Basel Momente der Ewigkeit bleiben

Jürgen Scharf

Literatur: Beliebte Lesereihe „Wintergäste“ muss dieses Jahr notgedrungen pausieren

Regio - Der Winter ist eingezogen, aber die „Wintergäste“ bleiben außen vor: Die beliebte und meist ausverkaufte Lesereihe mit professionellen Schauspielern muss dieses Jahr notgedrungen pausieren.

Dabei war das Programm fertig, das Beiheft gedruckt, die Räume waren gemietet, die Proben mit den Sprechern angelaufen. Nun wurde die komplette Ausgabe 2021 der Literaturreihe, die am vergangenen Sonntag hätte beginnen sollen, auf nächstes Jahr verschoben.

Dabei wäre es doch so schön mit einem großen Lesefest losgegangen! Die mitwirkenden Theaterleute Christian Heller, Sibylle Mumenthaler, Emilia Haag, Mario Fuchs, Vincent Leittersdorf, Doris Wolters, unterstützt von Live-Musiker Ben Jeger, hätten sich in der Reithalle im Riehener Wenkenhof des aktuellen Lesemottos „Moment und Ewigkeit“ angenommen und auf der Lesebühne Kurzgeschichten von Christoph Ransmayr, Alice Munro und Giovanni Boccaccio vorgetragen.

Doch daraus wurde aus den bekannten Gründen nichts, denn auch die Schweiz hat den Lockdown verlängert und bis Ende Februar alle öffentlichen Veranstaltungen verboten.

„Die ganze Arbeit eines Jahres findet definitiv nicht statt“, bedauert Marion Schmidt-Kumke. Seit 1998 konzipiert und realisiert die Lörracher Dramaturgin und freie Regisseurin die szenische Lesereihe, und seit 2007 gestaltet sie auch das musikalisch-literarische Programm „Stimmen im Advent“ für den Burghof Lörrach. Auch diese gut besuchten Konzertlesungen wurden ersatzlos gestrichen. „Und dabei wäre es gute Tradition gewesen, an der ich gerne festgehalten hätte.“

Existenziell schwierige Phase für Freischaffende

Für freischaffende Künstlerinnen wie Marion Schmidt-Kumke, die seit Ende der 1980er Jahre als freie Regisseurin arbeitet, und die vielen meist freiberuflich tätigen Schauspieler ist diese Zeit der Theaterschließungen eine existenziell schwierige Phase. Erfreulicherweise gehe der Verein Wintergäste mit Sitz in Basel großzügig mit den Schauspielern um; sie bekämen ihre Gage „als Zeichen der Solidarität“, weil „wir alle im Regen stehen“.

Letztes Jahr ist es gelungen, die „Wintergäste“ gerade noch „abzuspielen“, bereits einen Monat später begannen die Überlegungen, ob man weiterhin finanziell in die Planung gehen kann und welche Themen „durch die Lüfte schweben“, so Schmidt-Kumke. Es braucht Vorlauf für die Veranstaltungsreihe, um Unterstützung zu beantragen, die zu 100 Prozent aus der Schweiz kommen muss.

„Im März stand dann das Thema“, so die Dramaturgin. Das Programm mit dem Ewigkeitstitel und das „im Moment zu leben“ habe etwas mit der aktuellen Situation zu tun, sagt sie. Es bleibe ein „großes, ewiges Thema“, was Leben und Lebensqualität bedeute. Zu diesem Thema gebe es fantastische Literatur.

Erstmals wäre die „Wintergäste“-Konzeption auf kurze Geschichten eingegangen, etwa die Erzählung „Der Bär kletterte über den Berg“ von Alice Munro, einer „Weltmeisterin der Kurzgeschichte“, oder einer aus Dankesreden für erhaltene Literaturpreise gemachten Geschichte des Österreichers Christoph Ransmayr, verpackt in Spielformen des Erzählens. Im Titel „Arznei gegen die Sterblichkeit“ drückt sich schon alles aus.

Und dann erst Boccaccios „Decamerone“, der damit den Urstein der Novelle gelegt hat und die kürzere Form der Geschichte erfand. In diesen großen Geschichten der Weltliteratur porträtiert der Dichter die Gesellschaft im Florenz des 14. Jahrhunderts während der Pest, wo der Schwarze Tod mehr als die Hälfte der Einwohner dahinrafft.

Gegen das Siechen und Sterben entwirft er eine Gegenwelt, die das Leben feiert. Wie eindrücklich wäre es gewesen, dies, verteilt auf sechs Sprecherrollen, gerade in den jetzigen Zeiten zu erleben!

Auch was der Schweizer Markus Werner in seinem Roman „Festland“ auf sehr eigene Weise erzählt, über den Blues des Lebens, und was Bewegung im Leben bedeutet, und solches mit den Stimmen von Marie und André Jung zu hören, wäre eine neue Hör-Erfahrung geworden.

Im Dreiländermuseum Lörrach hätte als einzigem deutschem Spielort eine hinreißende musikalische Erzählung, ein virtuoses Solo für den Schauspieler und gern gesehenen Wintergast Peter Schröder angestanden: die Erzählung „Der Verfolger“ des Argentiniers Julio Cortázar über den begnadeten Saxofonisten Charlie Parker, der nur 35 Jahre alt wurde, aber in seiner Musik – und da leuchtet wieder das „Wintergäste“-Motto auf – die Ewigkeit festhalten wollte.

„Moment und Ewigkeit“: Thema bleibt aktuell

Das Programm von Marion Schmidt-Kumke war bis zu dieser Lebensgeschichte des großen Jazzers sehr bedacht und überlegt. Eine zeitnahe Verschiebung kam nicht in Frage, weil man nicht wisse, wann wirkliche Entspannung in dieser Krise eintrete und wann die Situation aufgearbeitet sei. Schmidt-Kumke glaubt auch nicht, dass der Juli oder August die richtige Zeit für die „Wintergäste“ ist.

Die winterliche Jahreszeit sei mehr auf große Themen eingestellt. Also keine „Sommergäste“, sondern ein Warten auf den nächsten Winter. Gute Vorarbeit ist ja geleistet, und „Moment und Ewigkeit“ sind auch keine Themen, die 2022 vom Tisch sind.

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