Fußball Das Finale der Gegensätze

Mirko Bähr
Bei der Heim-EM ist Deutschland nicht mehr mit dabei. Das Spiel gegen Spanien kostete die deutschen Fans, hier beim Public-Viewing vor der Dreiländergalerie in Weil am Rhein, zahlreiche Nerven. Foto: Daniel Hengst

Die Europameisterschaft in Deutschland neigt sich dem Ende entgegen – morgen steigt das Endspiel zwischen Spanien und England. Der nicht gegebene Hand-Elfmeter im Deutschlang-Spanien-Spiel erregt weiterhin die Gemüter.

Bald ist sie Geschichte, die Heim-EM in Deutschland. Leider finden die entscheidenden Spiele ohne die Beteiligung der Gastgeber statt. Und dennoch: die Elf von Nagelsmann hat begeistert. Was bleibt alles positiv in Erinnerung? Und hätte es nach dem Handspiel von Cucurella einen Elfmeter geben müssen? Wer gewinnt eigentlich das Endspiel morgen? Wir haben von hiesigen Fußballexperten Antworten bekommen.

Uwe Berger, Trainer des FC Huttingen: „Es ist das Finale der Gegensätze. Auf der einen Seite die Spanier, die bislang doch in jedem Spiel überzeugen konnten und gegen Deutschland im Viertelfinale auch das nötige Spielglück für sich verbuchen durften. Auf der anderen Seite die Engländer, die bisher noch nicht so recht überzeugen konnten, die nur zweimal nach 90 Minuten als Sieger den grünen Rasen verlassen haben. Ich bin mir sicher, dass sich Spanien im Finale durchsetzen wird und den EM-Pokal holt. Sie werden einmal mehr überzeugen und sich aufgrund ihrer spielerischen Klasse durchsetzen. Ich tippe auf ein 3:1.

Uwe Berger Foto: Mirko Bähr

Nachdem die vergangenen Jahre doch alles andere als erfreulich für die deutschen Kicker verlaufen sind, hat es diesmal Nagelsmann geschafft, eine Mannschaft zusammenzustellen, die begeistern kann. Es macht Spaß, ihr zuzusehen. Sicherlich hat der klare Auftaktsieg gegen Schottland dazu beigetragen. Der war wichtig. Ich habe meine Probleme mit Kai Havertz vorne drin, und auch die Umstellung im Team im Spiel gegen die Spanier kann ich nicht ganz nachvollziehen. Aber insgesamt hat es Spaß gemacht, Deutschland spielen zu sehen, das macht Lust auf mehr.

Das Handspiel im Viertelfinale erregt die Gemüter. Zurecht, wie ich finde. Denn: Es war ein klares Handspiel. Wir sollten aufhören zu diskutieren, ob es eine natürliche oder unnatürliche Bewegung ist. Bei dieser Aktion war der Arm abgespreizt, das Gesicht zum Ball gerichtet, dazu wird eine klare Torchance verhindert. Für mich ist das eine eindeutige Sache.

Positiv nehme ich von dieser Europameisterschaft die Regelung mit, wonach nur der Kapitän mit dem Schiedsrichter reden beziehungsweise diskutieren darf. Es gab deutlich weniger Diskussionen als sonst. Begeistert haben mich auch die Schweizer und Österreicher. Sie haben mit mannschaftlicher Geschlossenheit und taktischer Disziplin überzeugt. Georgien und die Türkei haben mit viel Leidenschaft gespielt und ebenfalls überzeugt.

Negativ fand ich den „Wolfsgruß“ und das gesamte Drumherum. Das war mehrere Tage das Thema gewesen und hat sicherlich auch Emotionen reingebracht, die einfach so nicht sein müssen.“

Perseus Knab, Sportlicher Leiter beim SV Weil: „Für mich ist das Aufeinandertreffen zwischen Spanien und England ein würdiges Finale zwischen zwei großen Fußballnationen, die sich bisher, soweit ich mich erinnern kann, noch in keinem Endspiel begegnet sind. Die Voraussetzungen für ein packendes Spiel sind also gegeben.

Perseus Knab Foto: Uli Nodler

Die Spanier hätten den EM-Titel verdient. Im ganzen Turnierverlauf haben sie für mich mit Abstand den besten Eindruck hinterlassen. Aber die Engländer haben andererseits natürlich individuelle Klasse zu bieten und können aus dem Nichts ein Spiel entscheiden. Ich würde es den Engländern gönnen. Nach über 50 titellosen Jahren und dem verlorenen Endspiel bei der vergangenen Europameisterschaft sind die jetzt einfach an der Reihe. Deshalb tippe ich auf ein 1:0 für England.

Zum Glück hat sich die deutsche Mannschaft wieder auf den Fußball konzentriert und sich mit politischen Botschaften zurückgehalten. Die Spiele mit deutscher Beteiligung gehören mit zu den besten der EM. Allerdings sind wir gleich an der ersten Topnation gescheitert. Das ist zu wenig für bleibende Erinnerungen.

Ich habe wenige unterhaltsame Spiele gesehen. Vielleicht eine Folge der aufgeblähten EM mit 24 Mannschaften. 36 Spiele in der Vorrunde und nur acht Mannschaften scheiden aus, da kann man sich die Gruppenspiele eigentlich schenken. Positiv war sicherlich das große Interesse in den Stadien. Alle Spiele waren ausverkauft. Leider hat das Wetter oftmals nicht mitgespielt, so dass viele öffentliche und private Veranstaltungen abgesagt oder abgebrochen werden mussten.“

Ben Nickel, Fußballer beim TuS Binzen: „Hätte mich jemand vor dem Turnier gefragt, wäre meine Antwort gewesen: Spanien gegen England, das ist ein mega Finale. Zwei starke Mannschaften, auf die ich mich tierisch gefreut hätte. Nun aber, und ohne jemandem vor den Kopf stoßen zu wollen: Der Einzug der Engländer hat, gemessen an der eigentlichen, auf dem Papier stehenden Qualität des Kaders, mindestens ein Geschmäckle.

Ben Nickel (links) Foto: Mirko Bähr

Den Finalsieg verdient hätten sich aufgrund der bisherigen Leistungen die Spanier. Ich hoffe und glaube daher allein für den Seelenfrieden aller, die es in diesem Turnier mit der deutschen Nationalmannschaft gehalten haben, an einen Sieg der Spanier. Auch wenn es fast schon müßig ist, so scheint es sich für mich persönlichen den bislang gesehenen Spielen zu bewahrheiten, dass das Spiel Spanien gegen Deutschland doch das vorgezogene Finale gewesen sein könnte. Es war für mich bislang das stärkste Spiel der EM mit den zwei besten Mannschaften. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Engländer es in einem Turnier mit drei K.o.-Spielen nach der Gruppenphase geschafft haben, sich bis ins Finale durchzusetzen, und sogar fast schon unüblich ein Elfmeterschießen überstanden haben. Ich tippe auf ein 2:1 für Spanien. Dieses Mal dürfen sie gerne in der 119. Minute das Spiel entscheiden.

Das Auftreten der Deutschen war sehr erfrischend. Es ist wieder eine klare Spielidee erkennbar und Nagelsmann hat mit der Entscheidung, den Fokus auf formstarke Spieler zu setzen, für mich vieles richtig gemacht und sollte daran festhalten. Gegen Spanien waren wir die bessere Mannschaft, sicherlich nicht viel, aber wir waren besser.

Die beiden Elfmeter-Diskussionen im Achtel- und Viertelfinale mit deutscher Beteiligung unterstreichen, welches Dilemma wir mit dieser Handspiel-Regel haben. Leider scheinen sich bei der aktuellen Regelauslegung für diverse Situationen immer Argumente für, aber auch gegen einen Pfiff finden zu lassen. Für mich hätten beide strittigen Situationen mit einem Elfmeter geahndet werden müssen. Ich habe mich eigentlich nur damit beschäftigt, wer nun zum Elfer antritt. Dass die Szene noch nicht einmal vom Hauptschiedsrichter am Monitor angesehen wurde, ist eigentlich unfassbar.

Ohne selbst an einem Spiel oder in einer EM-Stadt gewesen zu sein, hatte ich das Gefühl, dass wir uns als guter Gastgeber präsentiert haben und ein tolles Fußballfest feiern konnten. Dazu haben auch die ansprechenden Auftritte der deutschen Nationalmannschaft beigetragen.

Auch positiv – und jetzt werden sicherlich viele meiner Fußball-Bekannten lachen – finde ich die Regelverschärfung, dass es lediglich dem Kapitän erlaubt ist, mit dem Schiedsrichter zu diskutieren. Ich finde, dass das einen positiven Einfluss auf das Spiel hat. Rudeldiskussionen kamen erst gar nicht auf oder wurden mit gelben Karten schnell im Keim erstickt. Zusätzlich wird der Schiedsrichter gestärkt, aber auch in die Pflicht genommen, Entscheidungen in einer möglichst sachlichen und respektvollen Atmosphäre an einen Vertreter der Mannschaft zu erklären. Negativ ist mir lediglich die Jagd der unzähligen Flitzer nach Selfies mit Spielern auf dem Feld aufgefallen.

Dominik Kiesewetter, Leiter Nachwuchsbereich FV Lörrach-Brombach: „Am Ende des Turniers stehen sich, so finde ich, die beiden individuell am besten besetzten Teams gegenüber. Ich durfte beide Teams im Achtel- beziehungsweise Viertelfinale live im Stadion sehen und denke, wir sehen ein spannendes Spiel mit einer hohen Intensität. Spanien hat in jedem Spiel überzeugen können, die Engländer haben sich im Turnierverlauf gesteigert und waren in den ersten Begegnungen bis zum Viertelfinale ohne erkennbare Spielprinzipien als Mannschaft unterwegs.

Dominik Kiesewetter Foto: Uli Nodler

Spanien ist sicher aufgrund der konstanten Leistungen zu favorisieren. Allerdings kann die individuelle Qualität der Engländer, welche ja den wertvollsten Kader an dieser Europameisterschaft stellen, für das Spiel der Spanier zu einem Risiko werden. Die Three Lions können die Spanier, wie Deutschland im Viertelfinale, herausfordern. Wenn die Engländer das hohe Verteidigen der Spanier spielerisch gelöst bekommen, werden sie sicher zu Torchancen kommen und diese bei der Qualität auch nutzen können. Die Engländer haben zudem ihren schlechten Ruf in Bezug auf das Elfmeterschießen abgelegt, was am Ende entscheidend sein könnte. Ich tippe auf ein 1:1 nach 120 Minuten und einen Sieg der Engländer im Elfmeterschießen.

Ich konnte das Achtel- und Viertelfinale der Deutschen live im Stadion erleben und habe mich gefreut, eine Nationalmannschaft mit entsprechenden Emotionen, Engagement und auch einem spielerischen Konzept zu sehen. Man hatte das Gefühl, jeder stellt sich in den Dienst der Mannschaft und die eigenen Interessen stehen hinten an. Ich würde mich freuen, wenn dies nun wie 2006 der Beginn einer Entwicklung ist, welche in den kommenden Jahren für uns einmal wieder eine Endspielteilnahme bringt.“

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