Basel Novartis streicht mehr als 2100 Stellen

Die Oberbadische

Wirtschaft: Pharmariese richtet Produktionsprozesse neu aus / Stein und Basel besonders betroffen

Der Pharmariese Novartis ist gut aufgestellt und verbucht Milliardengewinne. Dennoch will das Unternehmen bis zum Jahr 2022 mehr als 2100 Stellen in der Schweiz streichen. Betroffen sind vor allem die Standorte Stein, Basel und Schweizerhalle. Und auch Locarno und Rotkreuz bekommen die Umstrukturierungen zu spüren. Gewerkschaften und Standortkantone kritisieren die Entscheidung.

Von Michael Werndorff

Basel. Die Gerüchte der vergangenen Woche haben sich gestern im Rahmen einer Medienmitteilung des Konzerns bestätigt: Novartis streicht Stellen im großen Stil. Konkret geht es um rund 1450 Arbeitsplätze in Basel, Schweizerhalle, Stein und Locarno. Hinzu kommen noch 700 Stellen im Dienstleistungsbereich auf dem Campus Basel, die gestrichen beziehungsweise nach Dublin, Kuala Lumpur, Mexiko-Stadt, Hyderabad und Prag verlagert werden sollen. Diese Einheit versorgt alle Konzernsparten mit Diensten wie Einkauf, Personal oder Buchhaltung.

Das Pharmaunternehmen, das vergangene Woche noch von Gerüchten sprach, die es nicht kommentieren wollte (wir berichteten), unternimmt Anpassungen der Produktion und der internen Dienstleistungen, wie es in der Mitteilung heißt.

Zum Hintergrund

Konkret wird das Fertigungsnetzwerk dem sich verändernden Produktportfolio angepasst, welches immer weniger herkömmliche Produkte enthält, wie sie im größten Werk in Stein vom Band laufen. Stattdessen setzt Novartis stärker auf innovative, spezialisierte und personalisierte Medikamente. Das Ergebnis sei eine Verschiebung in der Investitionsstrategie – weg von traditionelleren Fertigungstechnologien und hin zu neuartigen Fertigungsplattformen.

So investiert der Konzern 90 Millionen Franken in den Standort Stein, wo eine Produktionsanlage für neuartige Gen- und Zelltherapien und 260 neue Stellen entstehen werden. Abhängig von der Nachfrage können insgesamt 450 neue Arbeitsplätze entstehen (wir berichteten). Matthias Leuenberger, Länderpräsident von Novartis Schweiz, sagte hierzu, dass die Entscheidung zeige, wie sich die Produktionslandschaft verändert. „Während wir in neue, hochentwickelte Technologien investieren, wird die Bedeutung einiger traditioneller Produktionszweige abnehmen.“

Unter dem Strich sollen mit Blick auf die Rendite des Konzerns die Effektivität und Effizienz erhöht werden. Direkt nach Bekanntwerden des Stellenabbaus zeigten die Börsenwerte nach oben. Zum Handelsbeginn legte die Aktie rund 1,2 Prozent zu.

Das sagt der Novartis-Chef

Novartis-Chef Vas Narasimhan, der die Restrukturierungsmaßnahmen des Pharmariesen vorantreibt, wird in der Mitteilung von gestern mit den Worten zitiert: „Wir wissen, was die heutige Ankündigung für die potenziell betroffenen Mitarbeiter und ihre Familien bedeutet. Obwohl sich die geplanten Veränderungen über vier Jahre erstrecken werden, wollten wir bereits frühzeitig und transparent kommunizieren. Wir werden alles tun, um den potenziell Betroffenen zu helfen, diesen schwierigen Übergang zu meistern.“

Sozialplan und Umschulungen

Laut Mitteilung wird Novartis die betroffenen Mitarbeiter im Rahmen eines Sozialplanes unterstützen. Vorgesehen ist auch die Etablierung eines Jobcenters für interne und externe Neueinstellungen. In Zusammenhang mit der Investition in die neue Fertigungsanlage für Zell- und Gentherapien strebt Novartis an, so viele der potenziell betroffenen Mitarbeiter wie möglich für die Arbeit auf der neuen Technologieplattform umzuschulen. Trotz des Arbeitsplatzabbaus bleibe Novartis fest in der Schweiz verankert und werde zehn Prozent seiner Angestellten in der Schweiz beschäftigen.

Mitarbeiter informiert

Die Mitarbeiter in Stein wurden gestern früh über die Pläne informiert, vor Ort war auch die Gewerkschaft Unia, die das Gespräch mit den Mitarbeitern suchte. Von diesen war zu erfahren, dass für 10 Uhr noch Gespräche zwischen Unternehmen und kleineren Gruppen der Belegschaft auf der Agenda standen.

Kritik von Regierung und Gewerkschaft

Standortkantone und Gewerkschaften kritisieren das Vorgehen der Verantwortlichen scharf: Die baselstädtische Regierung zeigte sich „überrascht vom Ausmaß des Stellenabbaus“, von dem sie „mit Bedauern und Enttäuschung“ Kenntnis nehme. Die Regierung habe vorab „keine Anzeichen dafür“ gehabt, lässt sich Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin auf Nachfrage zitieren. Die Regierung habe Novartis’ Engagement „immer als Bekenntnis zum Standort gewertet“, teilte sie gestern mit. Eine „Enttäuschung“ ist die Abbau-Ankündigung laut Brutschin, weil der Kanton sich immer bemüht habe, für den Konzern und deren Mitarbeiter „gute Bedingungen“ zu schaffen, hieß es mit Verweis auf den Novartis Campus. Brutschin begrüßte den angekündigten Sozialplan mit Verweis auf die Verunsicherung der betroffenen Angestellten, die schnellstmöglich eine neue Perspektive bräuchten. Die Kantonsbehörden würden diesen „zur Seite stehen“.

Auch der Aargauer Regierungsrat ist laut einer Mitteilung enttäuscht über den massiven Stellenabbau. Er fordert, die Verlagerung von Produktionskapazitäten von Stein ins Ausland müsse nochmals überdacht werden, und kritisiert die Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohn-Länder.

„Für die Beschäftigten ist das einmal mehr ein deutliches Zeichen, dass die Geschäftsleitung mit äußerster Geringschätzung mit dem Personal umspringt. Die Beschäftigten sind die Manövriermasse, welche die Fehler des Managements ausbügeln müssen“, hieß es von Seiten der Gewerkschaft Unia, die den Pharmakonzern aufforderte, seine Abbau-Strategie in der Schweiz umgehend zu stoppen. Das verlangt auch der Verband Angestellte Schweiz. „Wir lassen uns von Novartis nicht den Industriestandort in Basel zerstören“, lässt sich Christof Burkard, Leiter Sozialpartnerschaft bei den Angestellten Schweiz, zitieren. Man werde alles daran setzen, die Beschäftigung bei Novartis in der Schweiz zu halten und zu sichern.

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