Binzen „Plötzlich kamen zwei Reservisten aus dem Rathaus“

Weiler Zeitung
Auch die Binzener Kirchenglocke wird für den Krieg benötigt Repro: zVg Foto: Weiler Zeitung

Ortgeschichte Teil VI: Binzen im Ersten Weltkrieg: Brennanlagen für das Schnapsen werden verteidigt / Dreiland wird gespalten 

Von Hubert Bernnat

Binzen. „Erdrückend heiß war es am 31. Juli (1914). Vor dem Rathaus standen viele Leute und warteten auf die Extrablätter. Plötzlich kamen zwei Reservisten aus dem Rathaus. Einer schlug die Trommel, der andere verkündete mit lauter Stimme den Zustand drohender Kriegsgefahr zwischen Deutschland und Österreich einerseits, und Serbien, Rußland, Frankreich und England andererseits. Gleich darauf war Mobilmachung; schon damals mußten die ersten Reservisten der Landwehr zu ihren Regimentern einrücken. Sie waren begeistert und siegeszuversichtlich. Viele Jungen stellten sich freiwillig. Dößerich Emil war der Jüngste, 17 Jahre. Er ging zur Marine. Nacheinander kamen die Kriegserklärungen. Man fing an zu ernten.“ So schildert der Binzener Max Bachmann den Tag der Mobilmachung vor Ort.

Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn war mit dem 29-jährigen Gustav Müller schon der erste Binzener beim Gefecht um Mülhausen ums Leben gekommen. Zudem traf der Krieg das Dreiland in besonderem Maße, denn die Schließung der deutsch-schweizerischen Grenze brachte im eng verflochtenen Wirtschafts- und Lebensraum gravierende Einschränkungen des Alltagslebens. Das Zentrum Basel war nur noch über Stetten und Weil-Leopoldshöhe zu erreichen und die Arbeitspendler brauchten Passierscheine. Der bisherige einheitliche und durchlässige Wirtschaftsraum konnte nicht mehr funktionieren.

Zudem war das Oberrheingebiet zum unmittelbaren Hinterland des Krieges mit Frankreich geworden. Der Frontverlauf war für die Menschen greifbar nahe und der Kanonendonner der ersten Gefechte bis Binzen zu hören.

Nur wenige Kilometer von Binzen entfernt war bald nach der Jahrhundertwende auf dem Isteiner Klotz eine Panzergruppen-Befestigung zum Schutz des Oberrheins massiv aufgebaut worden. Sie sollte zusammen mit hier stationierten Deckungstruppen den südlichen Oberrhein schützen. Diese Deckungstruppen wurden nun verstärkt und sorgten, wie auch in den nächsten Jahren, für erhebliche Einquartierungen. So wurde auch in Binzen dafür die Schule genutzt, so dass in den nächsten vier Kriegsjahren kaum Unterricht stattfinden konnte.

Schon im Dezember 1914 begann der letztlich militärisch sinnlose und mörderische Stellungskampf um den Hartmannsweilerkopf in den Vogesen bei Mülhausen. Im Amtsbericht über Binzen wird im Mai 1915 erwähnt, dass 138 Binzener als Soldaten im Krieg und schon 14 gefallen sind. Aus den Manöverspielen der Vorkriegszeit war blutiger Ernst geworden.

Auch aus Binzen und den umliegenden Orten findet man Hinweise, dass die Kriegsbegeisterung, von der auch Max Bachmann berichtete, wohl nicht uneingeschränkt so groß war. Vielerorts herrschten Unsicherheit, Zweifel und Angst. Der Eimeldinger Pfarrer Otto Kaiser hatte über den Abzug der ersten eingezogenen Soldaten im Gemeindeboten berichtet: „Es herrschte eine ernste, gedrückte Stimmung.“ Im Geschäftsbericht des Lörracher Konsumvereins, der auch Waren nach Binzen lieferte, steht: „Der Ansturm auf unser Warenlager war in den ersten Tagen der Mobilmachung ein ganz enormer.“

Schon während der Schlacht um Mülhausen Anfang August 1914 gerieten viele in Angst, wie das Beispiel Efringen zeigt. „Koffer und Kisten wurden gepackt, Wertsachen fortgeschafft und manche machten sich schon bereit, um diesem heißen Boden zu entfliehen. Wenn wieder Geschützdonner sich vernehmen ließ und zuweilen auch die Feste Istein anfing zu brüllen, so tauchte von neuem die Frage auf: werden sie (die Franzosen) kommen?

Nicht nur die Kriegsbegeisterung war von Anfang an nicht so groß, wie die Propaganda glauben machte. Kriegszensur und verordnete Meinungen hatten für ein falsches Bild von der tatsächlichen Stimmung in der Bevölkerung gesorgt. Auch die Aussage vom nur kurzen Krieg erwies sich sehr schnell als Illusion. Zwangsbewirtschaftungen, Rationierungen und minderwertige Ersatzstoffe gehörten bald zum Leben. Dabei waren Orte mit Landwirtschaft wie Binzen noch besser dran. Doch auch die Bauern hatten unter Zwangsabgaben und Beschlagnahmungen ihrer Erträge zu leiden.

Als 1917 für den Krieg Metalle aller Art eingesammelt und eingeschmolzen werden sollten, wurde dies zum heiß diskutierten Thema der nächsten Monate. Es ging um die angeordnete Abgabe aller Brennanalgen und -geschirre für das Schnapsen. Dass sich der Gemeinderat darüber „nicht erbaut“ zeigte, war eine harmlose Umschreibung für die Empörung darüber. Zuerst einmal konnte die Abgabe abgewehrt werden.

Mitte Juni war die Gemeinde von der Ablieferungspflicht für eine Kirchenglocke und die Orgelpfeifen unterrichtet worden. So trafen sich der politische Gemeinderat und der Kirchengemeinderat. Natürlich waren beide Seiten nicht erfreut über diese Anordnung, aber man nahm sie hin. So beschloss man eine „würdige Feier“ zum Abschied von Kirchenglocke und Orgelpfeifen in dieser „denkwürdigen Zeit“ und verabschiedete folgende Resolution „Die Mitglieder der beiden Collegien bedauern, daß der Krieg dies mit der Gemeinde, mit jedem Haus und jeder Familie, in Freud und Leid so aufgewachsenen Jungen, seit Menschengedenken als Opfer fordert, hoffen aber zuversichtlich, daß es Opfer sind zu einem baldigen siegreichen Frieden.“

Man beschloss, die Glocke nicht einfach vom Turm zu werfen und regelte, wie der Transport zur Bahn vorzunehmen ist. Man beeilte sich mit der Maßnahme sogar, um damit noch eine Prämie von einer Mark pro Kilo Eisen zu erhalten.

Die Abgabe der Brennanalgen führte dagegen auch weiterhin zu „hartnäckigen“ Diskussionen. Und bei einer von Bürgermeister Brombacher einberufenen Versammlung mit den Besitzern von Brennanlagen war keine Bereitschaft zur freiwilligen Abgabe zu erkennen. Offensichtlich war der Verlust einer Kirchenglocke leichter zu verschmerzen als der Verzicht auf die Schnapsherstellung. Im Winzerdorf Binzen schien das nicht vorstellbar. So gelang es in Binzen durch hinhaltenden Widerstand die Abgabe zu verhindern.

Doch ansonsten hatte der Krieg tiefe Spuren hinterlassen. 37 Binzener Männer kamen ums Leben oder blieben vermisst. Das ist viel in einem Dorf mit knapp 1000 Einwohnern. Binzen hatte Glück, dass der Krieg keine direkten Schäden hinterlassen hatte. Doch die Gemeinde hatte etwa 35 000 Mark an Krediten aufnehmen müssen zur Finanzierung verschiedener kriegsbedingter Ausgaben. Das war in etwa die Höhe eines Vorkriegshaushaltes.

Und das Dreiland war nun gespalten: in die Verlierernation Deutschland, die neutrale Schweiz und die Siegernation Frankreich, die sich das Elsass wieder zurückgeholt hatte. Die Grenze nach Frankreich blieb weitgehend zu, die zur Schweiz wurde in kleinen Schritten wieder geöffnet. Basel konnte seine Stellung als unumstrittenes Zentrum des Dreilands nicht mehr wie gewohnt wahrnehmen. Aber vor allem für Deutschland begann bald nach Kriegsende ein neuer Zeitabschnitt: Das Land wurde eine demokratische Republik. Doch die Startbedingungen dafür waren nicht einfach.

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