Efringen-Kirchen Gegen das Vergessen der Vernichtung

Gudrun Gehr
Im November vergangenen Jahres wurden erstmals Stolpersteine in Efringen-Kirchen verlegt. Im Herbst folgen weitere. Foto: Daniel Hengst

Im Herbst sollen zwei Stolpersteine für Euthanasie-Opfer der NS-Zeit verlegt werden.

Wilfried Bussohn stellte im Rahmen des Referates von Historiker Robert Neisen in der alten Schule Efringen-Kirchen seine eigenen Nachforschungen zu den Euthanasie-Morden von Isteiner Bürgern vor. Nach der Aufarbeitung durch das Mitglied des Arbeitskreises Stolpersteine in Efringen-Kirchen, ist geplant, dass zwei Stolpersteine für NS-Euthanasieopfer im Herbst gesetzt werden.

In den sechs Euthanasie-Mordanstalten Grafeneck, Brandenburg, Bernburg, Hartheim/Oberdonau, Sonnenstein/Pirna und Hadamar wurden in den sogenannten „T4-Aktionen“ (systematischer Massenmord an Menschen mit Behinderung) bis 1941 schätzungsweise 70 000 Personen ermordet. Wahrscheinlich waren es erheblich mehr, die Schätzungen gingen bis 130 000 Menschen.

Zwangsweise unfruchtbar gemacht wurden rund 400 000 Menschen, darunter im Kreiskrankenhaus Lörrach durch Chefarzt Karl Keller oder im Schopfheimer Krankenhaus durch den Arzt Friedrich Jutzler. Im Pflegeheim Herten wurden im Rahmen von Entlassung oder Beurlaubung der Pfleglinge ebenfalls Sterilisationen durchgeführt.

Morde sollten vertuscht werden

In der Tötungsanstalt Grafeneck wurden bis Dezember 1940 offiziell 10 654 Menschen mit Behinderung getötet. Die 10 000. Tötung wurde in Grafeneck mit Blasmusik und Bier gefeiert. 345 Pfleglinge kamen aus dem St. Josefshaus Herten. Darunter befanden sich keine Opfer aus Efringen-Kirchen.

Langsam wich die Arglosigkeit des Pflegepersonals und Zweifel über das Vorgehen der Behörden kamen auf. Dies führte dazu, dass Direktor Vomstein vom St. Josefshaus beim Ministerium des Inneren in Karlsruhe vorsprach und darum bat, die Pfleglinge auf eigene Kosten der Caritas in Herten behalten zu dürfen. Insoweit konnten 126 Schützlinge gerettet werden.

Zwei Pfleglinge aus Istein in den Todestransporten

Aus dem Kreispflegeheim Wiechs gingen zwei Transporte am 31. Juli und 2. Dezember 1940 mit insgesamt 108 behinderten Menschen direkt zur Tötungsanstalt Grafeneck. Auf der Transportliste vom 31. Juli 1940 befand sich Maria Bertha Brändlin aus Istein, geboren am 2. Dezember 1898 in Istein. Sie wurde noch am Transporttag in einem Schuppen nahe des Schlosses vergast. Als offizielles Todesdatum wurde durch die Behörde der 23. August 1940 aufgeführt. Als Sterbeort wurde Sonnenstein bei Pirna in Sachsen, und als Todesursache wurde Lungenentzündung, Diphtherie und schwere Grippe genannt. Bussohn sagte: „Durch die falschen Bezeichnungen des Todesdatums, des Sterbeortes und der Todesursache wollte man wohl über die wahren Umstände hinwegtäuschen“. Bussohn hatte noch akribisch weitere Feststellungen getroffen: Im Taufregister der katholischen Kirche Istein hatte der Pfarrer beziehungsweise Pfarrverweser die Unstimmigkeiten vermerkt: „Verstorben 23.8.1940 in Sonnenstein bei Dresden, verbrannt“ und fügte hier ein dickes Ausrufezeichen hinzu. Er schrieb ins Taufregister: „Qui legit intelligat“ (wer liest, versteht es).

Das zweite Opfer aus Istein, das einen Stolperstein bekommen soll, ist Otto Brändlin, geboren am 11. Februar 1903 in Istein. Er wurde zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Rastatt verbracht, anschließend kam er nach Zwiefalten und von dort am 9. Mai 1940 nach Grafeneck, wo er am gleichen Tag ermordet wurde.

Foto: Gudrun Gehr

Auch ein drittes Opfer aus Istein ist nach den Feststellungen Bussohns naheliegend, es handelt sich um Maria Luise Brändlin, geboren am 7. 9. 1884 in Istein. Auch diese wurde in Grafeneck oder Hadamar ermordet. Die NS-Behörden erteilten eine Standesamt-Mitteilung, wonach sie bereits am 2. September 1929 in Hartheim/Oberdonau verstorben sei – da waren die Nazis noch gar nicht an der Macht. Sie erhielt die Sterbebuchnummer 32/29. Auch hier sei naheliegend, dass das Sterbedatum und der Sterbeort gefälscht wurden. Eine Bestätigung stehe noch aus.

Wilfried Bussohn schloss seinen Vortrag mit einem Zitat: „Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst“.

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