Zu den Gottesdiensten draußen kamen mehr Teilnehmer als sonst – um die 70 Personen, auch aus anderen Ortschaften. Auch die Gottesdienste in den Kirchen sind gut besucht. Vor allem bei den Älteren hat es aber auch Abbrüche gegeben. Man hat das Gefühl, je mehr die Menschen geimpft sind, desto ängstlicher werden sie. Viele sind bis heute auf Abstand geblieben.
Frage: Was fehlt?
Viel von dem, was Menschen an Gemeinde schätzen – Treffen, Geselligkeit – wurde stark eingeschränkt. Einiges ist ausgefallen, etwa unser „Kirchhof-Hock“, den wir erst 2019 ins Leben gerufen haben. Ich merke, dass vor allem bei Älteren Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit verlorengegangen sind. Auch beim Kindergottesdienst gab es einen deutlichen Einschnitt. Durch den langen Kontaktabbruch haben wir Familien verloren.
Frage: Und was läuft aus Ihrer Sicht gut?
Viele haben es geschätzt, dass wir trotzdem weitergemacht haben. Die Draußen-Gottesdienste kamen gut an, weil sie nicht so steril sind wie Gottesdienste mit Hygienekonzept und Masken in der Kirche. Es ist uns gelungen, die Jugendlichen dabeizubehalten, mit Treffen über die Online-Plattform Zoom und echten Treffen in Kleingruppen unter Leitung unseres Diakons, Markus Stisi. Darüber bin ich sehr froh, denn ich habe gespürt: Die Beziehungssehnsucht war bei den Jugendlichen besonders groß.
Frage: Wie hat die Pandemie die Ausübung Ihres Berufs verändert?
Ich fand die Einschränkungen im vergangenen Jahr markanter als in diesem. Vor allem der Schuldienst hat sich für mich verändert. Die Online-Stunden waren aufwändiger vorzubereiten. Man hat gemerkt, dass die Kinder sich förmlich gesehnt haben nach der Schule. Die Gitarre habe ich schon seit zwei Jahren an die Wand gehängt, weil ich so lange schon nicht mehr mit den Kindern singen kann.
Frage: Was bewegt Ihre Gemeindeglieder?
Die Fragen bei meinem Gegenüber werden andere: Da ist eine Bedrohungssituation, die man nicht kennt. Es zeigt sich eine Lebensangst, die vor allem die Älteren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht kannten. Ähnlich haben Teilnehmer auf Israel-Freizeiten reagiert, die ich begleitet habe, wenn sie erstmals mit Anschlägen, aus der Ferne, oder mit bewaffnetem Sicherheitspersonal konfrontiert waren. Überhaupt ist vielen die Leichtigkeit im Leben verlorengegangen. Freunde, auch in meinem Alter, treffen sich nicht mehr.
Frage: Und was bewegt Sie selbst in diesen Tagen?
Was ich beobachtet habe: Es gibt nicht mehr die eine Wirklichkeit. Die beiden Positionen, Geimpfte und Ungeimpfte, schauen je aus ihrer Warte in die Wirklichkeit. Dabei geht das Gemeinsame immer mehr verloren. Ein öffentlicher Diskurs, auch wissenschaftlich, findet nicht wirklich statt. Ich bedaure die verbalen Entgleisungen, auch in den Medien, durch die viel Hass und Spaltung geschürt wird. Von einem Freund hörte ich, dass Arbeitskollegen einem an Corona erkrankten Ungeimpften wünschten, er möge dran „krepieren“. Wo sind wir bloß hingekommen? Wir gewinnen nichts durch eine Wortwahl, die spaltet. Wir müssen auch morgen noch in einer Welt zusammenleben. Ich bin froh, dass wir mit viel Platz Gottesdienste für alle anbieten können und nicht unterscheiden müssen: du gehörst dazu, du nicht.
Frage: Was ist Ihr Wunsch für das neue Jahr?
Meine Vision ist, dass das neue Jahr viel versöhnlicher startet, als dieses Jahr nun endet. Dass die Spaltung in der Gesellschaft und in den Familien, etwa was das Thema Corona-Impfung betrifft, überwunden wird. Dass das Gewalt- und Drohungsbesetzte, das diese Pandemie mit sich gebracht hat, wieder verschwindet. Und dass wir, sozusagen in „versöhnter Verschiedenheit“, wieder miteinander verbunden sind und neue Wege aufeinander zu finden.