Frage: Wie schätzen Sie die Tragweite der Proteste ein? Ist die Bewegung stark genug, um etwas zu verändern?
Die Bewegung ist stark. Seit ich diesen Beruf ausübe, habe ich noch nie so eine Solidarität unter allen Landwirten gespürt. Dies liegt auch daran, dass wirklich viel auf dem Spiel steht und sich etwas verändern muss. Bisher bin ich aber noch skeptisch. Die ersten Reaktionen aus Medien und Politik finde ich eher ernüchternd. Kaum erträglich sind die leeren Phrasen einer Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner, die anscheinend überhaupt nichts verstanden hat und glaubt, die Bauern werden schon wieder Ruhe geben, wenn man etwas Fördergelder verteilt. Aber genau damit muss endlich Schluss sein. Die Agrarsubventionen gehören EU-weit abgeschafft und durch eine sachliche Politik ersetzt, die Landwirten wieder eine Zukunftsperspektive bietet.
Frage: Ein solcher Protest kommt nicht von ungefähr. Haben Politiker den Landwirten in der Vergangenheit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?
Sie hat sich auf alle Fälle zu sehr von unsachlichen Debatten leiten lassen. „Fridays for Futures“ fordert „Unite behind the Science“ und genau das wünschen sich Landwirte auch in der Agrarpolitik. Dass nämlich wissenschaftliche Fakten wieder das Maß aller Dinge sind. In öffentlichen Debatten wird allerdings alles durcheinandergewürfelt und jeder diskutiert auch ohne Fachwissen. Wenn dies auf dieser Ebene weitergeht, wird fürs Klima und die Umwelt alles schlimmer, statt besser.
Frage: Also hat die Politik aus Ihrer Sicht den Bogen überspannt?
Der Bogen wurde mit dem Agrarpaket definitiv überspannt. Dieses auf den Weg zu bringen, während gleichzeitig das Freihandelsabkommen Mercosur verabschiedet wird, zeigt doch, dass nicht nur Landwirte, sondern auch Verbraucher für dumm verkauft werden. Während in anderen Regionen der Welt unkontrolliert gespritzt, gedüngt und gerodet wird, sorgt man hier für realitätsfremde Vorschriften. Ich erkenne auch keine Gewinner in diesem Handeln. Weder die Landwirte, noch die Verbraucher, noch die Umwelt und schon gar nicht das Klima.
Frage: Müssen die Landwirte bei einzelnen Themen nicht auch selbstkritisch auf das Vorgehen in den vergangenen Jahren blicken?
Selbstverständlich müssen wir das. Ein selbstkritisches Hinterfragen der eigenen Arbeit gehört für mich schon zur Berufsehre und würde für mich auch in Anspruch nehmen, dass wir genau das auf innovative Weise tun. Für einen ressourcenschonenden Anbau haben wir bereits vor zehn Jahren den Grundstein gesetzt und diese ständige Weiterentwicklung ist auch nie zu Ende.
In der Politik gibt es diese Selbstkritik leider überhaupt nicht. Die Landwirtschaftsministerin Renate Künast hatte mit dem EEG-Gesetz im Jahr 2000 noch das Biogas-Mais-Zeitalter ausgerufen und erklärt, die Landwirte werden die „Ölscheichs des neuen Jahrhunderts“. Die Betriebe, die investiert haben, werden heute von den gleichen politischen Gruppierungen für die „VerMaisung“ der Kulturlandschaft und das Insektensterben verantwortlich gemacht.
Frage: Proteste von Landwirten gibt es immer wieder. In Teilen der Bevölkerung ist der „jammernde Bauer“ fast schon ein Klischee. Fehlt es in der heutigen Gesellschaft generell an Wertschätzung gegenüber den Erzeugern?
Das Thema Wertschätzung ist etwas ambivalent. Ich selbst kann mich im direkten Umgang mit Verbrauchern nicht über zu wenig Wertschätzung beklagen. Im Gegenteil. Im direkten Dialog erfahre ich viel Anerkennung für das, was wir tun. Abgekoppelt von dem persönlichen Kontakt mit dem Bauern vor Ort wird aber oftmals ein Bild gezeichnet von einer rücksichtslosen Agrarbranche. Es gibt nun mal Parteien, Strömungen und Organisationen, die von dieser Projektion profitieren.
Das Klischee vom jammernden Bauern geht mir tatsächlich selbst schon auf den Keks. Vorangetrieben haben dies sicher auch die ständigen Forderungen nach Subventionen und Wetterhilfen des Bauernverbands, die ich nie unterstützt habe. Gleichwohl gehört es eben auch zur Realität, dass jedes Jahr Höfe sterben. Da gibt’s halt zumindest für die Betroffenen auch immer was zu jammern.
Frage: Auf der anderen Seite: Es gibt gerade bei uns viele Bauernläden und auch regionale Produkte in den Supermärkten. Manch einer könnte beim Blick darauf sagen: Läuft doch ganz gut...
Das sehe ich eben genau so. Ich finde, vieles ist bereits auf dem richtigen Weg. Regionalität wird immer bedeutender und ist meines Erachtens auch der Schlüssel zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, sowie Artenvielfalt und Klimaschutz. Immer mehr Verbraucher kaufen auf Wochenmärkten, beim Bauern oder im Supermarkt regional. Auch Einzelhändler in der Region fördern dies mit Wohlwollen und bieten mittlerweile ein breites regionales Sortiment. Das Angebot ist aktuell also da. Das Agrarpaket und das Eckpunktepapier der Landesregierung setzten aber genau dieses Angebot durch realitätsfremde Forderungen aufs Spiel.
Frage: Wo sehen Sie als Kommunalpolitiker Ansatzpunkte, um die Situation der Landwirte zu verbessern? Gibt es auf Gemeinde- und Kreisebene schon entsprechende Möglichkeiten oder muss von dort vor allem „Druck nach oben“ gemacht werden?
Für die Kommunalpolitik ist es schwierig, da etwas zu ändern. Natürlich kann man auf die Bedeutung von Regionalität und Saisonalität hinweisen und durch Öffentlichkeitsarbeit für das Thema sensibilisieren. Es würde meines Erachtens aber schon reichen, wenn sich Kommunalpolitiker nicht unnötig vor den Karren einer unsachlichen Debatte spannen lassen. Den Beschluss des Kreistags zum Antrag „Pestizidfreier Landkreis Lörrach“ vor vier Wochen habe ich als einen solchen unsachlichen Tiefpunkt empfunden.
Frage: Können die Probleme der Landwirte politisch überhaupt gelöst werden oder muss nicht vielmehr ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden?
Beides ist notwendig. Die Probleme sind politisch gemacht und können daher auch politisch gelöst werden. Gleichzeitig bringen natürlich alle Anstrengungen nichts, wenn es eine Vielfalt an regionalen Angeboten gibt, aber die Verbraucher weiterhin ihr Fleisch, Obst und Gemüse im Discounter kaufen, wo lediglich der Preis zählt. Zu einer Agrarwende gehört auch eine Konsumentenwende. Denn günstiger wird das Ausland immer produzieren können.