Basel „Man sieht sich im Spiegel“

Bernhard Konrad

Interview: Einfach kompliziert – oder? Jörg Bertsch über das Verhältnis von Schweizern und Deutschen

Wir können nicht ohneeinander, aber miteinander ist es auch nicht immer einfach – selbst im Dreiländereck, wo grenzüberschreitende Kontakte zum Alltag gehören. Im Verhältnis von Schweizern und Deutschen sind immer auch Klischees und kommunikative Fallstricke im Spiel.

Höchste Zeit, mit jemandem darüber zu reden, der beide Seiten kennt. Jörg Bertsch ist im Landkreis Lörrach aufgewachsen, lebt seit vielen Jahren in Basel und besitzt beide Staatsbürgerschaften. Bernhard Konrad hat mit ihm über die Beziehung von Schweizern und Deutschen gesprochen.

Frage: Herr Bertsch, wenn Deutsch-Schweizer über Deutsche reden, wird gern ein bisschen gefrotzelt, mitunter gibt es sogar erhebliche Vorbehalte. Grundsätzlich: Sind wir wirklich so unterschiedlich?

Dieses Gefrotzel ist nach meiner Erfahrung meist gutmütig und selten gehässig. Tatsächlich hat es eher damit zu tun, dass wir uns sehr ähnlich sind: Man sieht sich gegenseitig sozusagen im Spiegel, und der Spiegel zeigt ja bekanntlich oft auch Dinge, die man gar nicht so sehr an sich mag.

Frage: Diese Sichtweise dürfte manchem Schweizer aber gar nicht gefallen...

(lacht). Zudem haben nach wie vor manche Schweizer gewisse Minderwertigkeitskomplexe gegenüber diesen Leuten aus dem „großen Kanton“, die oft so wahnsinnig schnell reden. Auch das schafft eine gewisse Distanz.

Frage: Also stimmt zumindest dieses Klischee: Es gibt nichts, was uns mehr trennt als die gemeinsame Sprache?

Schweizer – und übrigens auch Südbadener! – reden in der Regel langsamer als Deutsche aus nördlicheren Gefilden. Damit wird zweifellos gelegentlich die Befürchtung verknüpft, auch als geistig träger wahrgenommen zu werden – was natürlich völliger Unsinn ist.

Manchmal trennen uns auch einfache Umgangsformen voneinander, insbesondere das Auftreten mancher Deutschen – auch wenn dieses nicht respektlos gemeint ist. Ein Beispiel: Wenn eine Frau aus Norddeutschland in einer Bäckerei etwas fordernd sagt: „Ich krieg das Brot dort“, dann mag das in Oldenburg vollkommen normal sein. In der Schweiz wird das als nassforsch bis arrogant wahrgenommen. Man sagt höflich: „Ich hätt’ gern...“

Frage: Unterscheiden die Schweizer zwischen den südbadischen Alemannen und dem Rest der Bundesrepublik?

Ich denke, die zwischen Basel und Bodensee in Grenznähe Wohnenden schon. Sie kennen die sprachliche Nähe diesseits und jenseits des Rheins aus eigener Erfahrung. Aber Innerschweizer oder ein Zürcher wissen nicht unbedingt, dass jenseits der Grenze ein eng verwandter Dialekt gesprochen wird. Es kann schon sein, dass dann ganz Deutschland in einen Topf geworfen wird.

Frage: Wie sieht sich der Schweizer als Bürger im Staat? Mein Eindruck ist tendenziell: Schweizer sehen staatliche Interventionen skeptisch, sind aber auch eher bereit, Eigenverantwortung zu übernehmen. In Deutschland wird gern auf den Staat geschimpft, aber zugleich rasch nach seiner Hilfe gerufen.

Zumindest die erste These stimmt. Staatliche Interventionen hat der Schweizer Bürger nicht so gern. Man mag diese bodenständige direkte Demokratie, die ihre Basis auf der Gemeindeebene hat. Die Haltung, dass das Volk der Souverän ist und „die da oben“ im Grunde Angestellte des Volkes sind, ist schon ausgeprägt.

Die Bereitschaft, grundsätzlich wesentlich mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, halte ich hingegen eher für eine gut gepflegte Legende.

Frage: In der Schweiz ist beispielsweise der geringe Kündigungsschutz der Arbeitnehmer überhaupt kein Thema.

Das stimmt zwar, aber so lange ich mich erinnern kann, herrschte in der Schweiz quasi Vollbeschäftigung. Wenn hier mehr als drei Prozent Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist, wird das ein Thema für die Medien. Und bei Vollbeschäftigung müssen Arbeitnehmer nun mal nicht so sehr um ihren Arbeitsplatz bangen – selbst ohne Kündigungsschutz.

Frage: Einerseits sind die Deutschen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt unverzichtbar. Andererseits wird es den Schweizern fast schon zu viel. Für die Eidgenossen eine Zwickmühle.

Die Schweiz hat einen Ausländeranteil von rund 25 Prozent – gut doppelt so viel wie Deutschland. Das weckt Ängste, die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) bewirtschaftet werden und in deren Anhängerschaft stark verbreitet sind. Das ist eine starke Minderheit. Aber die Mehrheit ist sich klar bewusst, dass es ohne die Ausländer nicht geht. Der schweizerische Wohlstand kann ohne die vielen Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht aufrecht erhalten werden. Das gilt von der einfachen Tätigkeit bis zu den Top-Jobs.

Ich sehe da jenseits der aktiven SVP-Anhänger kaum Vorbehalte.

Frage: In der Schweiz ist die SVP mit gut 25 Prozent Wähleranteil die wählerstärkste Partei. Unterscheidet sie sich deutlich von der AfD in Deutschland?

Die SVP ist nationalkonservativ bis rechtspopulistisch. Aber ich sehe nicht, dass es in ihr Nazis oder Nazisympathisanten gibt. Vor allem aber muss die SVP auch im eigenen Interesse immer wieder den Konsens mit anderen Parteien suchen.

Frage: Dem liegt ein generell anderes Verständnis des demokratischen Miteinanders im politischen System zu Grunde?

Das ist die Konsensdemokratie. Das gesamte Regierungssystem ist anders: Es ist in der Schweiz eben nicht so, dass sich für eine Wahlperiode hier die vom Volk installierte Regierung und dort die Opposition gegenüberstehen. Die Regierung wird sowohl auf Bundes- wie auf Kantonsebene gewissermaßen von links bis rechts zusammengewählt: Diese gewählten Volksvertreter müssen das Land konsensorientiert regieren. Und das gelingt auch.

Frage: In der Schweiz haben Volksabstimmungen Tradition. In Deutschland werden diese zunehmend gefordert. Volksabstimmungen, so eine These, öffnen Tür und Tor für Schwarz-Weiß-Denken. Wie stehen Sie zu Volksabstimmungen?

Ich habe mich auch deshalb um die Schweizer Staatsbürgerschaft bemüht, weil ich, wenn ich schon auf Dauer hier lebe, auch die Möglichkeit zur Mitbestimmung nutzen wollte. In der Schweiz funktioniert dieses System – ich finde das sehr beeindruckend. Es geht bei den Abstimmungen meist um einzelne Sachfragen – mitunter auch um Kuriositäten. Es läuft zwar auf ein „Ja“ oder „Nein“ hinaus – aber über die Jahre betrachtet muss man sagen: Es kommt meistens was Vernünftiges dabei heraus.

Frage: Wäre dieses Angebot in der politischen Kultur Deutschlands ebenso wünschenswert?

Ich bin kein Politikwissenschaftler, aber ich hätte in Deutschland eher Bedenken. Auf nationaler Ebene allein schon aufgrund der enormen Größe des Landes, die mit der Schweiz nicht zu vergleichen ist. Meine skeptische Haltung entspringt aber eher einem Gefühl als einer faktenbasierten Analyse.

Frage: Wie hat sich das grenzüberschreitende Miteinander in den vergangenen 20 Jahren entwickelt?

Es hat sich vieles getan. Wir sind uns näher gekommen. Einen großen Beitrag haben sicher auch die grenzüberschreitend tätigen politischen Gremien im Trinationalen Eurodistrict Basel geleistet, die immer wieder Austausch und Begegnung ermöglichen.

Frage: Wenn Sie nach so vielen Jahren in Basel auf die Schweiz oder Deutschland blicken: Hat sich Ihr Bild von diesen beiden Ländern verändert?

Da ich seit meiner Kindheit in der Grenzecke lebe, war mir die Schweiz nie ganz fremd; aber selbstverständlich kenne ich sie nach 25 Jahren Sesshaftigkeit viel detaillierter und intensiver. Mein Bild von Deutschland hat sich nicht wesentlich gewandelt, zumal ich mich viel hier aufhalte und einen großen Teil meines privaten Umfeldes hier habe. Im Übrigen – und ich mein’ das wirklich ernst: Meine Heimat ist weder der Kanton Basel noch der Landkreis Lörrach. Meine Heimat ist die Regio.

Jörg Bertsch, Jahrgang 1949, ist in Steinen aufgewachsen. Der gelernte Jurist und ehemalige Redakteur unserer Zeitung lebt seit 1995 in Basel und arbeitet dort freiberuflich als Lektor, Korrektor und Trauerredner. Seit gut vier Jahren besitzt er auch die Schweizer Staatsbürgerschaft.

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