Warum sich gerade beim Friseur oft private Gespräche ergeben, erklärt die Psychologin Julia Scharnhorst mit der körperlichen Nähe. Wenn man eine gewisse Zeit lang von einem anderen Menschen berührt werde, könne dies ein Gefühl der Vertrautheit auslösen. Auch in anderen Situationen wie etwa beim Physiotherapeuten oder beim Masseur sei dies oft der Fall. "Aber nicht alle finden das so toll. Viele Menschen erzählen ja auch belastende Dinge oder Intimes", sagt Scharnhorst. Dies könne anstrengend sein. "Die Kunden gehen nach einer Stunde erfrischt nach Hause. Die Friseure haben oft gleich den nächsten Kunden und das nächste Gespräch."
Auch Friseure wollen nicht immer über Privates plaudern
"Und manche Probleme nehmen wir auch mit nach Hause", ergänzt Siepert-Fichter. Sie selbst genieße daher die Termine ohne Small Talk "Auch ich bin nur ein Mensch und keine Maschine und auch nicht immer in Redestimmung. Ich tagträume gerne", sagt sie.
Zum Geplapper komme auch noch die Lärmbelastung durch Föhne und andere Geräte. "Das muss man erst einmal aushalten", so Scharnhorst, die sich auf psychische Gesundheit am Arbeitsplatz spezialisiert hat und auch Stressbewältigungsseminare für die Berufsgruppe gibt. Sie begrüße daher das Silent-Cut-Konzept sehr. Es verschaffe auch den Friseuren eines Insel der Ruhe.
Auch für Anna Weber aus Villingen-Schwellingen (Baden-Württemberg) war dies ein Grund, vor fünf Jahren Silent Cuts anzubieten. Sie habe damals selbst viel Stress gehabt. Für viele Kunden sei es leichter, einen Termin beim Friseur als beim Psychologen zu bekommen - mit Folgen. Immer wieder höre sie viel Persönliches. "Dabei möchte ich doch nur Friseurin sein", sagt die 62-Jährige. "Aber leider wollen nur drei bis vier Kunden, die selber viel Stress haben, regelmäßig ohne Gespräche frisiert werden." Das große Problem bei ihr: Sie mache nur Hausbesuche und da werde noch schneller über Privates geredet.
Der Kunde entscheidet
In Österreich und der Schweiz können Kunden den Small Talk beim Friseur ebenfalls von vornherein ausschließen. In Berlin bieten auch Anna Jäger vom Salon Blush in Friedrichshain oder Philipp Hofstätter in Kreuzberg stille Termine an. "Hair talk but no small talk" - Frisur besprechen ja, Small Talk nein - damit bewirbt zudem der Salon Rohn in Charlottenburg seinen "Silent Service".
Weinitschke vom Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks meint, man benötige eine solch deutliche Abmachung nicht unbedingt: "Ob gesprochen wird, das entscheidet immer der Kunde. Man merkt schnell, ob jemand reden möchte oder nicht. Ich würde als Friseur nie einem Kunden ein Gespräch aufschwatzen. Man braucht Feingefühl."
Doch nicht jedem Kunden liegt es, einfach nichts zu sagen. Ein Small Talk gelte schließlich als höflich, sagt Scharnhorst. "Es gibt Bücher, Seminare und Coachings, wo Small Talk beworben wird und jeder so tut, als wäre Small Talk etwas ganz Tolles, das jeder können muss." Der manchmal ununterbrochene Redeschwall - von Fachleuten Logorrhö genannt - habe Folgen: "Irgendwann können sich die Friseure gar nicht mehr richtig lange auf irgendetwas konzentrieren", so die Erfahrung der Psychologin mit Seminarteilnehmern.
"Ein guter Friseur merkt sofort, wer sprechen will"
Wo Small Talk auf jeden Fall seinen Platz habe, sei das Arbeitsleben, sagt Scharnhorst. "Er macht das Zusammenarbeiten mit Leuten deutlich leichter, wenn man schon einmal ein paar Gemeinsamkeiten herausgefunden und festgestellt hat, ob man sich mag oder nicht mag."
Promi-Friseur Dieter Bonnstädter könnte sich ein Silent-Cut-Angebot gar nicht vorstellen. "Der Austausch mit den Kunden ist doch etwas Schönes", sagt er. Und: "Ein guter Friseur merkt sofort, ob ein Kunde heute sprechen will oder nicht."
Auch bei Siepert-Fichter ist der Small Talk im Salon nicht ausgestorben: Etwa fünf bis 15 Kunden buchen den Service pro Woche bei ihr und einigen Kolleginnen. Und auch nicht jede Mitarbeiterin schneide, ohne zu sprechen. Auch sie selbst könne nicht bei jedem Kunden auf Gespräche verzichten. "Bei Stammkunden, die ich manchmal schon 20 Jahre kenne, besteht ja auch eine sehr persönliche Bindung."