Fußball Die Chancen stehen 50:50

Mirko Bähr
Kehrt Florian Wirtz Foto: Grant Hubbs

hopp oder top: Bei den Europameisterschaften geht es in die entscheidende Phase. Deutschland trifft im Viertelfinale heute auf Spanien, die Schweiz fordert England heraus.

LÖRRACH. Crunchtime – die Teams befinden sich bei der Europameisterschaft auf der Zielgeraden. Jetzt heißt es: Bloß nicht schlapp machen. Die deutschen Kicker bekommen es am Freitag mit einem echten Kracher zu tun – den Spaniern. Wie stehen die Chancen? Welche Mannschaft hat bisher überrascht? Setzen die Schweizer ihren Siegeszug fort? Und gibt es Fußballer, die sich in diesen Wochen besonders ins Rampenlicht gespielt haben? Wir haben Antworten erhalten, und zwar von Fußballexperten aus der Region.

Ralf Moser, ehemaliger Fußballer und langjähriger Coach beim FV Brombach und FV Lörrach-Brombach: „Ich bin noch immer ganz beseelt von der Atmosphäre live vor Ort. Ich habe am vergangenen Wochenende zwei Spiele selbst live gesehen, dazu das deutsche Spiel beim Public Viewing. Das war toll, alles lief auch sehr friedlich ab. Es war ein riesiges Fußballfest, drei Tage lang.

Im Viertelfinale sind mehr oder weniger die Teams dabei, die man hier auch erwarten konnte. Positiv ist natürlich das bisherige Auftreten der Deutschen. Wir wussten ja nicht, wo wir so stehen, nachdem es doch in den vergangenen Monaten viel Leerlauf gegeben hat. Gut, dass es so gekommen ist. Deutschland wirkt gefestigt.

Und das ist jetzt gegen Spanien auch besonders wichtig. Das ist ein harter Gegner, wohl die beste Mannschaft des Turniers. Ich glaube dennoch an die Chance. Wir spielen daheim. Spanien ist dann zu knacken, wenn wir viel Druck nach vorne aufbauen. Die Spanier sind in der Offensive sicherlich stark, aber defensiv sind sie doch verwundbar. Und hier sollten wir unsere Chancen suchen. Ich tippe auf ein 2:1.

Auch die Schweiz hat die Möglichkeit, ins Halbfinale einzuziehen. Ich glaube an die Schweiz. Denn England hat bisher schwach agiert. Es verfügt über hochkarätige Einzelspieler, doch als Team sind die Three Lions nicht aufgetreten. Die Schweizer stehen dagegen zusammen, treten als echte Einheit auf. Das könnte der entscheidende Faktor sein, um dieses Spiel knapp zu gewinnen.

Als Deutschland-Fan hoffe ich natürlich, dass wir die Hürde Spanien überspringen können. Gelingt uns das, haben wir das Zeug dazu, den EM-Titel zu holen. Dann sind wir der große Favorit. Als Geheimfavorit hat sich für mich die Niederlande herauskristallisiert.

Einen echten Superstar gibt es bei dieser Europameisterschaft nicht, aber dafür viele sehr gute Spieler. Rodri und Xhaka beispielsweise.

Thomas Hauser, ehemaliger Profi beim FC Basel und dem FC Sunderland: „Dass Österreich das Achtelfinale gegen die Türkei verloren hat und damit raus ist, ist sicherlich eine Überraschung in diesem Turnier. Aber auch England enttäuscht spielerisch trotz der enormen individuellen Qualität auf dem Platz.

In der K.o.-Phase ist alles möglich. Hier spielen auch Spielglück und Tagesform eine sehr große Rolle. Und deshalb schätze ich die Chance der Deutschen auf 50:50 ein. Spanien hat Schwächen im Umschaltspiel nach hinten gezeigt und ist anfällig bei Kontern. Der Spielstil liegt den Deutschen, wenn sie eher etwas tiefstehen. Die Abwehr indes darf sich nicht den geringsten Fehler erlauben, wenn man sich die Weltklasse-Qualität ansieht, die die Spanier in der Offensive mitbringen. Bekommen die deutschen Kicker die Außenbahnen in den Griff, wäre das sicherlich positiv für den Spielverlauf. Allerdings ist mein Favorit auf den EM-Titel nach den bislang gezeigten Leistungen Spanien.

Wenn die Schweiz genauso effizient mit ihren Möglichkeiten umgeht, wie im Spiel gegen die Italiener, und dazu eine ebenso starke, geschlossene Mannschaftsleistung auf den Platz bringt, dann kann sie auch die Engländer schlagen.

Musiala überzeugt sicher bislang mit seiner Torgefährlichkeit und den Dribblings, Kroos mit seiner Ruhe und Übersicht sowie die spanische Außenbahn mit Yamal und Williams mit ihrer enormen Offensivwucht. Und dann wäre da noch Gakpo, die Sturmspitze der Niederlande. Als Stürmer habe ich da natürlich einen besonderen Blick drauf.“

Erkan Aktas, Co-Trainer der U17 des FC Basel: „Positiv überrascht hat mich natürlich die Türkei. Das hätte ich nicht gedacht, dass die Viererkette ohne Söyüncü und Kabak so stark agiert und die Türkei so weit kommt.

Negativ aufgefallen sind mir England, Frankreich und Portugal. Da ist kein Konzept dahinter, es fehlt die Spielidee. Deren Schwerpunkt liegt einzig und allein auf der individuellen Klasse ihrer Akteure. Dadurch erhoffen sie sich, die K.o.-Runden zu überstehen. Für mich ist das enttäuschend. Ganz im Gegensatz zu Spanien, Deutschland und der Schweiz. Sie kommen in erster Linie über das Kollektiv, vermitteln eine Spielidee, hinter der die ganze Mannschaft steht. Jeder Einzelne setzt die Marschroute hervorragend um.

Die Chancen für die Deutschen liegen bei Fifty-fifty. Das Match ist für mich das vorgezogene Finale. Deutschland muss probieren, einen hohen Anteil an Ballbesitz zu erlangen. Die Spanier müssen gezwungen werden, zu verteidigen, um dabei auch Kräfte zu lassen. Deutschland muss die richtige Balance zwischen Ballbesitz und schnellem Umschaltspiel finden, dann sind die Chancen groß, ins Halbfinale einzuziehen.

Im Spiel England gegen Schweiz ist für mich die Schweiz der Favorit. Wie schon erwähnt, bringt England nur die individuelle Qualität auf den Platz.

Überzeugt hat mich allen voran der Italiener Calafiori. Ich habe ihn schon beim FC Basel im Joggeli gesehen. Was er nun für eine Entwicklung in der Serie A genommen hat, ist schon unglaublich. Er ist ein kompletter Spieler. Extrem überrascht haben mich die beiden Türken Yilmaz und Kadıoğlu. Die hatte ich nie so recht im Visier. Ich bin beeindruckt.“

Jörg Steinebrunner, ehemaliger Juniorennationalspieler und derzeit Trainer beim Thimphu City FC (Bhutan): „Ich glaube, dass viele mit diesen acht Teams gerechnet haben, die jetzt im Viertelfinale stehen. Ich habe auch gehofft, dass da Österreich reinkommt. Aber gegen gut spielende Türken haben sie es nicht geschafft.

Die Partie zwischen Deutschland und Spanien ist auch für mich das vorweg genommene Endspiel. Beide Teams pflegen mehr oder weniger denselben Spielstil. Beide agieren sehr ballbesitzorientiert. Deutschland muss unbedingt kompakt in der Defensive stehen und beim Umschaltspiel zielstrebig agieren. Eine Option ist es, die Spanier auf den Flügeln zu überraschen. Yamal und Williams sind offensiv top, aber weisen in der Rückwärtsbewegung Mängel auf. Über die Außen könnte Deutschland für Gefahr sorgen und sich Möglichkeiten herausspielen. Ich erwarte ein heißes Spiel und hoffe, dass Deutschland 2:1 gewinnt und ins Halbfinale einzieht. Das wird ein echter Kracher.

Enttäuscht bin ich von England. Es ist glücklich ins Viertelfinale gekommen. Sicherlich braucht es auch das, aber die Schweiz tritt als echte Mannschaft auf, Embolo und Xhaka sind erfahrene Spieler. Es wird ein 50:50-Spiel, welches am Ende die Schweiz vielleicht als Sieger hervorbringt. Ich würde es mir jedenfalls sehr wünschen.

Gakpo aus dem Team der Niederlande, der für Liverpool in der Premier League spielt, hat mich bisher am meisten abgeholt und überrascht.

Uwe Krähling, langjähriger Spieler, Trainer und Funktionär beim SV Schopfheim: „Positiv überrascht hat mich bisher die Schweiz. Ich habe nicht erwartet, dass die Eidgenossen so abliefern. Nicht so einverstanden bin ich mit den bisherigen Leistungen der Franzosen und Engländer. Sie stehen im Viertelfinale, aber ihre Auftritte waren schwach, uninspiriert. Sie treten nicht als Team auf. England hat ein Trainerproblem. Es sieht nicht so aus, als ob er auf die Mannschaft einwirken könne, weder taktisch noch emotional.

Die Chancen auf ein Weiterkommen der Deutschen liegen bei 50:50. Auf dem Papier sind die Spanier vielleicht einen Tick stärker, aber Nagelsmann ist ein guter Mann, wird sich etwas überlegt haben. Ich meine, dass die Deutschen das Mittelfeld verdichten müssen und etwas tiefer als sonst stehen sollten, um dann nach Ballgewinnen und schnellen Kontern die nicht ganz so sattelfeste spanische Abwehr zu knacken. Wir gewinnen 2:1.

Apropos. Auch die Schweiz wird mit diesem Ergebnis gewinnen. Sie hat bisher überzeugt. Allen voran Xhaka. Er ist der Denker und Lenker, genauso wie in Leverkusen.

Wer wird Europameister? Österreich habe ich zu den Geheimfavoriten gezählt, die sind leider raus. Wenn wir Spanien schlagen, dann gewinnen wir auch den Titel.“

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