Ja, Sie haben richtig gelesen, Kaiserin Sissi war das erste an der Schulter tätowierte Staatsoberhaupt Europas, wie man aus einem Gedicht von ihr selber erfährt. Tattoos sind also nicht erst seit den Zeiten der Schönheitschirurgie in Mode. Die szenische Lesung „Der illustrierte Mensch“ (Konzeption und Realisation: Niggi Ullrich) in der Riehener Fondation Beyeler nahm zum Start der Literaturbox, die an neuen Orten und Schauplätzen stattfindet, die speziellen Hautwahrnehmungen und Wundmale in den Fokus.
„Wenn die Haut spricht…“ (so der Titel der Erinnerungen des Russen Nicolai Lilin), erzählt sie spannende und mysteriöse Geschichten über Schmerz und Mythen. Ein russischer Tätowiermeister ist wie ein Priester, nimmt eine Sonderstellung ein, handelt im Namen des Tätowierten. Wie liest man Tätowierungen? Ihr Geheimnis liegt in den Details der Motive. Und so hört man in dieser Beschreibung aus dem literarischen Sammelband „Das Herz auf der Haut“, aus dem die Texte der Lesung stammten, viel über Tätowiertechnik, Tätowiernadeln, den Beruf des Tätowierers, wie man eine Zeichnung auf die Haut überträgt oder alte, verblasste Tätowierungen auffrischt, über künstlerische Entwürfe auf der geritzten Haut, misslungene Darstellungen und kodifizierte Bedeutungen. Auch über den Bezug zur sibirischen Verbrechertradition, die kriminelle Symbolik und die Kultur des Tätowierens informierte der Text, der eigentlich schon alles über diesen zur Schau getragenen Körperkult sagt.