Basel Hommage an alles Leben

Die Oberbadische

Ausstellung: Museum Tinguely zeigt Schweizer Künstlerduo Steiner/Lenzlinger mit „Too early to panic“

Von Gabriele Hauger

Basel. Entscheidungskraft ist gefordert: Durch welche der drei Türen betritt man die Ausstellung? Durch die mit der Aufschrift Vergangenheit? Gegenwart? Oder doch besser Zukunft? Selten noch war eine Schau im Museum Tinguely derart innovativ, interaktiv und aufwändig gestaltet wie die aktuelle des Schweizer Künstlerduos Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger.

Unter dem Titel „Too early to panic“ kreieren die beiden ein verblüffendes Universum, voll überraschender Details. Eine Art Labor des Lebens voller Sinnlichkeit. Wachstum, Transformation, Kristallisation und Metamorphose sind die großen Themen des Duos, das seit 1997 zusammenarbeitet. Es geht um Pflanzen, um Tiere, um das Werden und Vergehen, um Wachstum und Zerfall. Und oft auch um die Schönheit, die es in allen Bereichen des Lebens zu entdecken gibt.

Die Schau gleicht einer großen Installation, bei deren Durchwandern der Besucher in ein Dschungelartiges Labyrinth eintaucht, das ihm viele spielerische Möglichkeiten bietet, ohne in platten Eventcharakter abzugleiten. Und das ihm ganz individuelle Ausstellungstouren erlaubt.

Nehmen wir also die rechte Tür, die Vergangenheit. Durch eine Art Gartenhütte mit allerlei gerümpeligen Utensilien betreten wir einen dunklen Raum, der Rückblick auf die frühen Arbeiten der Künstler bietet. Fast sakral sind die Objekte ausgeleuchtet, die Beschriftungen helfen zur Deutung. Da ist eine Zahnbürste, auf der ein Salzkristall gewachsen ist. Eine Eisenplatte, die seit 30 (!) Jahren in einer Salzlösung vor sich hin verrottet. Bilder, die von durch Nahrung angelockten Ameisen geschaffen wurden, die dabei ihre Füßchen in Farbe tunkten und über die Papierblätter liefen. Oder eine Samensammlung aus Mali, Der Samen als Symbol für die Keimzelle des Lebens, für die Fruchtbarkeit, für die primäre Energie, die jedem Leben zugrunde liegt und an den Wurzeln des Menschseins rührt.

Ein meditatives Erlebnis erwartet einen im nächsten Raum: Auf einer Schaukel sitzend fällt – sich sanft wiegend – der Blick auf das Video eines sich stets verändernden bunten Musters in Kreisform mit kleinen Assymetrien, die – so Gerda Steiner – das Leben erst schön machten. Geradezu hypnotisch mahnt diese Arbeit an die Schönheit der Farbe, des Lebens.

In der Gegenwart angelangt, bilden verschiedene Räume eine Art Mini-Fiktion des Lebens. In den kleinen Separées wird der Besucher von einer Crew erwartet, die Hilfestellung beim Experimentieren gibt. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Man kann die eigenen Tränen unterm Mikroskop untersuchen und feststellen, das diese vergrößert wunderbare Bilder schaffen. Oder sich mit geschlossenen Augen eine Schluck-Impfung mit dem Schönheitsvirus verabreichen lassen. Oder – besonders schön – herausfinden: „Welche Blume sind Sie?“ Dazu muss man in eine Muschel ein langes „A“ hineintönen. Über die Klangerkennung wählt die Installation dann eine der auf einem Tisch dekorierten Blumen per Lichtkegel aus. Was diese Blume mit dem eigenen Charakter und Leben zu tun hat? Philosophieren erlaubt!

Gleich zweimal besteht zudem die Möglichkeit zum Abliegen. Gerne unter einem schwebenden Meteoriten – bestens gegen Kopfschmerzen, versichert das KünstlerPaar. Oder ein paar Schritte weiter unter einem Mobile, bestehend aus einem etwas gruseligen Sammelsurium an menschlichen Ersatzteilen: Brillen, Hörgeräte, Zahnprotesten, Perücken – auch das gehört ins Laboratorium des menschlichen Daseins.

Steiner und Lenzlinger, die bei der Biennale 03 einen filigranen, schwebenden Garten präsentierten, leiten den Besucher nach diesem wissenschaftlich-vergnüglichen Parcours in die Zukunft. Hier im großen Saal wimmelt und wächst, tönt und wuchert es. Ein zauberhaftes, buntes Labyrinth aus Fundstücken, und Geschaffenem. Ein wuchernder Wald, in dem eine glitzernde Ananas hoch und runter schwebt, exotische Vögel zwitschern, papierne Blüten wuchern. Durch ein Fitnessgerät bewegt, schwingt und tönt diese gewaltige Installation, die vor Fantasie und Träumerei nur so strotzt. Am Ende wartet der Kristallgarten. Von der Decke hängende Objekte – ein Ball, Karotten, Stoffe – werden stetig mit synthetischem Harnstoff beträufelt – und mutieren so zu farbigen, kristallinen Kunstwerken: ein Wandlungsprozess mitten im Museum – und damit eine Hommage an alles Leben.  6. Juni bis 23. September, Di-So, 11-18 Uhr, während der ART 9-19 Uhr

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