Das Eurovision Village in der Halle 1 der Messe Basel ist Treffpunkt für viele Musikbegeisterte. Der Eintritt ist frei, und es wird ein breites Programm mit Live-Konzerten angeboten. Foto: Michael Werndorff
Der Eurovision Song Contest zieht Musikfans aus der ganzen Welt nach Basel. Viele nehmen sich eigens Urlaub und legen weite Strecken zurück, um den weltweit größten Gesangswettbewerb mitzuerleben.
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„’Wir hätten nie gedacht, dass du an den ESC fährst‘, haben meine Kolleginnen gesagt. Bei denen bin ich jetzt voll unten durch – absoluter Statusverlust“, schmunzelt Claudia, die mit ihrer Freundin Sylvia eigens aus Winterthur nach Basel gekommen ist, um den größten Gesangswettbewerb der Welt hautnah mitzuerleben. Beide stehen am Samstagmittag in der riesigen Basler Messehalle, wo seit wenigen Momenten das Begleitprogramm läuft. Auf der Bühne heizen Tanja Dankner, Odette Hella‘Grand und Joël von Mutzenbecher dem Publikum ein, bevor im großen Saal des Eurovision Village die Musiker des jungen Orchesters Juventus Musica Basel aufspielen.
Schlechte Musik, zweitklassige Gesangskünste und modische Entgleisungen – mit dem Eurovision Song Contest seien viele Vorurteile verbunden, bedauert Claudia. Dem sei aber nicht so, ergänzt Sylvia. „Und außerdem: Die Musik ist nicht das Wichtigste, sondern die vielen Nationen, die zusammenkommen und friedlich miteinander feiern. Das ist das Reizvolle am ESC.“ Derweil gefällt Claudia das gesamte Konzept – „Party machen, schön ist auch, dass LGBTQ im Vordergrund steht.“ Welcher Interpret letztlich das Rennen macht, spiele für sie keine Rolle.
Eine weite Anreise aus dem fernen Australien
Das Orchester Juventus Musica Basel heimste mit seinem Klassikprogramm im Eurovision Village viel Beifall ein. Foto: Michael Werndorff
Eine weitere Anreise hatte Collin Hyde: Vor wenigen Stunden saßen er und sein Freund noch im Flugzeug aus Sydney, rund 16 000 Kilometer haben beide auf dem Weg nach Basel zurückgelegt. „Ich bin hier, um unseren Act zu unterstützen, mein Herz schlägt für den ESC.“ Das Großartige am ESC: „Die Akzeptanz, verschiedenen Musikstile zu akzeptieren, es ist einfach ein guter Mix, und es wird in verschiedenen Sprachen gesungen“, sagt der Australier begeistert, der in seinem einwöchigen Europaurlaub noch Lichtenstein und das Elsass besuchen will. „Das wird eine ganz besondere Woche“, zeigt sich der Mittfünfziger auch vom abwechslungsreichen Rahmenprogramm begeistert. „Die Organisatoren haben ganz viel auf die Beine gestellt.“
Ein wahrer ESC-Fan schon von Kindesbeinen an
ESC-Fan ist Hyde schon seit seiner Kindheit. Damals habe er den Gesangswettbewerb für sich entdeckt und gemeinsam mit seinen Eltern am Fernsehbildschirm verfolgt. Seit 2011 reist er zu jedem Austragungsort, und er bedauere es auch nicht, kein Ticket für die Shows in der St. Jakobshalle ergattert zu haben. Dafür sei er im Joggeli beim Public-Viewing dabei. „Alles okay, die Stimmung ist trotzdem super.“ Seine ESC-Leidenschaft lasse er sich einiges kosten. „Ich schaue mir aber erst nach meiner Heimreise die Kreditkartenabrechnung an“, lacht der Musikfan aus „Down Under“.
ESC-Fans seit der Kindheit
Ebenfalls ESC-Fans seit Kindertagen sind die beiden Spanier Pedro und Miguel. Miguel ist zum siebten Mal live dabei. „Wir lieben die Musik, und wir möchten andere Fans kennenlernen. Das ist für uns die Woche des Jahres“, sagt der 46-jährige Miguel im Gespräch mit unserer Zeitung.
Was sie am ESC so toll finden? „Der Wettstreit“ antworten beide unisono. „Und natürlich die Musik“, ergänzt Pedro. „Wir drücken natürlich unserem Land die Daumen, der Schweizer Beitrag ist aber auch sehr gut“, zeigt er sich diplomatisch.
Neben Public Viewings gibt es auch Live-Konzerte im Eurovision Village, das in Halle 1 der Messe Basel steht. Foto: Michael Werndorff
Andrang am Einlass hält sich in engen Grenzen
Derweil hält sich der Andrang am Einlass in Grenzen. Die Besucher verlieren sich in der weitläufigen Halle 1 der Basler Messe, wo das Eurovision Village aufgebaut ist. Dort erwartet die Besucher ein tägliches Programm mit Live-Konzerten, Public Viewings, Essens- und Getränkeständen sowie weiteren Aktivitäten rund um den ESC. Vor der Bühne werden die Reihen dichter, auf der Bühne: das Orchester Juventus Musica Basel. Zum Besten geben sie unter anderem einen Walzer von Schostakowitsch und Griegs „In der Halle des Bergkönigs“. Obwohl das Publikum überschaubar ist, spielen die Musiker mit Leidenschaft und werden mit viel Beifall belohnt. Gleich gegenüber, in der Eventhalle der Messe ist der Eintritt kostenpflichtig. Im Euro Club treten ebenfalls ehemalige ESC-Künstler auf. Bis in die frühen Morgenstunden stehen dort Konzerte und Partys an.
„Fuck Israel“ und Free Palestine“ haben Unbekannte an die begehbare Großskulptur „Lightning Symphony“ gesprayt. Foto: Michael Werndorff
Der ESC ist immer auch ein Politikum
Schauplatzwechsel: Vor der Halle sind an einem der ESC-Höhepunkte, der Großskulptur „Lightning Symphony“ der Künstlerin Claudia Comte Pro-Palästina-Schmierereien aufgetaucht. Wo ESC-Fans und Passanten das Kunstwerk fotografieren oder sich für Selfies in Szene setzen, haben Unbekannte „Fuck Israel“ und „Free Palestine“ gesprayt. Mit Putzmaterial sind Mitarbeiter der Stadt angerückt, um die Graffiti zu entfernen.
Andernorts sollen Graffiti Farbe in die Stadt bringen. Am Eingang zur Eurovision Street ist an jenem Samstagmittag das Künstlerkollektiv „ÜBR“ am Werk, das die Fassade eines der Häuser in der Steinenvorstadt mit einem orangefarbenen Sonnenuntergang über den Rheinufer versieht. Die Arbeiten finden unter den interessierten Blicken zahlreicher Passanten statt, die zuvor Anti-Terror-Sperren und eine starke Polizeipräsenz passieren mussten, um in die Eurovision Street zu gelangen. Diese führt zum Barfüßerplatz, wo die ganze Woche über Bands auftreten werden.
Wer in die Eurovision Street will, muss Anti-Terror-Sperren und ein großes Polizeiaufgebot passieren. Foto: Michael Werndorff
Polizeiaufgebot sorgt für Sicherheit der Besucher
Das große Polizeiaufgebot in der Stadt am Rheinknie ist allgegenwärtig: Rund 1300 Polizisten aus der gesamten Schweiz sorgen in der Stadt am Rheinknie für Sicherheit. Beide Basler Polizeien spannen zusammen, wie es dieser Tage bei einer Medienkonferenz hieß. Er gehe von einem erfolgreichen Einsatz aus, sagte dabei Thomas Würgler, interimistischer Basler Polizeikommandant.
Denn: Die Polizei hätte Erfahrung mit Großanlässen in einem spannungsgeladenen Umfeld wie etwa beim Zionistenkongress, der im Jahr 2022 in Basel stattfand. „Die weltpolitische Lage ist komplex. Wir können sie nicht beeinflussen, aber adäquat darauf reagieren.“ Am Samstag vor der offiziellen Eröffnung des ESC ist in der Stadt vielerorts kein Durchkommen für den Individualverkehr. Die Polizei ermahnt Velofahrer abzusteigen und ihren Drahtesel durch die Sicherheitszonen zu schieben. „Ich fühle mich sicher, die Behörden haben bestimmt alles mögliche unternommen, damit es zu keinen Zwischenfällen kommt“, meint der Elsässer Michel Schmidt im Gespräch mit unserer Zeitung. „Ohne das große Polizeiaufgebot wäre es aber sicher schöner“, räumt er ein.
Vielerorts kein Durchkommen
Polizei untersagt Demos gegen Israel auf Clara-Platz
So hat die Polizei eine Standkundgebungen gegen Antisemitismus auf dem Claraplatz untersagt, indes verschafften sich Pro-Palästina-Demonstranten am Eröffnungstag unangemeldet Gehör – konkret ging es um den anhaltenden Krieg im Gazastreifen. „Boycott Israel“ und „From the River to the Sea“ skandierten Demonstranten am Sonntagnachmittag in der Basler Innenstadt.
Im Vorfeld wurde auf Social Media zu mehreren Kundgebungen gegen die Teilnahme Israels aufgerufen. „Die Kundgebungen stören mich nicht, Hauptsache, der ESC geht friedlich über die Bühne“, so Schmidt.
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