Basel Nietzsche, Basel und ein Mord

Jürgen Scharf
Wolfgang Bortlik bei der ersten Lesung in Riehen aus seinem historischen Kriminalroman „Allzumenschliches – Friedrich Nietzsche ermittelt“. Foto: Jürgen Scharf

Buchkritik: Wolfgang Bortlik hat einen neuen Roman unter dem Titel „Allzumenschliches“ geschrieben

Basel. Anfang September 1869: Am Rheinufer wird ein Geheimpolizist ermordet. Er sollte den vierten Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation im Tagungslokal „Café National“ (heute Café Spitz) ausspionieren, zu dem der berühmte russische Anarchist Bakunin, Reisender in Sachen Umsturz und später auch „Satan der Revolte“ genannt, ans Rheinknie reist.

Ein junger Bursche aus dem Badischen, aus Lörrach, der im Gasthof zum Goldenen Knopf arbeitet, entdeckt bei der Rheinbrücke auf dem Großbasler Ufer die Leiche. Ein paar Gemüsebauern aus dem Markgräflerland, die neugierig zwischen den Kohlköpfen auf ihren Handkarren hindurch schauen, werden Zeugen dieses Ereignisses. Der 24-jährige Friedrich Nietzsche, frisch an die Universität Basel berufener Philologieprofessor, beginnt sich für den Täter zu interessieren, nimmt sich aber eher unfreiwillig des ominösen Falles an.

Der Gelehrte als Ermittler – das ist schon ein origineller Plot, den sich der in Riehen lebende Autor Wolfgang Bortlik für seine neue „Criminalgeschichte“ ausgedacht hat, deren Titel „Allzumenschliches“ schon auf Nietzsches bekannte Aphorismensammlung „Menschliches – Allzumenschliches“ anspielt. Bei einer Lesung in der Literaturinitiative Arena in Riehen konnte der Autor seinen mitten im Lockdown erschienenen historischen Kriminalroman erstmals vorstellen.

Es ist eine Reise in die Vergangenheit, in das Basel vor 150 Jahren, verknüpft mit einer Liebesgeschichte und dem Basler Klassenkampf. Dabei gelingt es Bortlik auf 250 Seiten in flüssigem Stil, mit neuem Wortschatz und alten Ausdrücken, die man heute kaum noch kennt („Schnapphähne“, „Hudelbuben“, „Sturgrind“), das politische und gesellschaftliche Leben und die Zweiklassengesellschaft jener Zeit nachzuzeichnen. Dabei spart Bortlik nicht mit Gesellschaftskritik.

Auf der einen Seite beschreibt er das Arbeitermilieu anhand des Hiebler Fritzli, einem einfachen Fabrikarbeiter, der in der Nähe von Kandern geboren wurde und dessen Vater an der Badischen Revolution an der Seite von Hecker teilgenommen hat. Hiebler junior verliebt sich in ein Fräulein aus den gehobenen Kreisen und wird dann des Mordes an dem Spezialagenten verdächtigt. Auf der anderen Seite spielen die Bourgeoisie, die alteingesessenen Patrizierfamilien, die Basler Prominenz jener Zeit, eine Rolle.

Eine der Protagonistinnen aus reichem Haus ist Eleonore Salomé Sarasin („Nora“), eine junge Frau aus der allerbesten Basler Gesellschaft, dem berühmt-berüchtigten „Basler Daig“, die aus dem goldenen Käfig ausbrechen und mit dem Fritzli nach Paris durchbrennen will. Daneben werden die Revoluzzer und andere Unruhestifter, die sich im schönen Basel breit machen, anschaulich und nicht ohne Empathie beschrieben.

Für Bortlik als Sozialhistoriker waren auch die ersten Streiks in den Fabriken und Arbeiterunruhen im Winter 1868/69 in Basel interessant. Und einen Kriminalfall sollte ein Krimi ja auch haben, nicht nur Milieustudien und Liebesgeschichten. Es ist ein spannendes Lesevergnügen, wie der Autor zum einen den eben zum Griechischprofessor ernannten Nietzsche charakterisiert, der eher zurückhaltend und besonnen ermittelt, so dass die sonst zentrale Frage „Wer war’s?“ in den Hintergrund tritt.

Genüsslich wird erzählt, wie Nietzsche mit Jacob Burckhardt, seinem älteren trinkfesten Professorenkollegen von der historischen Fakultät, der einen guten Tropfen zu schätzen weiß, nach Grenzach spaziert: zum gepflegten Abendschoppen-Trinken in der „Krone“. (Burckhardt war bekannt dafür, dass er gern im Markgräflerland herumwanderte und wusste, wo man vortrefflich zu Mittag speisen konnte). Dass die beiden Universalgelehrten zusammen einen Fußmarsch am Rhein entlang machen und vom südbadischen Roten beschwipst schwankend zurückkehren, wird von Bortlik zwar fröhlich behauptet, ist historisch natürlich nicht belegt.

Solche kleine Stippvisiten zu pittoresken authentischen Schauplätzen wie dem Grenzacher Horn, wo die guten Weinchen herkommen, oder ins Badische, machen den Roman, der auch ein Regiokrimi ist, für hiesige Krimifans lesenswert. Sprachlich zu großer Form läuft Bortlik im Kapitel über die Arbeiterinternationale auf, wenn Bakunin, der Fürst der Anarchie, sich über einen Kanten Brot hermacht, temperamentvoll das große Wort führt und in einer verrauchten Gaststube mit Nietzsche zusammentrifft.

Der Leser folgt dem jungen ermittelnden Nietzsche gerne, wenn er zum vierhändigen Klavierspiel bei Luise Bachofen, der jungen Gattin eines Altertumsforschers, zu Gast ist und feststellt, dass der inhaftierte Fritzli Hiebler ein Bauernopfer ist. Mit seinem messerscharfen Verstand, „kraft seines Geistes und kraft des logischen Denkens“ liefert der „Criminalist wider Willen“, der mittlerweile weiß, wie verzahnt und verhakelt die Basler Gesellschaft ist, die entscheidenden Hinweise, wer der wahre Mörder ist.

Wie Bortlik in den Nachbemerkungen im Buch und im Arena-Heft 21, dem Jahresheft der Literaturinitiative, über seine Recherchen zum Roman berichtet, ist diese Kriminalgeschichte eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion, mit authentischen Schauplätzen, die die geschichtliche Realität abbilden, einem halbauthentischen Mordopfer sowie Prototypen der „mehrbesseren Gesellschaft“ Basels – auch wenn der Autor aus dramaturgischen Gründen da und dort ein bisschen Geschichtsfälscherei betreiben muss.

Etwas Besonderes ist, dass Bortlik neben Bakunin als einem seiner „persönlichen Helden“ zwei starke Frauen als Hauptfiguren einbringt – eine historisch verbürgte und eine ausgedachte Figur. Auch sprachlich fällt der Roman aus dem Rahmen. Wolfgang Bortlik hat nämlich versucht, die Sprache Gottfried Kellers aus der Zeit des 19.  Jahrhunderts „nachzulesen“ und sich anzueignen. Also ein etwas anderer, literarisch anspruchsvoller Krimi.

 Wolfgang Bortlik, „Allzumenschliches. Friedrich Nietzsche ermittelt“, Gmeiner-Verlag, 249 Seiten, 14 Euro.

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