Von Jürgen Scharf
Oper: „Salome“ von Richard Strauss nach Oscar Wilde auf der Großen Bühne in Basel
Von Jürgen Scharf
Basel. Eine Familienaufstellung ist im Theater Basel zu besichtigen: lüsterner Stiefpapa, verrückte Mutter, gefährliches Töchterchen – eine unheimliche, schreckliche, kaputte Familie mit perversen Eltern und einem jungen Mädchen, das gerade sexuell flügge wird. „Salome“ von Richard Strauss nach Oscar Wilde auf der Großen Bühne ist eine Kindertragödie, ein Musikdrama über verhinderte Liebe und gestörte Beziehungen.
In der Inszenierung von Herbert Fritzsch, wie stets Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion, ist Salome keine Femme fatale, keine blutrünstige Furie, kein „Weibsteufel“, sondern ein unschuldiges Mädchen, seinem Alter nach fast noch ein Kind, aber körperlich schon entwickelt, mit den Genen ihrer Mutter Herodias und deren Anlage zur Verderbtheit. Eine pubertierende Jugendliche vom Typus Kindfrau mit sexueller Neugier.
Halb Lolita, halb Göre
Die Sensation dieser Opernproduktion ist die gloriose Heather Engebretson in der Titelpartie. Die chinesisch-amerikanische Sopranistin, nur etwas mehr als 1,50 Meter groß, aber mit einem verführerischen Jungmädchen-Charme, ist in der Titelfigur halb Lolita, halb trotzige, ungezogene Göre mit Pagenfrisur in einem rosafarbenen Kleidchen.
Sie gibt einen richtigen Trotzkopf, einen Teenager mit schon fraulichen Reizen, der allen auf der Nase herumtanzt und dem alle verfallen sind: der Stiefvater, der unter ihren Rock schielt, wie auch Hauptmann Narraboth, der sich wegen ihr entleibt. Diese Basler Salome weiß um ihre Reize, lupft den Rock wie eine kokette Tänzerin beim Cancan, räkelt sich auf dem goldenen Thron ihrer Eltern.
Salomes Liebeshysterie und Obsession münden in den Tanz der sieben Schleier – aber dieser ist in Basel kein Striptease, kommt ohne Nacktheit aus: eine Emanzipationstanz ohne erogene Wirkung. Weit mehr demonstriert Salome damit trotzig ihre Macht über die Männer.
Die phänomenale Singschauspielerin Heather Engebretson ist in dieser Oper einer Frauwerdung einmalig in ihrer beredten Mimik und Gestik. Sie beherrscht die Bühne, spielt und tanzt nicht nur intensiv und impulsiv, sie singt erregt und erregend, mit keiner großen, aber klaren und höhensicheren Stimme, ekstatisch zwischen Begehren und Abscheu.
Was für eine Stimme!
Die Gelüste in ihr hat der eingekerkerte Prophet Jochanaan geweckt, ein Mann Gottes, dessen abgeschlagenen Kopf sie herzt und küsst, als wäre er eine Puppe und ihr Spielzeug. Jochanaans aus einer Luke hervorschauender Kopf ist dauerpräsent auf dieser sparsam eingerichteten, reduzierten Bühne mit den zwei goldglänzenden Thronsesseln, der riesigen Mondscheibe, dem nachtblauen Hintergrund, dem spiegelnden und spiegelglatten Boden.
Mit seinem weißen Tuch um die Hüften gewickelt wirkt dieser Jochanaan wie eine biblische Christusfigur aus Oberammergau, mit nacktem Oberkörper, Waschbrettbauch: eine asketische Gestalt in Predigerpose, aber was für eine Baritonstimme! Jason Cox verströmt seinen kraftstrotzenden Heldenbariton, keine Spur von abgezehrt.
Der Herodes von Peter Tantsits ist eine schmierige, dekadente Nero-Karikatur mit Blumenkranz und Männerfantasien. Die Herodias der Jasmin Etezadzadeh hat keifende Klytämnestra-Schwärze in der Mezzostimme. Und Ronan Caillets Narraboth genügend schmachtendes Belcanto.
Reiner Nervenkitzel
Das Sinfonieorchester Basel unter dem Gastdirigenten Clemens Heil trägt diese Luxus-Salome auf Händen, deckt sie in einem entfetteten, verschlankten Orchesterklang nie zu. Vom ersten Klarinettenlauf bis zum Schlussgesang der Salome, der reiner Nervenkitzel ist, und den finalen schauerlichen Akkordschlägen bleibt alles durchhörbar, entfalten sich orchestrale Farben in einem irisierenden Strauss-Klang. Kommende Termine: 6. November, 18.30 Uhr, 12., 14., November, 8., 13. Dezember 19.30 Uhr; weitere Informationen unter www.theater-basel.ch