Binzen Ein kollektiver Schock für Binzen

Weiler Zeitung

Gedenkfeier: Rückblick 80 Jahre nach dem Markdorf-Zugunglück / Der Enkel des Zugführers berichtet

80 Jahre ist es jetzt her: Am 22. Dezember 1939 stießen um 22.19 Uhr bei einem schweren Zugunglück bei Markdorf/Kluftern am Bodensee ein Personenzug und ein Kohlenzug durch eine Verkettung unglücklicher Umstände im Nebel frontal zusammen. 101 Menschen starben.

Von Jutta Schütz

Binzen. Die Zugreisenden waren zu Beginn des Zweiten Weltkriegs aus dem Markgräflerland evakuiert worden und nun auf dem Weg zurück nach Hause. 98 Tote stammten aus dem Markgräflerland, 42 allein aus Binzen.

Am Sonntag, 22. Dezember, wird in der Binzener Kirche nicht nur an das Unglück und die vielen Toten erinnert. Vielmehr will Pfarrer Dirk Fiedler darauf eingehen, was die Menschen heute noch aus dem Unglück und den Umständen, die dazu geführt haben, lernen können. In der Kirche wird zudem Alexander Grass, der Enkel von Karl Gemple, dem Lokführer des Personenzugs, der ebenfalls ums Leben kam, an seinen Großvater erinnern. Eingeladen sind fünf Überlebende des Unglücks, die damals noch Kinder waren, wie Bürgermeister Andreas Schneucker berichtet, der die Gedenkveranstaltung und die Spurensuche zusammen mit Weils Oberbürgermeister Wolfgang Dietz initiiert hat.

Grass und Schneucker haben sich im Vorfeld mit den Ursachen des Unglücks sowie mit den Familien beschäftigt, die davon betroffen waren, wie sie bei einem Pressegespräch mitteilten.

Binzen hatte 42, Egringen sieben, Fischingen zwei, Haltingen sieben, Weil am Rhein 27 und Welmlingen 13 Tote zu beklagen. „Die Bürgermeister und Ortsvorsteher der Orte sowie Nachkommen der Familien sind zum Gedenken eingeladen, dazu die fünf noch Überlebenden des Unglücks – zwei haben bereits zugesagt“, berichtet Schneucker. Mit vor Ort werden auch die Mitglieder des Arbeitskreises Heimatgeschichte Kluftern mit dem Vorsitzenden Bernd Caesar und Klufterns Ortsvorsteher Michael Nachbaur sein.

Akribisch aufgearbeitet

„Der Arbeitskreis hat das Unglück akribisch aufgearbeitet und dazu eine Publikation verfasst“, berichtet Grass. Sein Großvater hatte vor 80 Jahren den Dienst mit einem Kollegen getauscht, der zu Weihnachten rechtzeitig daheim sein wollte. „Meine Mutter, Ruth Gemple, die damals fast 14 Jahre alt war, hat mir erzählt, dass ihr Vater sehr sozial eingestellt war und deshalb tauschte.“ Zu dem Gedenkstein, der im Ort Lipbach bei Kluftern steht, habe seine Großmutter übrigens nicht fahren wollen, die Erinnerung sei zu schlimm gewesen, sagte Grass.

Dirk Fiedler bezeichnet das Unglück so kurz vor Weihnachten für die Familien als „kollektiven Schock“. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten das Gedenken an die Toten mit einer Feier und Aufbahrung der Särge am zweiten Weihnachtstag 1939 in der Binzener Kirche.

Davon existiert ein Foto. „Die toten Kinder wurden zu den Eltern in die Särge gelegt, was meine Konfirmanden jedes Mal, wenn ich das Foto zeige, sehr nachdenklich macht“, erklärt Fiedler.

Der Pfarrer will auf die Umstände eingehen, die zum Unglück führten. „Die Fahrdienstleiter waren nicht achtsam, einer hat sich privat mit seiner SA-Karriere beschäftigt und nicht auf den Fahrplan geachtet“, berichtet er. „Wenn nicht Krieg gewesen wäre, hätte es keine Evakuierung und kein Unglück gegeben. Was damals passierte, lehrt für heute noch viel, jetzt wo wieder rechte Gesinnungen geäußert werden“, ist er überzeugt. Die Andacht wird musikalisch von Christine Braun und Margot Neuberth begleitet.

Gedenkfeier an das „Markdorf-Zugunglück“ vor 80 Jahren in der Binzener Kirche am Sonntag, 22. Dezember, um 10.30 Uhr. Anschließend besteht die Möglichkeit zum Gespräch, im Eingangsbereich der Kirche gibt der Frauenchor einen Empfang.

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