Basel Über das Leben und Sterben

Die Oberbadische
„Kein Trostbuch“ hat Sibylle Lewitscharoff geschrieben.           Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Lesung: Sibylle Lewitscharoff mit „Von oben“ im Literaturhaus

Von Jürgen Scharf

Basel. Sibylle Lewitscharoff hat sich schon immer mit Jenseitsfragen, dem Thema Leben und Tod und beschäftigt. Nach ihrem Vorgängerroman „Das Pfingstwunder“ – Gesprächen mit den Toten – ist sie zu einer etwas anderen Jenseitsfahrt aufgebrochen: „Von oben“ ist ein Roman über letzte Fragen, eine Todesgeschichte. Am Mittwoch hat die Wahlberlinerin und Büchnerpreisträgerin aus Stuttgart das Buch im Literaturhaus Basel vorgestellt.

Lewitscharoff, die einmal als „Schleusenwärterin zwischen Diesseits und Jenseits“ bezeichnet wurde, selber Religionswissenschaft studiert hat und Vorträge über Leben und Sterben hält, denkt in diesem im Herbst letzten Jahres erschienenen Roman über das Sterben nach, über Bestattungswünsche und Totengespräche und über das Leben nach dem Tod: Ein sehr komplexes Buch, das den nachtodlichen Prozess an einer Figur festmacht: einem männlichen Ich-Erzähler, der allerdings viel mit der Autorin gemein hat.

Die „flottierende Seele“ schwebt zwischen Himmel und Erde über Berlin, ist weder zum Fegefeuer unterwegs noch zum Elysium, weder zur Hölle noch zum himmlischen Paradies. Besucht Menschen, die mit der Biografie zu tun hatten. Sieht auf die Jugend, den Beruf, auf Freunde, aufs Leben zurück. Dieser Seelenrest ist im Vorstadium zum Purgatorium. Nur leider ist keine andere Seele unterwegs, der Verstorbene ist allein. Auch Gott zeigt sich nicht. Eine einsame Seele.

„Vor dem Tod. Nach dem Tod. Das sind zwei grundverschiedene Arten, die eigene Existenz zu erfahren und auf sie zu blicken“. So beginnt der Roman und der Ich-Erzähler weiß, wovon er spricht, denn er ist „oben“. Tragikomisch und mit viel Humor schreibt Lewitscharoff aus der Vogelperspektive, wie es dem kürzlich Verstorbenen so im Jenseits ergeht.

Mag man den Typen? Ein Philosophieprofessor, der Religionswissenschaft unterrichtete und mit Heidegger-Wissen protzte. Die moderierende Literaturwissenschaftlerin Nicola Gess schien nicht gerade in ihn verliebt, dafür sei diese Erzählerfigur doch zu ambivalent. „Mir ist er schon sympathisch“, konterte Sibylle Lewitscharoff, er sei intelligent. Die sterbliche Hülle des Ich-Erzählers ist auf dem Schöneberger Friedhof vergraben, in der Nähe tummeln sich Spatzen und das Grab von Marlene Dietrich befindet sich dort.

Der Stoff birgt viel Raum für Anarchisches wie Exzentrisches, Satirisches und Pointen, ist verzweifelt, nachdenklich und abgründig. Einmal mehr lotet Lewitscharoff die Grenzgebiete und Zwischenwelten aus: ein metaphysisches Thema, das sie schon lange beschäftigt.

Schon immer haben sich in ihren Romanen in Jenseits-Landschaften Tote bewegt, ist die Autorin in ihren Büchern den Toten nahe. Jetzt schaut Lewitscharoffs Roman-Ich auf Berlin herab: eine berührend komische Konstellation.

Wie man gesprächsweise erfuhr, lehnt sich das Buch aber viel weiter hinaus. In einem pornografischen Kapitel gibt es happige Episoden „fleischlicher Art“ mit Einblicken in einen stadtbekannten Berliner Sadomaso-Schuppen. Andere Passagen setzen sich mit Sexualität, Grausamkeiten, drastischer Körperbrutalität und Selbstmord auseinander.

Solche bedrückenden Szenen hat die Schriftstellerin an dem Abend aber nicht gelesen, sondern die eher theoretisierenden Teile des Anfangs, Kindheitserinnerungen der verstorbenen Hauptfigur und „verrückte Geschichten“.

Lewitscharoffs Jenseitsspekulationen drehen sich aber vornehmlich um die Frage der Gottes- und Seinsvorstellung und um gedankliche Rückkehr. Ihr Roman aus dem Totenreich sei „kein Trostbuch“, sagte sie. Das macht ihn nicht gerade leichter, denn wer legt schon gern Rechenschaft über sein Leben ab?

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