Basel Wo einst John Wayne über die Leinwand ritt

Die Oberbadische

Heimatschutz Basel setzt sich für den Erhalt des früheren Kinos Central ein / Glanzzeiten in den 1920er- und 1950er-Jahren erlebt

Die Reise in das Reich vergangener Kinoträume beginnt über eine Treppe mit geschwungenem Geländer. Durch diese gelangt der Besucher in den großen Saal mit gemütlich wirkenden tiefroten Sitzreihen und sonnenförmigen Wandlampen, die von beiden Seiten warmes, oranges Licht verströmen: Willkommen im Central, dem ältesten Kellerkino der Schweiz.

Von Adrian Steineck

Basel. Wer Charles Stirnimann in seiner Wohnung in Basel besucht, der spürt in jedem Satz die Leidenschaft des Kulturhistorikers für sein Thema. „Der Kinosaal ist ein vernachlässigtes Kulturgut“, sagt er. Stirnimann spricht ruhig und strahlt dabei eine große Herzlichkeit und Wärme aus. Er beugt sich zu seinem Gegenüber, sucht den Blickkontakt, dann wieder greift er nach einem Dokument vor sich auf dem Tisch, steht auf und tritt ans Fenster. „Wir vom Heimatschutz Basel wollen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass es hier etwas Schützenswertes gibt.“

Ikone der 1950er-Jahre

Das ist notwendig, denn das Central ist seit rund zwei Jahren stillgelegt. Wo einst John Wayne über die Leinwand ritt und Scarlett O’Hara feststellte, dass sie in Wahrheit den arroganten Rhett Butler liebt, da werden heute keine Filme mehr gezeigt. Die einstige Garderobe mit dem lämpchendekorierten Baldachindach ist noch zu Betriebszeiten herausgerissen worden, die Wandlampen in Sonnenform sind hingegen erhalten geblieben und versprühen den Charme der 1950er-Jahre. Der Architekt Marcus Diener hat Kino und Haus entworfen, heute steht es unter Heimatschutz, das bedeutet: Vor jeder Veränderung oder Nutzung muss der Denkmalschutz gefragt werden. „Dieser Saal ist eine Ikone der 1950er-Jahre“, ist Stirnimann überzeugt.

Anfang machten Jesuiten

Dabei ist das Central noch ein halbes Jahrhundert älter: Im Jahr 1908 ist es an der Falknerstraße 19 eröffnet worden, als erstes Kellerkino der Schweiz und nur ein Jahr, nachdem mit dem Fata Morgana nur wenige Meter entfernt das erste Basler Lichtspielhaus – so hieß das damals noch – überhaupt seine Pforten geöffnet hat. „Vorher wurde der Film ambulant gezeigt“, verweist Stirnimann mit einem Augenzwinkern auf die Anfänge der Kinematografie als Jahrmarktsattraktion. Lediglich in dem von Jesuiten geleiteten Borromäum am Byfangweg 6, einem Wohnheim für Waisenkinder und Lehrlinge, gab es bereits im Jahr 1906 die Möglichkeit, Filme zu zeigen.

Das Fata Morgana musste im Jahr 1932 wieder schließen, wie alle Basler Kinos der Frühzeit – lediglich das Central überlebte bis fast zum heutigen Tag. Es erlebte auch die erste Kinoblütezeit in Basel Ende der 1920er-Jahre, als bis zu 2,5 Millionen Kinoeintritte im Jahr gezählt wurden. Der Tonfilm hatte mit dem Hollywoodstreifen „Der Jazzsänger“ (1927) bereits seinen Durchbruch erlebt, aber es dauerte noch einige Jahre, bis sämtliche Kinos auf die technische Neuerung umgerüstet waren. „Die erste Basler Kinoblüte hängt noch mit dem Stummfilm zusammen“, erzählt Stirnimann. Es war die Ära von Charlie Chaplin sowie in den 1930er-Jahren die Glanzzeit des klassischen Hollywoodkinos. Diese gipfelte im „goldenen Jahr“ 1939, als mit dem Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ der in puncto Zuschauerzahlen erfolgreichste Film aller Zeiten seine Uraufführung erlebte. „Damals kam unheimlich viel aus Hollywood, und auch in Basel stand man für diese Filme Schlange“, sagt Kulturhistoriker Stirnimann.

Achtstundentag bemerkbar

Befeuert wurde der Aufschwung des Kinos dadurch, dass in der Schweiz in den 1920er-Jahren der Achtstundentag eingeführt wurde. „Dadurch hatten die Arbeiter erstmals mehr Freizeit“, legt Stirnimann dar. Auch wenn die Gewerkschaften vergünstigte Theateraufführungen für die Arbeiterklasse organisierten – der wahre Profiteur der längeren freien Abende waren die Kinos, die damals in Basel und anderen Schweizer Städten wie Pilze aus dem Boden schossen: Mitte der 1950er-Jahre gab es in Basel 19 Lichtspielhäuser, 30 Jahre zuvor waren es noch sieben.

Höhepunkt im Jahr 1957

Mittlerweile war das Kino auch als eigenständige Kunstform etabliert. Die Zeiten, in denen wie im Jahr 1914 ein stadtbekannter Pfarrer aus Basel ein Verbot der Filmvorführungen in der Schweiz forderte, da diese das Volk zu „oberflächlichen Vergnügungen“ hinziehen würden, waren vorbei. „Das wurde damals von Bundesbern ohnehin als Verstoß gegen die Gewerbefreiheit abgelehnt“, schmunzelt Stirnimann.

Das Kellerkino Central zog im Jahr 1956 in die Passage zwischen Gerbergasse und Rümelinsplatz um. Der Umzug und die damit verbundene Erweiterung auf 194 Sitze kamen gerade recht, um mit dem Jahr 1957 den Höhepunkt der Kinoblüte zu erleben. „In jenem Jahr wurden in Basel 4,2 Millionen Kinoeintritte gezählt“, sagt Stirnimann. Das „Gemeinschaftserlebnis im dunklen Saal“, wie er es nennt, war schwer angesagt. Hollywood behauptete sich mit Monumentalfilmen wie „Die zehn Gebote“ (1956) und „Ben Hur“ (1959) noch tapfer gegen das aufkommende Fernsehen. Auch das europäische Kino, dem im Central stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, erlebte etwa mit der französischen Nouvelle Vague ab Ende der 1950er-Jahre seine Blütezeit.

Sinkende Besucherzahlen

Seitdem gehen die Besucherzahlen kontinuierlich zurück auf derzeit etwa 600 000 im Jahr. Zuerst die steigende Mobilität – von 1950 bis 1970 stieg die Zahl der in der Schweiz zugelassenen Autos von 10 000 auf 60 000 –, später dann das Fernsehen und andere Formen des Filmkonsums nahmen dem Kinobesuch seine Bedeutung. „Das hat durchaus auch mit einer Atomisierung der Gesellschaft zu tun, in der Gemeinschaftserlebnisse kaum noch gefragt sind“, ist Stirnimann überzeugt. Der Film als Kunstform werde aber weiter erhalten bleiben. Stirnimann erinnert hier an ein Zitat aus Gisueppe Tornatores Film „Cinema Paradiso“ (1989) über die Schließung eines sizilianischen Dorfkinos: „Man kann die Kinosäle niederreißen, aber der Film stirbt nicht, wird nie sterben.“

Weitere Informationen: Der Heimatschutz Basel bietet im Rahmen des Kulturerbejahrs zahlreiche Veranstaltungen zur Basler Kinokultur an. Am Mittwoch, 24. Oktober, finden um 12.15 und 14 Uhr Führungen zur Geschichte des Kinos Atelier und des Stadtkinos statt (Treffpunkt beim Kultkino Atelier in Basel, Theaterstraße 7). Nähere Informationen und das vollständige Programm finden Interessierte im Internet unter www.heimatschutz-bs.ch.

Von Adrian Steineck

Basel. Wer Charles Stirnimann in seiner Wohnung in Basel besucht, der spürt in jedem Satz die Leidenschaft des Kulturhistorikers für sein Thema. „Der Kinosaal ist ein vernachlässigtes Kulturgut“, sagt er. Stirnimann spricht ruhig und strahlt dabei eine große Herzlichkeit und Wärme aus. Er beugt sich zu seinem Gegenüber, sucht den Blickkontakt, dann wieder greift er nach einem Dokument vor sich auf dem Tisch, steht auf und tritt ans Fenster. „Wir vom Heimatschutz Basel wollen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass es hier etwas Schützenswertes gibt.“

Ikone der 1950er-Jahre

Das ist notwendig, denn das Central ist seit rund zwei Jahren stillgelegt. Wo einst John Wayne über die Leinwand ritt und Scarlett O’Hara feststellte, dass sie in Wahrheit den arroganten Rhett Butler liebt, da werden heute keine Filme mehr gezeigt. Die einstige Garderobe mit dem lämpchendekorierten Baldachindach ist noch zu Betriebszeiten herausgerissen worden, die Wandlampen in Sonnenform sind hingegen erhalten geblieben und versprühen den Charme der 1950er-Jahre. Der Architekt Marcus Diener hat Kino und Haus entworfen, heute steht es unter Heimatschutz, das bedeutet: Vor jeder Veränderung oder Nutzung muss der Denkmalschutz gefragt werden. „Dieser Saal ist eine Ikone der 1950er-Jahre“, ist Stirnimann überzeugt.

Anfang machten Jesuiten

Dabei ist das Central noch ein halbes Jahrhundert älter: Im Jahr 1908 ist es an der Falknerstraße 19 eröffnet worden, als erstes Kellerkino der Schweiz und nur ein Jahr, nachdem mit dem Fata Morgana nur wenige Meter entfernt das erste Basler Lichtspielhaus – so hieß das damals noch – überhaupt seine Pforten geöffnet hat. „Vorher wurde der Film ambulant gezeigt“, verweist Stirnimann mit einem Augenzwinkern auf die Anfänge der Kinematografie als Jahrmarktsattraktion. Lediglich in dem von Jesuiten geleiteten Borromäum am Byfangweg 6, einem Wohnheim für Waisenkinder und Lehrlinge, gab es bereits im Jahr 1906 die Möglichkeit, Filme zu zeigen.

Das Fata Morgana musste im Jahr 1932 wieder schließen, wie alle Basler Kinos der Frühzeit – lediglich das Central überlebte bis fast zum heutigen Tag. Es erlebte auch die erste Kinoblütezeit in Basel Ende der 1920er-Jahre, als bis zu 2,5 Millionen Kinoeintritte im Jahr gezählt wurden. Der Tonfilm hatte mit dem Hollywoodstreifen „Der Jazzsänger“ (1927) bereits seinen Durchbruch erlebt, aber es dauerte noch einige Jahre, bis sämtliche Kinos auf die technische Neuerung umgerüstet waren. „Die erste Basler Kinoblüte hängt noch mit dem Stummfilm zusammen“, erzählt Stirnimann. Es war die Ära von Charlie Chaplin sowie in den 1930er-Jahren die Glanzzeit des klassischen Hollywoodkinos. Diese gipfelte im „goldenen Jahr“ 1939, als mit dem Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ der in puncto Zuschauerzahlen erfolgreichste Film aller Zeiten seine Uraufführung erlebte. „Damals kam unheimlich viel aus Hollywood, und auch in Basel stand man für diese Filme Schlange“, sagt Kulturhistoriker Stirnimann.

Achtstundentag bemerkbar

Befeuert wurde der Aufschwung des Kinos dadurch, dass in der Schweiz in den 1920er-Jahren der Achtstundentag eingeführt wurde. „Dadurch hatten die Arbeiter erstmals mehr Freizeit“, legt Stirnimann dar. Auch wenn die Gewerkschaften vergünstigte Theateraufführungen für die Arbeiterklasse organisierten – der wahre Profiteur der längeren freien Abende waren die Kinos, die damals in Basel und anderen Schweizer Städten wie Pilze aus dem Boden schossen: Mitte der 1950er-Jahre gab es in Basel 19 Lichtspielhäuser, 30 Jahre zuvor waren es noch sieben.

Höhepunkt im Jahr 1957

Mittlerweile war das Kino auch als eigenständige Kunstform etabliert. Die Zeiten, in denen wie im Jahr 1914 ein stadtbekannter Pfarrer aus Basel ein Verbot der Filmvorführungen in der Schweiz forderte, da diese das Volk zu „oberflächlichen Vergnügungen“ hinziehen würden, waren vorbei. „Das wurde damals von Bundesbern ohnehin als Verstoß gegen die Gewerbefreiheit abgelehnt“, schmunzelt Stirnimann.

Das Kellerkino Central zog im Jahr 1956 in die Passage zwischen Gerbergasse und Rümelinsplatz um. Der Umzug und die damit verbundene Erweiterung auf 194 Sitze kamen gerade recht, um mit dem Jahr 1957 den Höhepunkt der Kinoblüte zu erleben. „In jenem Jahr wurden in Basel 4,2 Millionen Kinoeintritte gezählt“, sagt Stirnimann. Das „Gemeinschaftserlebnis im dunklen Saal“, wie er es nennt, war schwer angesagt. Hollywood behauptete sich mit Monumentalfilmen wie „Die zehn Gebote“ (1956) und „Ben Hur“ (1959) noch tapfer gegen das aufkommende Fernsehen. Auch das europäische Kino, dem im Central stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, erlebte etwa mit der französischen Nouvelle Vague ab Ende der 1950er-Jahre seine Blütezeit.

Sinkende Besucherzahlen

Seitdem gehen die Besucherzahlen kontinuierlich zurück auf derzeit etwa 600 000 im Jahr. Zuerst die steigende Mobilität – von 1950 bis 1970 stieg die Zahl der in der Schweiz zugelassenen Autos von 10 000 auf 60 000 –, später dann das Fernsehen und andere Formen des Filmkonsums nahmen dem Kinobesuch seine Bedeutung. „Das hat durchaus auch mit einer Atomisierung der Gesellschaft zu tun, in der Gemeinschaftserlebnisse kaum noch gefragt sind“, ist Stirnimann überzeugt. Der Film als Kunstform werde aber weiter erhalten bleiben. Stirnimann erinnert hier an ein Zitat aus Gisueppe Tornatores Film „Cinema Paradiso“ (1989) über die Schließung eines sizilianischen Dorfkinos: „Man kann die Kinosäle niederreißen, aber der Film stirbt nicht, wird nie sterben.“

Weitere Informationen: Der Heimatschutz Basel bietet im Rahmen des Kulturerbejahrs zahlreiche Veranstaltungen zur Basler Kinokultur an. Am Mittwoch, 24. Oktober, finden um 12.15 und 14 Uhr Führungen zur Geschichte des Kinos Atelier und des Stadtkinos statt (Treffpunkt beim Kultkino Atelier in Basel, Theaterstraße 7). Nähere Informationen und das vollständige Programm finden Interessierte im Internet unter www.heimatschutz-bs.ch.

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