Basel Lage lief schnell aus dem Ruder

Die Oberbadische
Der Basler Epidemiologe Jürg Utzinger ist optimistisch, dass bis Sommer allen Impfwilligen in der Schweiz ein Angebot gemacht werden kann. Foto: Die Oberbadische

Interview: Basler Epidemiologe Jürg Utzinger über ein Jahr Corona-Pandemie in der Schweiz

Basel - Die Schweiz sei schlecht auf die zweite Welle der Pandemie vorbereitet gewesen, stellt der Basler Epidemiologe Jürg Utzinger im Interview fest. Er erwartet, dass bis zum Sommer alle Impfwilligen in der Schweiz geimpft sind, erklärt er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.

Frage: Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Schweiz im vergangenen Pandemie-Jahr?

Die Schweiz hat in der Pandemie-Bekämpfung sehr viel sehr gut gemacht. Vor allem zu Beginn musste schnell und rigoros reagiert werden. Das ist inhärent schwierig, denn die Datenlage war äußerst dünn. Erstaunt hat mich aber, wie schnell die zweite Welle aus dem Ruder gelaufen ist. Das hat auch mit der Nachlässigkeit der Bevölkerung und der zunehmenden Mobilität zu tun.

Die Schweiz und andere europäische Länder hätten darauf besser vorbereitet sein sollen, etwa mit einem besseren Überwachungssystem, um kleine Infektionsherde frühzeitig festzustellen und sofort einzudämmen. Ein gutes Mittel wären sicher auch gezielt eingesetzte Schnelltests in Altersheimen, Betrieben und Schulen gewesen.

Frage: Sie haben in ihrem Berufsleben schon einige Epidemien erlebt. Welche Entwicklung hat Sie in der Covid-19-Pandemie am meisten überrascht?

In der Corona-Pandemie hat sich die Welt für einmal zusammengerauft. Wissenschaft, Technologie und Privatwirtschaft haben in weniger als einem Jahr mehrere Impfstoffe entwickelt, geprüft und auf den Markt gebracht. In der Schweiz wurden bereits zwei Corona-Impfstoffe zugelassen, und die Impfkampagne konnte Ende vergangenen Jahres lanciert werden. Das ist sensationell. So etwas hat die Menschheit noch nie erlebt.

Frage: Impfungen sind ein wichtiger Teil in der Bekämpfung der Pandemie. Wie beurteilen Sie die Impfstrategie der Schweiz, auch im internationalen Vergleich?

Ich bin immer noch optimistisch, dass wir bis zum Sommer das ambitionierte Ziel erreichen, alle Impfwilligen impfen zu können. Schwierig wäre es aber, wenn die zugelassenen Impfstoffe nicht gegen neue Mutationen wirken. Es ist darum wichtig, dass weitere Impfstoffe, basierend auf verschiedenen Technologien, auf den Markt kommen. Impfungen sind derzeit global ein knappes Gut. Für die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie ist es darum wichtig, dass die Impfungen weltweit möglichst schnell, fair und gerecht verteilt werden, denn: Covid anywhere is Covid everywhere!

Frage: Mit welchem Verlauf der Pandemie rechnen Sie in den nächsten Wochen in der Schweiz? Sehen Sie das Licht am Ende des Tunnels?

Ich bin vorsichtig optimistisch für die nächsten Wochen, da die Fallzahlen und Hospitalisierungen kontinuierlich abnehmen. Große Sorge bereitet uns allerdings die Ausbreitung von ansteckenderen Mutationen. Corona wird nicht verschwinden. Wir müssen weiter lernen, damit umzugehen. Unsere Perspektive ist aber ganz klar besser als noch vor einem Jahr. Ich gehe davon aus, dass es für uns alle Ende Februar das eine oder andere Zückerchen geben wird – eventuell wird der Präsenzuntericht an den Unis wieder ins Auge gefasst.

Für große Lockerungsschritte ist es allerdings noch zu früh. Zu groß ist die Gefahr einer exponentiellen Zunahme der gefährlichen Mutationen. Modelle weisen darauf hin, dass sich zurzeit eine dritte Welle aufbaut, und die ist noch versteckt in der rückläufigen zweiten Welle. Deshalb ist für März weiterhin große Vorsicht geboten. Abstandhalten und Maskentragen sind zentral. Ich hoffe sehr, dass die Impfkampagne an Dynamik gewinnt. Wir sind auf einem guten Weg, aber es dauert noch.

Frage: Gab es in der Vergangenheit vergleichbare Pandemien?

Die letzte vergleichbar globale Pandemie war die Spanische Grippe vor rund hundert Jahren. Geschätzte 500 Millionen Menschen waren damals infiziert, und die Pandemie kostete zwischen 20 und 50 Millionen Menschen das Leben. Weniger extrem war Sars 2002/2003 mit rund 8000 Krankheitsfällen in 25 Ländern und weltweit 774 Toten. Mers 2012 und Ebola 2014 bis 2016 waren geografisch stärker eingeschränkt, und es gelang, diese Pandemien innerhalb weniger Monaten oder Jahre unter Kontrolle zu bringen.

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