Beratung Start-ups profitieren von Senioren

Jens Gieseler

Die Senioren der Wirtschaft beraten Unternehmensgründer und raten auch von mancher Idee ab. Die Jungunternehmer lernen, ihre Geschäftsidee auf den Punkt zu bringen.

Stuttgart - Laura Kutter besitzt das Know-how und eine offensichtlich tragfähige Idee. Die Tourismusmanagerin aus Backnang arbeitete nach ihrem Studium für zwei deutsche Reiseveranstalter. Zunächst als Reiseleiterin in Spanien, dann koordinierte sie die Hotels. Sehbehinderte Freunde von der Iberischen Halbinsel brachten die junge Unternehmerin auf eine zündende Idee: Reisen für Sehbehinderte und sehende Begleiter.

2012 mit vier Reisen gestartet, sind es in diesem Jahr bereits 20. Mal sind es fünftägige Wanderungen in Deutschland, mal zweiwöchige Trips ins indische Rajasthan. Wenn es klemmt, wendet sich die 34-Jährige gerne an die Senioren der Wirtschaft (ShJ). Das sind erfahrene Führungskräfte, die im Ruhestand ehrenamtlich junge Gründer beraten. „Die reagieren schnell und kompetent, weil sie selbst unternehmerische Entscheidungen getroffen haben“, freut sich Kutter über die Unterstützung.

Im vergangenen Jahr ist die Zahl der deutschen Unternehmensgründungen auf 763.000 gesunken. Davon knapp 90.000 in Baden-Württemberg. Die niedrigste Anzahl seit 15 Jahren. Oft genannter Grund: Deutschen Angestellten geht es gut. Ohne Not gehen manche das Risiko der Selbstständigkeit nicht ein. Etliche hält zudem Klaus Zimmermann, Vorstandsmitglied der badenwürttembergischen ShJ, von einer Unternehmensgründung ab. „Rund ein Drittel der Ideen halten wir nicht für tragfähig“, spricht er auch für seine etwa 45 aktiven Kollegen.

Austausch beim Unternehmerfrühstück

Mal fehlt es an einem ausreichenden Markt, mal ist der Businessplan utopisch, mal fehlt der Person der unternehmerische Biss: „Besser ein klares Feedback, das wehtut, als dass die Menschen zwei Jahre später mit Schulden dasitzen.“ Rund 9000 Beratungen haben allein die Baden-Württemberger seit der Gründung vor 29 Jahren durchgeführt, davon haben sich nach eigenen Schätzungen zwei Drittel gut entwickelt.

Seit vergangenem Jahr bietet ShJ im Auftrag des Jobcenters Stuttgart ein sogenanntes Unternehmerfrühstück an: Monatlich treffen sich 15 Gründer, um ihr Wissen über Marketing und Vertrieb, Finanzen und Controlling sowie Risiko- und Krisenmanagement zu erweitern. Neben Gesprächen mit erfahrenen Fuhrleuten ist für die Gründer zudem der Austausch untereinander wichtig, denn jeder macht seine eigenen Erfahrungen bei Bankgesprächen oder bei ersten Kundenkontakten. Vor allem üben die Jung-Unternehmer in kurzer Zeit, ihre Geschäftsidee überzeugend auf den Punkt zu bringen, auch um potenzielle Investoren zu überzeugen.

Das ist Christoph Zöller und Daniel Schäfer bereits gelungen. Insgesamt benö- tigten die beiden 850.000 Euro für die Finanzierung ihrer Headhunting-Plattform. Nach dem Prinzip von Dating-Portalen bringt Instaffo automatisch Bewerber und Betriebe zusammen: Die Kandidatenprofile werden mit den Stellenanforderungen gematcht. Das erledigt ein komplexer Algorithmus, und schließlich schlägt die Plattform dem Unternehmen den passenden Kandidaten vor. Dabei bleiben die Bewerberprofile so lange anonym, bis der Suchende sein Profil freigibt. Im Erfolgsfall zahlt das Unternehmen den Gründern 6000 Euro, das sind lediglich 30 Prozent von dem, was klassische Headhunter verlangen.

Anschubfinanzierung durch erfahrene Unternehmer wichtig, sondern auch der intensive Austausch. So hat der erste Investor reklamiert, dass die Ausrichtung allein auf den deutschen Arbeitsmarkt zu wenig interessant sei. Die beiden Stuttgarter internationalisierten ihr Konzept und überzeugten dadurch drei weitere Business Angels. Regelmäßig profitiert das Gründerduo mit seinen inzwischen zehn Mitarbeitern in Workshops von der Erfahrung ihrer Geldgeber. So freut sich der 24-jährige Betriebswirt Zöller vor allem über deren Spürnase: „Die wissen einfach, was am Markt ankommt.“

Es geht ausschließlich ums Geschäft der Gründer

Die Wirtschaftssenioren finanzieren ihre Schützlinge ganz bewusst nicht. Und das findet Laura Kutter sehr sympathisch: „Ich habe die Sicherheit, dass es ausschließlich um mein Geschäft geht.“ Nie habe sie das Gefühl, dass ein Gesprächspartner sie irgendwo hinziehen oder etwas verkaufen will. Deshalb denkt sie über eine intensivere Patenschaft nach. Denn im kommenden Jahr plant sie einen Sprung auf 30 Reisen. Außerdem firmiert Tourdesens momentan als GbR mit ihrer Schwester als Partnerin. Doch die Mitgründerin ist 2014 aus dem operativen Geschäft ausgestiegen. Zudem hat Laura Kutter zwei neue Produkte in petto: Individuelle Städtereisen und Reisen für weniger aktive Sehbehinderte. Denn im Gegensatz zu allgemeinen Erwartungen sind selbst blinde Menschen relativ fidel. Außerdem vermitteln sie auch mitreisenden Sehenden ganz neue Erfahrungen, weil sie viel stärker auf Geräusche und Gerüche reagieren.

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