Nostalgie als "Kritik an der Gegenwart"
Tobias Becker, Historiker an der Freien Universität Berlin, sieht in der Wiederentdeckung von Videotheken mehr als eine bloße Sehnsucht nach der Vergangenheit. Nostalgie könne "eine Kritik an der Gegenwart sein", betont er.
In Krisenzeiten scheint die Vergangenheit oft stabiler. "Die 70er Jahre sind in vielem unserer eigenen Gegenwart ähnlich", sagt Becker. Damals zerfielen Gewissheiten und Fortschritt brachte nicht nur Lösungen, sondern auch neue Probleme wie Atommüll. "Nostalgie wurde dann zu einem Vorwurf: "Ihr blickt nur zurück, ihr löst nicht die Probleme der Gegenwart.""
Die Lust auf analoge Objekte wie DVDs
Ein weiterer Grund für den Reiz der Videothek liege in ihrer Haptik, erklärt Menke. Besonders junge Menschen, die mit Streamingdiensten aufgewachsen seien, erlebten das physische Stöbern als neue Erfahrung. Viele empfinden moderne Mediengeräte als uniform und charakterlos, während analoge Objekte wie VHS-Kassetten oder DVDs mit Emotionen aufgeladen seien.
Die Wiederentdeckung der Videotheken sei auch als Reaktion auf die heutige Schnelllebigkeit und als Kritik am Digitalen zu verstehen, meint Medienwandel-Experte Menke. "Menschen haben oft das Gefühl, dass sich Dinge heute schneller ändern, und blicken in eine vermeintlich stabilere Vergangenheit zurück." Der Mensch habe eine Tendenz, bestimmte Dinge zu vergessen und andere zu romantisieren, ergänzt Menke. Diese selektive Wahrnehmung lasse die Vergangenheit besser erscheinen als sie tatsächlich war.
Gleichzeitig werde Nostalgie auch politisch instrumentalisiert. "Parteien nutzen das Narrativ "Früher war alles besser", um Menschen in einer unsicheren Gegenwart ein Gefühl von Sicherheit zu geben."