Basel Abgesang auf die Pandemie

Von Dominique Spirgi
Carina Braunschmidt und Annika Meier in „Der letzte Pfiff“ Foto: Ingo Höhn

Theater: Christoph Marthalers „Der letzte Pfiff – ein Drehschwindel“ in Basel

Von Dominique Spirgi

Basel. Christoph Marthaler gilt als Meister der musikalisch veredelten Verschrobenheit. Am Theater Basel hat er mit seinem neuen Projekt „Der letzte Pfiff – ein Drehschwindel“ noch eins draufgesetzt – allerdings nicht ganz freiwillig.

Es hätte eine Wiedersehens-Feier werden sollen. Ein Wiedersehen mit Christoph Marthaler, der mit seiner Schauspieler-Familie nach vielen Jahren wieder an den Ort zurückkehrte, wo einst seine einzigartige Karriere mit der unverwechselbaren Dramaturgie und Bühnenästhetik begonnen hatte.

Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer im großen Saal des Theater Basel war es das auch; sie feierten ihren Lieblings-Theatermacher.

Lieblings-Theatermacher des Basler Publikums

Andere verließen den Zuschauerraum nach zwei pausenlosen Stunden mit spürbarem Unmut und hörbarem Murren, als hätten sie nicht gewusst, was sie bei einem Marthaler-Abend erwartet.

Diese positiven und negativen Erwartungen an eine subversive Szenerie jenseits der Regeln des logischen Denkens werden vollauf erfüllt. Bühnenbildner Duri Bischoff hat eine hinreißende Stadt aus Würstchenbuden auf die Bühne gezaubert, die so zweideutige Namen wie „Woelki Dog“ tragen – der Name des umstrittenen Kölner Erzbischofs.

Dieser hat dann auch, zum Verwechseln echt dargestellt von Jean-Pierre Cornu, seine Auftritte. Bei den sakral-magistralen Gängen durch die Buden-Stadt wird der Bischof stets von einer gefährlich über ihm hängenden monströsen Ketchup-Flasche begleitet, welche die Aufschrift „Wotan Upketch“ trägt.

Solche absurd-komischen Kabinettstücke gibt es zuhauf an diesem Abend. Die treuen Mitglieder der künstlerischen Marthaler-Familie wie Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Nikola Weisse, Raphael Clamer oder Carina Braunschmidt und eben Jean-Pierre Cornu können einmal mehr beweisen, dass sie das Instrumentarium der tragikomischen Verkörperung menschlicher Schwächen bestens beherrschen.

Verkörperung menschlicher Schwächen

Auch die Erwartungen an musikalische Köstlichkeiten werden vollauf erfüllt. Virtuos auf verschiedenen Tasten–instrumenten begleitet von Bendix Dethleffsen geht es auf eine wunderbar-wunderliche musikalische Reise von Franz von Suppé über die großen Namen der E-Musik wie Bach, Schubert und Wagner bis zum Gassenhauer „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“.

So faszinierend und hintersinnig komisch diese Einzelstückchen auch sind, der Sinn für das Ganze scheint dem Ensemble gar sehr abhanden gekommen zu sein. Angesagt wird ein Bühnenstück zur Kriminalistik. Davon ist nur wenig zu spüren, zu sehr lenkt das nicht wirklich zusammenhängende Spiel immer und immer wieder davon ab.

Zwar gibt es ein Mordopfer (Liliana Benini), das auf virtuose Art dutzende Formen des Sterbens demonstriert, damit aber kaum Aufmerksamkeit wecken kann. Es gibt einen Polizisten (Jürg Kienberger), der aber statt zu ermitteln unzählige Pistolen aus seiner Uniformjacke zieht. Es gibt also eine Leiche – nur der Fall dazu will sich nicht einstellen.

Nun kann man sicher nicht sagen, dass Marthalers Kernkompetenz in der Wiedergabe einfach verständlicher Geschichten liegt. Aber so unzusammenhängend wie an diesem Abend, war sein Theater wohl noch nie.

„Anders geworden als gedacht“

Dies mag zu einem gewichtigen Teil an den Produktionsbedingungen gelegen haben. In einem Beizettel im Programmheft weist das Theater darauf hin, dass das Coronavirus beinahe zum Garaus der Produktion geführt habe. Die Ensemblemitglieder seien reihum erkrankt, so dass das Team lediglich bei der ersten und der letzten Probe vollständig habe anwesend sein können.

So sei „Der letzte Pfiff“ ein „ganz anderer Abend geworden als gedacht“. Das offenbart sich ganz konkret auch auf der Bühne. „Haben Sie bemerkt, dass sich alles verändert hat?“, wird als Frage in den Raum gestellt.

Und nach und nach bekommen gewisse absurde und scheinbar zusammenhanglose Momente wie das bis zum Geht-nicht-mehr wiederholte Schließen der Buden-Jalousien einen Sinn: Marthaler und sein Ensemble haben ihr persönliches Schicksal als Gemeinschaft, die vom Coronavirus gebeutelt wird, zum Stückinhalt erkoren: zu einem von der Seuche geprägten Abgesang auf die Pandemie.

  Termine: 26./29. April, 8./12. Mai, 8. Juni

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