Für so überflüssig wie Schneider hält die studierte Germanistin und Politikwissenschaftlerin die Noten im Übrigen nicht. Solche Nachweise seien auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland nötig, denn man könne daran die Leistungsträger ablesen. Und zusätzlich zu den Noten gebe es ja bereits „personalisierte Rückmeldungen“. Im Unterricht gehe es um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff, argumentiert die Pädagogin – Resultate seien dann sehr wohl abfragbar.
Aber muss die Generation der Schüler des achtjährigen Gymnasiums nicht Wissen in sich hineinfressen?, hakt die Moderatorin nach. Ein Vorbehalt, der später in der Publikumsrunde immer wieder laut wird. So plädiert etwa ein Vater für eine Entschlackung des Lehrplans: „Weniger wäre mehr!“ Graf hingegen verteidigt das Turboabitur. Man könne vielleicht keine fünfte Sportart erlernen, aber der Stoff sei für junge Menschen sehr wohl zu schultern. Und Schüler müssten auch bereit sein, sich durchzubeißen.
„Bulimie-Lernen“ nennt hingegen Schneider diese Methode. Wie beim Nürnberger Trichter: Oben hinein, unten heraus. Der „Wirkungsgrad“ der Schule sei stark verbesserungswürdig, befindet der gelernte Maschinenschlosser, der später Pädagogik studiert hat, und urteilt: „Ich habe viele Menschen kennengelernt, die nicht an sich, sondern an der Schule gescheitert sind.“ Und wieder ist er bei den Noten: Die sagten doch nichts über die Persönlichkeit eines Schülers aus. Schon gar nicht in der schwierigen Phase der Pubertät.
Doch er geht nicht nur mit den Schulen, sondern auch mit den Unternehmen hart ins Gericht. Junge Menschen hätten auch deshalb Probleme bei der Berufswahl, weil die beiden Welten noch immer getrennt voneinander existierten. Schulen und Firmen müssten viel enger kooperieren, nur so werde man auch den Fachkräftemangel in den Griff bekommen. Schneider: „Die Unternehmen müssen aufhören zu jammern, sie müssen endlich was tun.“ Das Publikum quittiert das mit lebhaftem Beifall.
„Was der Papa macht, will ich nicht“
Bei Graf rennt er da offene Türen ein. „Viele Unternehmen zieren sich“, klagt sie. Es sei unglaublich schwer, Partner zu finden. Und zwar solche für nachhaltige Beziehungen. Nicht um Schülern ein lockeres Besichtigungs-Hopping zu bieten. Zwar beteiligten sich schon jetzt viele Schulen an Kooperationsprogrammen – vorneweg das Hegel-Gymnasium. Graf nennt auch das bundesweite Start Klar! oder das Berufsfindungstraining BEST. Doch zufrieden ist sie nicht. Berufsfindung laufe noch zu sehr nach dem Muster der Negativauswahl: „Was der Papa macht, will ich nicht.“
Und wie erreicht man, dass traditionelle Rollenbilder bei der Entscheidung verblassen? Dass auch junge Frauen technische und naturwissenschaftliche Berufe ergreifen? Hier stößt selbst Trumpf an seine Grenzen. Die Kooperation mit dem Stuttgarter Mädchengymnasium St. Agnes führe jedenfalls nicht zu deutlich mehr Bewerbungen, sagt Schneider und schüttelt den Kopf: „Das ist wie ein Naturgesetz.“
Warum wirkt der Zauber hier nicht? Während die Frage im Raum steht, kommt ein Firmenvertreter zu Wort, der sich wie Trumpf die Bewerber aussuchen kann: Erwin Mayer, der Chef der BMW-Niederlassung Stuttgart. Die Attraktivität kommt seiner Ansicht nach nicht von ungefähr. Das Unternehmen biete vielmehr ein Ausbildungsprogramm, das den Jugendlichen früh Verantwortung überträgt, aber auch Leistungsanreize. „Abgebrochen hat noch niemand“, sagt Ausbildungsleiterin Gessica Muratore.
So schlecht stehe es um das Informationsangebot für junge Menschen nun auch nicht, befindet Susanne Kühn, Beraterin der Arbeitsagentur in Stuttgart. Im Gegenteil. „Es passiert heute so viel wie noch nie.“
Doch trotz aller Veranstaltungen und Broschüren mangele es vielen Jugendlichen an der Fähigkeit, die Vielfalt des Angebots mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Deckung zu bringen, berichtete Kühn aus ihrem Beratungsalltag. Man müsse diese Entscheidungskompetenz fördern.
„Fragen Sie sich: Was will ich?“, gibt Schneider einer Schülerin mit auf den Weg, die sich nach der Dualen Hochschule erkundigt. Jeder müsse eben seinen eigenen Weg finden. Dem deutschen Schulsystem erteilt er zum Abschluss aber noch einmal die Note „ungenügend“. „Wir brauchen neue Lehrer, da kommt bei mir nichts an.“ Aber auch eine neue Didaktik sei nötig: eine, in der nicht der Lehrer wichtig sei, sondern der Schüler.
Und was ist nun in dem Zauberwürfel drin? Das Team, dessen Arbeit Schneider mitgebracht hat, baute eine Art Wunderherd hinein: Der Würfel ist ein Grill samtFritteuse. Niemand der rund 150 Gäste hat so etwas je gesehen. Der Trick, sich selbst zu motivieren, scheint also tatsächlich zufunktionieren.