Basel Über die Macht des Schreibens

Jürgen Scharf
Charles Lewinsky hat mit „Der Stotterer“ über das Thema erfundene Geschichten geschrieben.       Foto: Jürgen Scharf

Lesung: Charles Lewinsky liest aus „Der Stotterer“ bei Arena.

Riehen - Der Zürcher Autor Charles Lewinsky war schon mehrfach für den Schweizer Buchpreis nominiert. Das könnte ihm jetzt wieder passieren für seinen neuen Roman „Der Stotterer“. Es ist das Buch der Stunde, geht es doch darin um erfundene Geschichten. Seit den Fake News von Donald Trump, den gefälschten Reportagen eines „Spiegel“-Reporters und falschen Zitaten in Robert Menasses EU-Roman „Die Hauptstadt“ nichts Ungewöhnliches mehr. In einem Interview sagte Lewinsky kürzlich, Schriftsteller seien gesellschaftlich akzeptierte Lügner.

Man weiß nie so recht, was wahr ist

Auch von seiner Hauptfigur weiß man nie so recht, was bei ihr wahr ist und was nicht. Der Stotterer stellt Wahrheit einfach her, wie er sie eben braucht. Es sind manipulierte Erzählungen, Dichtung und Wahrheit, wie bei Lewinskys Lesung in der Arena-Literaturinitiative Riehen am Dienstag in einigen Passagen herauszuhören war.

Der „Held“ namens Hosea Stärckle, aus einem sektenähnlichen Umfeld kommend und wegen Betrugs im Gefängnis gelandet, schlägt sich dort mit erfundenen Geschichten durch und macht eine atemberaubende Karriere als Bestsellerautor. Ein erfolgreicher Betrüger, der die Macht des Schreibens perfekt beherrscht. Das ganze Buch sind nur geschriebene Texte. Er wollte ein Buch über einen Menschen schreiben, der sich schriftlich ausdrücken muss, so Lewinsky. Es sei weniger ein Buch über einen Stotterer als ein Roman über die Macht des Schreibens, des Wortes und der Sprache.

Lewinskys Stotterer kann sich schriftlich bestens ausdrücken, ist bibelfest und kennt sich beim Philosophen Arthur Schopenhauer aus. Er beeinflusst auch den Gefängnispfarrer, einen lieben, netten Gutmenschen, mit erfundenen Stories. Der Erzähler kommt nicht sehr sympathisch rüber, aber er kann den Umgangston wechseln. Wenn er von seiner Schwester erzählt, die sich nach ihrer unglücklichen Heirat vor die Straßenbahn wirft, ist der Ton ein völlig anderer.

Das bekommt man bei der Lesung mit, auch wenn man das Buch (noch) nicht gelesen hat, denn Lewinsky springt von Seite 15 auf Seite 380, vom Anfang, bei dem der Zuhörer gleich einen Einstieg in die Geschichte hat, ins Schlusskapitel. Man erfährt über die Züchtigung durch seinen Vater, über die „Gemeinde“, eine sektenartige Bewegung, aber der Leser weiß nicht, was stimmt oder nicht stimmt. „Auch der Autor weiß es nicht so genau“, sagt Lewinsky lakonisch.

Elke Heidenreich hingegen weiß es, denn sie lobt den Roman auf dem Buchdeckel, er sei „sehr lässig und gekonnt erzählt und enorm unterhaltend bis zur letzten Seite.“

Ein moderner Schelmenroman? Eine Familiensaga? Von allem etwas, zudem sehr ironisch und sarkastisch geschrieben. Der Stotterer spricht, solange er sich erinnern kann, so „kleingehackt“. Dabei wollte er sogar einmal Priester werden: „Aber kann man sich das vorstellen, ein Stotterer auf der Kanzel: ’Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Gei...gei...gei...?“’

Der Autor hat im Umfeld der Strafanstalt und zum Thema Bibel im Alten Testament gründlich recherchiert, wie er auf Nachfrage des Moderators Valentin Herzog knapp mitteilt. Ansonsten antwortet Lewinsky auf Herzogs Fragen und auf solche aus dem Publikum meist mit Zitaten anderer Schriftsteller. So habe ein großer Romancier sinngemäß gesagt, ein Autor solle möglichst ein langweiliges Leben führen, damit er alle Abenteuer in seinen Büchern erleben kann...

Umfrage

Bettina Stark-Watzinger

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich für Zivilschutzübungen an Schulen ausgesprochen. Damit sollen Schüler besser auf den Kriegsfall, Pandemien und Naturkatastrophen vorbereitet werden. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading