Fußball Ohne Bella Italia: „Es tut schon weh“

Die Oberbadische
Die drei „WM-Musketiere“ auf Tour: (v.l.) Tiziano Di Domenico, Joachim Trautwein und Christian Gebhart bei ihrer WM-Reise 2006. Foto: zVg Foto: Die Oberbadische

Fußball WM-Interview: Tiziano Di Domenico über Italiens Fehlen, deutsche Chancen, Boottrips und Pasta

Erstmals seit 60 Jahren ist Italien nicht bei einer Weltmeisterschaft dabei. Ein Fußball-Land trägt Trauer. Eine WM ohne die Squadra Azzurra konnte sich auch Tiziano Di Domenico nicht vorstellen. Der Trainer des FC Wittlingen und Sohn italienischer Einwanderer, der sich selbst als „alemannisch sprechenden badischen Italiener“ bezeichnet, muss da trotz aller Sticheleien jetzt durch.

Zum WM-Auftakt heute hat unser Sportredakteur Mirko Bähr ganz vorsichtig beim 47-jährigen Inter Mailand-Fan aus Höllstein nachgefragt.

Frage: Signor Di Domenico, scusa, aber wo landet Italien bei dieser WM?

Sehr witzig. Ich habe kürzlich in einem Wettbüro 100 Euro auf Italien setzen wollen, aber niemand wollte die Wette annehmen.

Frage: Italien weint, Sie auch?

Es tut schon weh. Wie schon bei der EM 2016 fahre ich mit Freunden nach Kroatien. Wir fahren tagsüber Boot, abends stellen wir den Beamer und die Leinwand auf. Es gibt die volle Dröhnung Fußball. Vor zwei Jahren durfte ich mit Italien mitfiebern. Als wir den jetzigen Trip ausgemacht haben, bin ich fest davon ausgegangen, dass Italien wieder dabei ist.

Frage: Ist Italia denn wirklich nicht WM-reif?

Es spiegelt den Zustand des italienischen Fußballs sicherlich wider. Aber: Wenn man in der Quali-Gruppe gegen Spanien ran muss, kann man schon mal Zweiter werden. Und auch in zwei Partien gegen Schweden, das im Übrigen ganze zwei Male aufs Tor geschossen hat, kann man durchaus rausfliegen. Wenn man ehrlich ist, muss man aber auch sagen, dass es derzeit zu wenig Talente in Italien gibt. Da braucht man nicht über den Trainer zu diskutieren. Wir haben in Italien keine Solisten mehr, die in Top-Mannschaften spielen – keine Pirlos, keine Del Pieros, keine Tottis, keine Maldinis, keine Cannavaros. Damit müssen wir leben, und ich muss mir die WM als neutraler Beobachter antun.

Frage: Halt, halt! Sie sind doch jetzt glühender Deutschland-Fan, oder?

Ich gönne es den Deutschen natürlich, aber sie müssen sich den Titel schon irgendwie verdienen. Und dann wäre ja noch das tägliche Necken mit meinen deutschen Freunde. Es geht dabei um die Sterne-Wertung. Da liegen Italien und Deutschland momentan gleichauf, beide haben vier auf der Brust. Mit einem weniger hätte ich zumindest die nächsten vier Jahre ein hartes Leben.

Frage: Mussten Sie sich schon oft etwas anhören, seit das Italien-Aus feststeht?

Diese ganzen WhatsApp-Geschichten, die Facebook- Witzle oder Cartoons, jeden zweiten Tag kommt da eine freundliche Erinnerung. Meine Freunde sind da wirklich sehr aufmerksam. Erst am Montagabend bei der Kroatien-Planung wurde ich dezent darauf hingewiesen, dass man Italien nicht auf dem Spielplan gefunden habe. Ein echter Spaßvogel.

Frage: Die Rache ist süß?

Eher scharf.... Am Sonntag spielen die Deutschen um 17 Uhr gegen Mexiko. Da werde ich danach dann ein italienisches Pastagericht für die Reisegruppe zusammenstellen. Mal schauen, wie stark das gewürzt wird. Da ich nicht der Kapitän unseres Bootes bin, kann ich auch nicht für eine verspätete Heimkehr an diesem Tag sorgen.

Frage: Wenn also Italien nicht Weltmeister wird, wer wird es dann?

Schwierig. Am Ende kommen wir bei den üblichen Verdächtigen an: Deutschland, Brasilien, Frankreich und Spanien, die haben mir zuletzt richtig gut gefallen.

Frage: Dann kann ja Deutschland froh sein, dass es nicht auf Bella Italia treffen kann.

Naja, dieser Fluch wurde ja bei der letzten EM besiegt, wenn auch mit Hängen und Würgen. Was Italien immer kann, ist, die Taktik des Gegners zu zerstören. Es wäre für jede Nation kein Zuckerschlecken gewesen, auf Italien zu treffen. Aber hätte, wäre, wenn ...

Frage: Italien mal außen vor gelassen: Irgendwie lässt das WM-Fieber noch zu wünschen übrig. Finden Sie nicht auch?

Es gab und gibt halt viele Negativ-Schlagzeilen. Die Befürchtungen sind ja groß, dass die Hooligans da richtig zuschlagen werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Man liest und hört viel. Gerne erinnere ich mich an die WM 2006 in Deutschland, als wir mit dem Wohnmobil unterwegs waren. Da war Freude pur zu spüren, überall sah man Menschen in verschiedenen Trikots, die zusammen in den Bars oder beim Public Viewing feierten. Ich hoffe wieder auf so eine fantastische Stimmung. Bei aller sportlichen Wichtigkeit und Brisanz sollte es doch ein Fest für die Menschen sein.

Frage: Was halten Sie von der WM-Vergabe nach Russland?

Über das Prozedere der Vergaben solcher Titelkämpfe auf FIFA- oder UEFA-Ebene braucht man nun wirklich nicht zu diskutieren. Dass das alles grenzwertig ist, nicht fair und schon gar nicht transparent, ist doch jedem klar. Da wird geschmiert. Was Russland angeht, möchte ich jetzt nicht sagen, dass die Russen die einzigen Bösen sind. Für das angespannte Verhältnis haben Viele und Vieles dazu beigetragen. Aber wenn man sich generell anschaut, wie viele Journalisten im Knast sitzen, wobei ich nicht beurteilen kann, ob zu recht oder zu unrecht. Jetzt bewirbt sich auch die Türkei um die EM 2024. Oder nehmen wir Katar. Das ist doch ein Paradebeispiel, da werden die Arbeiter, die die Stadien aus dem Boden stampfen, wie Sklaven gehalten. Wenn nur die Hälfte stimmt, was da berichtet wird, ist es ein unglaublicher Skandal. Insgesamt, und da muss man kein Politiker sein oder sich besonders gut auskennen, darf man sicherlich feststellen, das gewisse Kriterien bei den großen Verbänden keine Rolle spielen.

Frage: Wenn wir gerade politisch sind: Wie sehen Sie den Erdogan-Treff von Gündogan und Özil?

Das war sicherlich eine Dummheit, da muss man sich der Tragweite eines solchen Treffens gerade als Nationalspieler schon bewusst sein. Andererseits verstehen viele nicht, wie es ist, in zwei Sprachen zu träumen, zu denken. Ich selbst habe auch beide Staatsbürgerschaften und damit auch zwei Präsidenten. In meinen 47 Jahren in Deutschland habe ich Diskriminierung durchaus schon am eigenen Leib erfahren. Viele, die die beiden jetzt scharf verurteilen, sollten sich überlegen, wie sie sich selbst in solch einer Situation verhalten würden. Auch stellt sich die Frage, ob der Aufschrei genauso groß gewesen wäre, wenn die Jungs Deutsch-Amis, Deutsch-Schweden oder Deutsch-Italiener gewesen wären.

Frage: Zurück zum Sport. Was trauen Sie den Deutschen zu?

Mindestens das Halbfinale. Das Potenzial ist da, ganz klar. Dann muss man schauen, was passiert. Es entscheiden auf diesem Niveau minimale Details. Sicher bin ich mir, dass es ein 7:1 so schnell nicht mehr gibt.

Frage: Was halten Sie von der Kaderzusammenstellung?

Ich war schon überrascht, dass Sané nicht dabei ist. Er ist schnell, hat seine Stärken im Eins-gegen-Eins. Das sind wichtige Eigenschaften. Ich kann mir nur vorstellen, dass es da zwischenmenschliche Aspekte gibt, die dagegen sprechen. Da geht es vielleicht Löw um einen harmonischen Kader. Dass er gegen Österreich schlecht gekickt hat, kann nicht das Kriterium sein, dann hätte Löw jeden Spieler nach Hause schicken müssen. Der Trainer hat die Entscheidung getroffen. Jetzt wird er heftig dafür kritisiert. Alle mischen sich ein. Dabei darf man aber auch durchaus in Betracht ziehen, dass dieser Bundestrainer seine Sache in all den Jahren doch sehr anständig erledigt hat. Ich finde, die Deutschen sollten dem Bundestrainer vertrauen.

Frage: Was wird wichtig sein?

Dass die DFB-Elf gut reinkommt ins Turnier. Das ist eine Floskel und klingt abgedroschen, ich weiß. Aber ein überzeugender Sieg im ersten Spiel ist Doping für die kommenden Partien. Wackelt man, dann nagt das doch am Nervenkostüm. Ab dem Achtelfinale ist auch das Matchglück gefragt. In Brasilien vor vier Jahren gab es da einige Situation, ich denke da an das Algerien-Spiel, wo es Deutschland hätte durchaus kosten können.

Frage: Wo sind die Schwächen der Deutschen?

Das ist schwer auszumachen. Wenn überhaupt, dann gibt es sie in der Defensive auf den Außenbahnen. Es sind nur Nuancen, aber vielleicht fehlt auch etwas Schnelligkeit in der Mitte des Feldes auf der Sechserposition. Und vielleicht könnte es ja auch von Nachteil sein, dass etliche Weltmeister von 2014 im Team stehen. Klar, sie sind heiß und gut, aber wie sieht es aus, wenn es gegen gegnerische Spieler geht, die noch nie so einen Triumph erlebt haben? Was bringt Mario Gomez? Ist er neben Timo Werner der Richtige? Ich hätte mich vielleicht für Nils Petersen entschieden, der wäre diese Aufgabe viel befreiter angegangen.

Frage: Und was sind die großen Stärken?

Da fällt mir als Erstes die unglaubliche Ballsicherheit ein, die technische Beschlagenheit, das fängt ja schon bei Keeper Manuel Neuer an. Da kann spielen, wer will. Die Deutschen werden viel Ballbesitz haben, wenn dann der richtige Pass in die Tiefe kommt, wird es schwer, Deutschland zu besiegen. Und die Leute für solch einen Pass sind zweifelsohne vorhanden. Der Werner ist pfeilschnell vorne, und damit auch das Umschaltspiel eine Waffe. Die Deutschen können sich jeden Gegner zurechtlegen.

Frage: Wie viele Spiele werden Sie anschauen?

Obwohl Italien nicht dabei ist, eine ganze Menge. Eine Woche lang richten wir uns in der Ferienwohnung ein WM-Studio ein. Da geben wir Vollgas. Danach muss ich schauen, wie ich es mit dem Beruf unter einen Hut bekomme. Klar ist, vom Fußball habe ich noch lange nicht die Schnauze voll.

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