Basel Schutzmittel gegen den Tod

Willi Vogl
Charles Brauer in Sankt Chrischona Foto: Willi Vogl

Konzertlesung: Charles Brauer und Organist Udo Honnigfort

Bettingen - „Endlich wieder eine Veranstaltung, in der wir etwas machen können, was mit unserem Beruf zu tun hat“, freute sich Charles Brauer bei seiner Lesung in der Kirche Sankt Chrischona. Zusammen mit dem Organisten Udo Honnigfort gestaltete er eine Konzertlesung mit Texten von Heinrich Heine.

Veranstalter Ulrich Kaiser vom Projektbüro Wyhlen war sofort begeistert, als Brauer Heinrich Heines „Ich rede von der Cholera“ vorschlug. Exakt vor 89 Jahren, am 2. Mai 1832, erschien der kritische wie poetische Bericht in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Heinrich Heine, der als Auslandskorrespondent arbeitete, berichtete darin freimütig von den Auswirkungen der Cholera-Pandemie in Paris.

Angesichts der damals engen Grenzen der Meinungs- und Pressefreiheit gingen sowohl er als auch sein Augsburger Verleger Johann Friedrich von Cotta damit ein großes Risiko ein. Heine blieb auch noch in Paris, als alle, die es sich leisten konnten, die Stadt verlassen hatten. Allerdings nicht, weil er besonders mutig, sondern nach seinen eigenen Worten „zu faul“ war. So bekam er einen direkten Einblick in die Krankheit und das Sterben, das er auf wenigen Seiten journalistisch-nüchtern und weitgehend deskriptiv, nicht wertend, schildert.

So vieles scheint sich angesichts der aktuellen Corona-Pandemie zu wiederholen, so vieles kommt einem bei der musikalischen Lesung bekannt vor. Wenngleich man die damalige Situation nicht 100-prozentig übertragen kann, so schildert Heine doch einige verstörende Parallelen.

Geld war ein „Schutzmittel gegen den Tod“, starben zumeist doch dicht gedrängt in den Metropolen Angehörige der ärmeren Klassen, während sich die Reichen auf ihre Schlösser und Landsitze zurückzogen. Bereits damals gab es zahlreiche Verschwörungstheorien. So verbreitete sich das Gerücht, „die vielen Menschen, die so rasch zur Erde bestattet würden, stürben nicht durch eine Krankheit, sondern durch Gift. Gift, hieß es, habe man in alle Lebensmittel zu streuen gewusst, auf den Gemüsemärkten, bei den Bäckern, bei den Fleischern, bei den Weinhändlern. „Je wunderlicher die Erzählungen lauteten, desto begieriger wurden sie vom Volke aufgegriffen“.

Heine hinterfragte kritisch die Zahlenmechanik zu den Toten und nannte die verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen im Hintergrund der Pariser Epidemie. So wie heute etwa der Versandhandel oder die Hersteller von Masken Profit aus der Pandemie schlagen, gab es auch damals wirtschaftliche Profiteure. Zudem hatte so manches Schutzmittel gegen die Cholera einen modischen Mehrwert. Flanell sei der beste Panzer gegen Cholera. „Auch der König trägt jetzt eine Leibbinde von bestem Flanell.“

In lebendiger und eindringlicher Diktion trug Charles Brauer auch das Gedicht „Jetzt wohin?“ vor. Es handelt von der Verzweiflung des Heimatverlusts. Mit Heines „Die Wanderratten“ und „Citronia“ kam schließlich Vieldeutig-Ironisches zu Gehör.

Den musikalischen Part steuerte Organist Udo Honnigfort bei. So erklangen Johann Sebastian Bachs Sinfonia aus der Kantate BWV 29 in modulationsreichem Flow mit ruppigen Pedalimpulsen, das von Trillern wallende „In dir ist Freude“, BWV 615, das Concerto d-Moll, BWV 596, mit seinen floralen Kontrapunkten und einem pochenden Grave und der globale Evergreen „Air“ des barocken Superstars. Eine Fantasie und Fuge von Alexandre Pierre François Boëly sowie Felix Mendelssohn Bartholdys Präludium und Fuge d-Moll op. 37 rundeten den fantasievollen Vortrag ab.

40 kulturhungrige Zuhörer applaudierten dankbar den beiden Protagonisten. Beinahe möchte man in Variation eines Reims aus Heines „Die Wanderratten“ zu den Besuchern feststellen: „Die satten bleiben zu Haus, die hungrigen wandern vergnügt aus.“

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