „Winterreise“ stammen von Wilhelm Müller, einem Zeitgenossen des Wiener Urromantikers Franz Schubert. Die 24 Texte des Liederzyklus geben zwar nicht notwendigerweise eine konkrete Handlung wieder, erzeugen jedoch das Bild eines unbehausten Wanderers zwischen Liebeshoffen und Todessehnsucht. Bei allen bislang ausgebreiteten privaten und politischen Deutungen waren für Schubert vor allem diejenigen poetischen Bilder werkbestimmend, die einen musikalisch labilen Schwebezustand ermöglichten. Hier gibt es eine breite Palette von Motiven wie frühlingslaues Träumen, grußlose Einsamkeit, Hoffnung verheißende Post, reifverhangener Lebenswinter oder dunkle Ausweglosigkeit.
Musikalisch liegen Hoffnung und Enttäuschung auf engstem Raum zusammen. So bekommt etwa die Dreiklangs-Motivik des fröhlich pochenden Herzens in „Die Post“ durch die enthaarte Harmonik im anschließenden „Der greise Kopf“ einen schwermütig grübelnden Gegenpol. Bisweilen zeigen sich auch innerhalb eines Liedes Ausdruckskontraste zwischen Text und Musik. Den Standard solcher Gegenpole bilden Moll-Dur-Aufhellungen. So entsteht mit der eintretenden Dur-Sphäre bei der Strophe „Will dich im Traum nicht stören“ in „Gute Nacht“ ein spannungsreicher Gegensatz zum mitschwingenden Abschiedsschmerz der Poesie.