Basel Die Schweizer Energiewende gerät ins Wanken

Michael Werndorff/sda
Die Kernenergie trägt rund 35 Prozent der Gesamtstromerzeugung in der Schweiz bei. Foto: Pixabay

Der Schweizer Bundesrat rüttelt am 2017 beschlossenen Neubauverbot für Atomkraftwerke und reagiert damit auf die Volksinitiative „Blackout stoppen“. An dem Vorhaben scheiden sich die Geister.

Während in Deutschland die letzten Kernkraftwerke im April 2023 abgeschaltet wurden, setzt die Schweiz in ihrem Energiemix nach wie vor auf die Atomspaltung als zuverlässige und sichere Energiequelle – bislang in ihren bestehenden Meilern.

Derweil sollen Schweizer AKW länger als geplant laufen – auch ein Neubau wird diskutiert, und zwar ausgerechnet dort, wo jetzt schon die meisten Reaktoren stehen – nämlich an der Grenze zu Deutschland. Dabei hatten die Eidgenossen im Jahr 2017 den Ausstieg aus der umstrittenen Atomkraft beschlossen. Neue Reaktoren dürfen in der Alpenrepublik demnach nicht mehr gebaut werden. Nur die bestehenden Kraftwerke dürfen weiterhin Strom produzieren. Auch über Jahrzehnte, solange sie sicher sind.

Laufzeit von 40 Jahren

Bei seinem Bau war für das Atomkraftwerk Leibstadt eine Betriebszeit von 40 Jahren geplant. Das ist jetzt vier Jahrzehnte her. Das betagte Kraftwerk soll aber mindestens noch 20 Jahre weiter am Netz bleiben, weil die Schweiz die Laufzeit nicht begrenzt. Bernd Mücke, der stellvertretende Leiter des AKW Leibstadt, sprach im Herbst vergangenen Jahres in diesem Zusammenhang von Investitionen in Milliardenhöhe. Die Schweizer Anlage sei ihm zufolge auf dem neusten Stand der Technik.

Doch seit einiger Zeit rüttelt der Schweizer Bundesrat am 2017 beschlossenen Neubauverbot. Damit reagiert er auf die Volksinitiative „Blackout stoppen“ und den steigenden Strombedarf der Schweiz, in der die Debatte um den Neubau von Kernkraftwerken an Fahrt gewinnt. Die bürgerliche Seite und die Strombranche loben das Aus für ein Technologieverbot. Die Grünen drohen mit dem Referendum. Im Gegenvorschlag zur Volksinitiative „Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)“ schlägt der Bundesrat vor, das Rahmenbewilligungsverbot für Atomkraftwerke im Kernenergiegesetz ersatzlos zu streichen. Die Initiatoren wollen in der Verfassung festschreiben, dass alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig sind.

SVP für Neubau

„Mit Überzeugung“ unterstützt sie die SVP, wie sie in ihrer Stellungnahme festhält. Die Aufhebung des Neubauverbots sei dringend nötig für eine sichere, unabhängige und emissionsarme Energieversorgung. Kernkraftwerke seien für den Winterstrom unverzichtbar. Für die FDP steht die Stromversorgung vor großen Herausforderungen.

Der Eidgenössisch-Technischen Hochschule zufolge steige der Strombedarf in der Schweiz bis zum Jahr 2050 von 60 auf 90 Terawattstunden. Mit der Abschaltung der bestehenden Kernkraftwerke entstehe eine Stromlücke von 50 Terawattstunden. Trotz Anstrengungen sei die Gefahr einer Stromlücke nicht gebannt. Der Gegenvorschlag behebe Fehler der Energiestrategie 2050.

Die Mitte-Partei hegt große Vorbehalte und lehnt den Gegenvorschlag deshalb ab. Für sie ist zentral, dass die einheimischen erneuerbaren Energien nicht der Kernenergie geopfert werden. Entschieden gegen einen AKW-Neubau wendet sich die SP. Der Bundesrat setze auf eine rückwärtsgewandte Energiepolitik. Die Grünen stellen fest, dass der Bundesrat mit der Aufhebung des Neubauverbots das Hauptanliegen der Initiative erfüllt. Das sei eine grobe Missachtung des vom Volk 2017 beschlossenen und 2024 mit dem Stromversorgungsgesetz bekräftigten Atomausstiegs. Das Vorhaben sabotiere die Energiewende.

Für eine sichere Versorgung

Ganz anders sieht es der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Er lehnt die Initiative ab und begrüßt den Gegenvorschlag. Langfristig biete die Technologieoffenheit strategischen Handlungsspielraum im Interesse der Versorgungssicherheit. Und auch das Nuklearforum Schweiz spricht sich für den Gegenvorschlag aus.

Rückblick: Der Beschluss von 2017 war nicht der erste Versuch, der Atomkraft in der Schweiz ein Ende zu bereiten: Eine erste Anti-Atom-Initiative wurde im Februar 1979 an der Urne relativ knapp mit 51.2 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Die Atominitiative II (keine weiteren AKW) im September 1984 konnte ebenfalls keine Mehrheit finden. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 führte dann zu einem zehnjährigen AKW-Baustopp und einem geordneten Rückzug aus der Kernenergie. Sechs Jahre später folgte das Kernenergiegesetz, das die Option Kernkraft offenhielt und den Bau neuer AKW einem fakultativen Referendum unterstellte. Erst mit der Atomkatastrophe in Fukushima sprach sich der Schweizer Bundesrat für einen längerfristigen Atomausstieg aus.

Unsicherheit beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der steigende Strombedarf führen mittlerweile zu einem Umdenken in der Politik und Öffentlichkeit: Zwar ist der Weg hin zu einem neuen AKW noch sehr weit und voller Hindernisse, doch schon jetzt beginnt eine Diskussion um mögliche Standorte.

Tatsächlich haben sich zwei Gemeinden bereits in Stellung gebracht. Eine davon ist das aargauische Döttingen, das mit den beiden Beznau-Meilern die ältesten AKW der Schweiz beheimatet. Und auch der Gemeindeammann von Leibstadt hat seine Gemeinde als möglichen Standort für einen Neubau beworben.

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