Basel Vom Fremdsein

Jürgen Scharf
 Foto: Ingo Hoehn

Theater: „Die Aufdrängung“ im Basler Schauspielhaus

Von Jürgen Scharf

Basel. Aus eins mach drei. Aus der Ich-Erzählerin in der Buchvorlage macht das Theater Basel drei Frauen. Die Frauenfigur aus dem eigensinnigen, rätselhaften Roman „Die Aufdrängung“ der Basler Autorin Ariane Koch zu splitten, erweist sich bei der Uraufführung im Schauspielhaus als praktikable Lösung. Die Versuchsanordnung mit den geklonten Frauen als Erzählstimmen und der stummen Gastfigur funktioniert.

Ungebetener Gast

Im Roman hat der „Gast“ Krallen und ein spitzes Gebiss, die Ohren gespitzt, ein Wesen, das ähnlich einer Katze vor sich hin döst, an der Tür kratzt und wimmert. In Basel rutscht dieses fellige Etwas, flauschig wie ein Flokatiteppich, aus einer Luke und bewegt sich mit aufrechtem Gang wie ein Mensch. Ein Neandertaler? Ein Yeti? Ein Hybridwesen? Hinter dem Sehschlitz flimmern digitale Augen. Das Geschöpf ist „eine Beleidigung für das ästhetische Auge“ (O-Ton Frau).

Die Inszenierung ist ganz auf die Begegnung mit dem ungebetenen Gast fokussiert. Dieser taucht aus dem Nichts auf, steht am Bahnsteig und zieht bei der Frau ins große Haus mit den zehn Zimmern ein. Er ist einfach da, wechselt vom Tier-Mensch zum Mann und zu einem binären Wesen, sieht mal aus wie ein Roboter oder ein Alien, ist Störenfried, Fremdkörper, Spiegelbild der Frau(en), Sündenbock – eine Projektionsfläche für vieles.

Die ganze Zeit über schweigsam, trommelt das seltsame Wesen gern auf den Tisch. Da hat Dramaturg Michael Gmaj, der zusammen mit Regisseurin Marie Bues die gekürzte und ganz auf den Gast konzentrierte Fassung eingerichtet hat, eine witzige Ton-Choreografie entwickelt.

Kafkaesk

Der Gast, der selber keine Stimme hat, experimentiert mit Geräuschen. Er zieht – und das ist schon im Roman eine der absurdesten, traumähnlichen und an Kafka erinnernden Stellen – Staubsaugerschläuche aus der Wand, die ein Elefantenrüsselballett veranstalten. Diesen Gag lässt sich die Inszenierung nicht entgehen. Beim Kampf mit den schlangenartigen Rüsselwesen wird der Gast stark „geschlaucht“.

Parabel übers Fremdsein

Das Stück ist fraglos eine Parabel auf die Geschichte über das Fremdsein, die Gastfreundschaft und die daraus entstehenden Missverständnisse, wenn der Gast zu lange bleibt. Die symbolhafte Bedeutung des Ganzen, die Begegnung mit dem Fremden, kommt gut herüber. Alptraumhaft inszeniert sind die Macht- und Mordphantasien (Beil-Szenen!) der Frauen zu Blitzlichtgewitter (Lichtdesign: Mario Bubic).

Als gute Regie-Idee erweist es sich, die Frau für die Bühne in drei handelnde Personen zu „übersetzen“ und die Nebenstränge wegzulassen. Geschickt gemacht ist, wie die Frauen aufeinander reagieren, mit Kopfschütteln, Nicken, Handbewegungen, und dabei ein angedeuteter Dialog entsteht.

Es sind drei Schwestern im Geiste mit ihren identischen silbergrauen Perücken und mausgrauen Kleidern. Jede (Elmira Bahrami, Carina Braunschmidt und Vera Flück) hat eine andere Beziehung zum Gast (Raphael Clamer), aber alle fühlen sich unwohl, haben Angst, trotz dieser eigentlichen Nicht-Beziehung.

Die Bühne hat Pia Maria Mackert psychologisch passend dazu in Einheitsgrau gestrichen. Auf den Wänden klebt eine Ansammlung von Gegenständen, vom Telefon über Blumentöpfe, Schirme und Musikinstrumente bis zu Computertastaturen, die wie Gipsreliefs aussehen.

Absurde Groteske

Regisseurin Marie Bues hält sich sehr nah an den Text, der oft im Charakter des Traums geschrieben ist. Die an sich schon kafkaesken Szenen werden bei ihr stark surrealistisch bebildert. So wird aus dem komischen Humor des Romandebüts eine absurde Groteske, die das Irreale noch betont.

In dieser Spielzeit ist Ariane Koch Hausautorin am Theater Basel, also selber „zu Gast“ am Theater. Für die kommende Saison schreibt sie ein Stück, in dem es um eine neurologische Krankheit und ein Hundespital geht.   Termine: 5., 16. und 17. Februar, jeweils um 19.30 Uhr, sonntags 16 Uhr. Weitere Informationen: www.theater-basel.ch

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