Binzen Eine überzeugende Darstellung

Jürgen Scharf
Ein beeindruckendes Silvesterkonzert gab der Pianist Timur Gasratov in Binzen in der Reihe „Weltklassik am Klavier“. Foto: Jürgen Scharf

Konzert: „Weltklassik“: Pianist Timur Gasratov lockt zahlreiche Zuhörer in den Rathaussaal

„Weltklassik am Klavier“ – selten trifft der Titel so perfekt zu wie beim Silvesterkonzert im Rathaussaal. Hier erklang unter den Händen des ukrainischen Pianisten Timur Gasratov mit Bachs „Goldberg-Variationen“ eines der großartigsten Werke der Musikliteratur und nach der Pause in dem abgeänderten Programm mit Chopins zwölf Etüden eine weitere Klaviersensation.

Von Jürgen Scharf

Binzen. In beiden musikalischen Welten zeigte sich der aus Odessa stammende, in Freiburg lebende und an der dortigen Musikhochschule Klavier unterrichtende Pianist als kongenialer Nachschöpfer.

Aber bevor dieses denkwürdige Konzert überhaupt beginnen konnte, mussten erstmal noch Stühle herbeigeschafft werden. Mehrere Stuhlreihen füllte das Publikum, das nicht reserviert hatte, sondern spontan an die Abendkasse kam.

Gewinnspielfrage wird nicht gelöst

Bürgermeister Andreas Schneucker ließ ein Grußwort verlesen, und der Gastkünstler überraschte die Zuhörer nicht nur mit seiner Ankündigung, dass er wegen des Silvesterabends sein angedachtes reines Bach-Recital mit Chopin auflockern wollte, er machte vor Beginn sogar noch ein spaßiges Gewinnspiel. Zwei seiner CDs hätte man gewinnen können, wenn man die alten deutschen und von Johann Sebastian Bach benutzten Volksmelodien erkannt hätte. Aber die Musikfrage war dann doch etwas zu speziell und zu historisch.

Der große Meister Bach hat solche Melodien beim Familienspiel in Quodlibets übernommen, wie im zweitletzten Stück der Goldberg-Variationen. Bevor die (einleitende) Aria noch einmal als Da capo erklingt, lockert dieses lustige Quodlibet die Strenge des außerordentlichen Variationswerks auf.

Das war auch so in Gasratovs überzeugender Darstellung. Der 43-Jährige hat dieses Riesenwerk, das er 2021 auf CD herausgebracht hat, in einer eigenen Version mit ein paar Kürzungen für sich zurecht gelegt. Er spielt nicht alle Wiederholungen und kann so unter einer Stunde Aufführungsdauer bleiben.

Die Aria mit den 30 Veränderungen stellt ja an den Interpreten besonders technische Anforderungen, weil das Werk für ein zweimanualiges Cembalo geschrieben ist, das Bach für beide Hände – über- und gegeneinander – ausnutzt. Schwierig auf dem modernen Flügel zu spielen. Gasratov versucht, jede Note zu spielen, keine wegzulassen, und es ist auch ein optisches Erlebnis, ihm beim irrwitzig schnellen Übergreifen der Hände zuzuschauen.

Flügel schräg zum Publikum gestellt

Deshalb hat er wohl auch den Flügel anders als sonst, nämlich schräg zum Publikum gestellt, nicht ganz frontal, wie er eigentlich wollte, damit das Publikum nicht nur seinen Rücken sieht. So konnte man das hochprofessionelle Agieren der Hände in Gasratovs modern-geradlinigen Interpretation verfolgen, sein intelligent-motorisches Spiel, die enorme manuelle Geläufigkeit und Virtuosität.

Gasratov profiliert die „Goldbergs“ energievoll, wobei er sowohl der polyphonen Strenge als auch der Fantasie gerecht wird. Das war also mitnichten das musikalische Schlafmittel, das diesem Opus summum nachgesagt wird, kein bisschen lang und schon gar nicht langweilig. Aber eine Konzentrationsübung für Spieler wie Zuhörer.

Auch in den Chopin-Etüden empfahl sich der Pianist als ein blendender Virtuose und intelligenter Gestalter dieser horrend schwierigen „Übungsstücke“. Seinen Chopin beherrscht Gasratov ebenso motorisch mit einer Supertechnik und Sicherheit, einem sehr flinken Spiel der Finger und elastischem Pedal in einem Interpretationsansatz zwischen geballter Dramatik und intensivem lyrischem Belcanto.

Zuhörer erklatschen zwei Zugaben

Ganz gleich, ob man nun die witzige Spiccato-Etüde Nr. 4 nimmt, die scherzoartige Nr. 5, die rasende Terzenetüde Nr. 6 oder die vollgriffige Oktavenetüde Nr. 10 – in beiden Händen herrscht bei Timur Gasratov ein zupackender Zugriff in diesen klanglich brillanten Anschlagsstudien.

Die mitreißende virtuose Geste kam beim Publikum gut an, das sich nach diesem pianistischen Kraftakt zwei Zugaben von Bach und Chopin erklatschte.

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